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Veranstaltungen

Veranstaltung des DGB Rechtsschutzes

Bundesweite Fachtagung „Aktuelle Aspekte aus dem Arbeits- und Sozialrecht“ für ehrenamtliche Richter*innen 2015

Am 28. und 29. April 2015 fand im oberfränkischen Bamberg die inzwischen traditionelle bundesweite Fachveranstaltung für ehrenamtliche Richter*innen der Landesarbeits- und Landessozialgerichte statt. Bereits zum fünften Mal seit 2006 lud die DGB Rechtsschutz GmbH ehrenamtliche Richter*innen zur Diskussion über aktuelle Fragen der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit. (Veranstaltungsflyer hier)

In seiner Begrüßung der mehr als 140 Teilnehmer*innen betonte der Geschäftsführer der DGB-Rechtsschutz GmbH Reinhard-Ulrich Vorbau die wichtige Funktion der ehrenamtlichen Richter*innen. Diese brächten nicht nur wichtige Einsichten aus der Praxis ein, sondern verkörperten zugleich ein Stück Gerechtigkeit in der Rechtsfindung.

Vorbau begrüßte die Referenten der Veranstaltung und übergab die Moderation an Peter Voigt aus der Bundesverwaltung der IG BCE, der an den beiden Veranstaltungstagen mit Souveränität und Übersicht durch das Programm führte.

Allgemeine Einführung in den Mindestlohn

Den Auftakt machte Gerd Groppel, der bei der DGB-Rechtsschutz GmbH für die Koordination der Zusammenarbeiten mit den Gewerkschaften zuständig ist. Groppel gab einen Überblick über die Regelungen des Mindestlohngesetzes, das wie kein anderes die arbeitsrechtliche Diskussion beherrscht.

Ziel des Mindestlohnes sei zum einen die Stärkung der sozialen Sicherungssysteme und der sozialversicherten Tätigkeit, zum anderen die Stärkung der Tarifautonomie. Vom allgemeinen Mindestlohn profitierten vor allem junge Menschen und Frauen, Minijobber, Beschäftigte in Kleinunternehmen, in der Gastronomie und in bestimmten Dienstleistungsbereichen.

Der allgemeine Mindestlohn, so Groppel, gelte nicht nur grundsätzlich für alle Beschäftigten, sondern auch bei jeder Form von Arbeitszeit, also auch bei Bereitschaftsdienst und bei der Berechnung des Urlaubsentgelts. Ausgenommen sei zum Beispiel ehrenamtliche Tätigkeit, wobei Groppel eine Abgrenzung besonders dann für erheblich hielt, wo neben ehrenamtlichen auch hauptberufliche Mitarbeiter*innen  für dieselbe Tätigkeit eingesetzt würden.

Ein großer, rechtlich noch nicht geklärter Bereich sei, welche Leistungen auf den Mindestlohn angerechnet werden könnten. Dies gelte etwa für die Anrechnung von Sachleistungen wie Kost und Logis. Diese seien jedoch nur anrechenbar, wenn der pfändungsfreie Betrag des Entgelts verbliebe.

Grundsätzlich gelte in der Rechtsprechung der Grundsatz der funktionellen Gleichwertigkeit, wonach eine Anrechnung von Lohnbestandteilen nur in Frage kommt, wenn die „Normalleistung“ entlohnt wird, so dass etwa die Anrechnung von Leistungs- oder Qualitätsprämien nicht erlaubt ist. Wie dies bei Nacht- und Feiertagszuschlägen ist, sei noch eine offene Frage.

Entscheidend sei aber immer die Bewertung im Einzelfall, wie Groppel am Beispiel des Wegegeldes erläuterte: In bestimmten Branchen sei das Entgelt eine Kombination von Stückzahl und zurückgelegter Wegstrecke, so dass es hier um echtes Entgelt handelt. Anders aber, wenn mit dem Wegegeld nur die tatsächlich anfallenden Fahrtkosten ersetzt werden sollen, in diesem Fall ist eine Verrechnung mit dem Mindestlohn unzulässig.

Einzelfragen zum Mindestlohn

Im Anschluss an diese einleitenden Ausführungen ging Dr. Daniel Ulber vom Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität Köln in einem engagierten und unterhaltsamen Vortrag auf einige Einzelfragen ein.

Entscheidend für das Verständnis sei, dass es sich beim Mindestlohn um einen gesetzlichen Anspruch handele, der für alle Arbeitnehmer*innen gelte, unabhängig vom tatsächlichen Einkommen. Interessant sei dies vor allem, da der Mindestlohn nicht durch Ausschlussfristen verkürzt werden dürfe. Wenn also ein vertraglicher Lohnanspruch verfallen sei, bliebe bei allen Arbeitnehmer*innen der Anspruch auf Mindestlohn bis zur Grenze der Verjährung.

Ein großes Thema sei auch die Vergütung von Praktikant*innen. Auch diese hätte Anspruch auf den Mindestlohn, sofern keine gesetzlichen Ausnahmen eingreifen. Praktisch bedeute dies, dass die Arbeitgeber*innen die Beweislast treffe, wenn sie sich auf eine solche Regelung beriefen.

Ein echtes Praktikum läge immer dann vor, „wenn der Praktikant auch etwas davon habe“, also etwas lerne und sich beruflich orientieren könne. Sei dies nicht der Fall, bestehe ein Anspruch auf volle Vergütung, die auch deutlich über dem Mindestlohn liegen könne. Freiwillige Praktika seien nur bis zu einer Dauer von drei Monaten vom Mindestlohn ausgenommen, dauere ein Praktikum länger, bestehe ein Anspruch auf Mindestlohn vom ersten Tag an.

Ein „gigantomanischer Schwachsinn“, sei die gesetzliche Ausnahme für jugendliche Arbeitnehmer*innen. Die Begründung, man wolle Jugendliche nicht dazu zu verleiten, statt einer Ausbildung zu beginnen auf Mindestlohnbasis zu arbeiten, halte der praktischen Überprüfung nicht stand: Von den arbeitenden Jugendlichen gingen 97%  noch zur Schule oder absolvierten eine Ausbildung, verhielten sich also genau so, wie dies politisch gewünscht sei. Die Ausnahme sei zudem eine offensichtliche Altersdiskriminierung.

Zur großen Erheiterung der Zuhörer nahm sich Dr. Ulber auch die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose vor. Diese sei wenig praktikabel, da Arbeitgeber*innen ja wissen müsse, dass er vom Mindestlohn abweichen dürfe. Dies könne ihm aber nur der/die Arbeitnehmer*in selbst mitteilen; aber wer teile das freiwillig mit, wenn dies einen geringeren Lohnanspruch zur Folge habe?

Nach den beiden Vorträge entwickelte sich eine lebendige Diskussion, zu der vor allem die kritischen Fragen der ehrenamtlichen Richter*innen beitrugen.

Den Ausklang des Tages bildete ein Stadtrundgang durch die historische Altstadt der Weltkulturerbestadt Bamberg. 

Aktuelle Rechtsprechung im Arbeitsrecht

Den Einstieg in den zweiten Tag bildete der Vortrag des Abteilungsleiters „Recht und Grundsatz“ beim DGB-Rechtsschutz, Tjark Menssen. Dieser nahm die Teilnehmer mit auf einen Streifzug durch die jüngere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, indem er die aktuellen Urteile nicht nur darstellte, sondern auch fachkundig und kritisch bewertete.

So wies er darauf hin, dass es zur Wahrung von Fristen gegenüber dem Arbeitgeber nicht genüge, wenn eine Erklärung, hier die Anpassungsrüge bei der betrieblichen Altersvorsorge, rechtzeitig bei Gericht eingegangen sei. Entscheidend sei der Eingang beim betroffenen Arbeitgeber selbst (BAG, Urteil vom 21.10.2014 - 3 AZR 690/12)

Ausführlich dazu: Betriebsrentenklage wegen Fristversäumnis vor Bundesarbeitsgericht gescheitert!

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/lohn/betriebsrentenklage-wegen-fristversaeumnis-vor-bundesarbeitsgericht-gescheitert/

Begrüßenswert sei das Urteil vom 9. April 2014, in dem das Bundesarbeitsgericht einer Krankenschwester Recht gegeben hatte, die aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten mehr leisten konnte. Der Arbeitgeber war daraufhin von einer Arbeitsunfähigkeit ausgegangen und hatte sie nicht mehr eingesetzt. Das BAG hingegen sah jedoch eine krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als nicht gegeben an, da die Krankenschwester ja tagsüber unproblematisch arbeiten könne (BAG, Urteil vom 9.4.2014 - 10 AZR 637/13)

Ausführlich dazu: Nachtschichtuntaugliche Krankenschwester muss weiterbeschäftigt werden!:

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/arbeitszeit/nachtschichtuntaugliche-krankenschwester-muss-weiterbeschaeftigt-werden

Ebenfalls zu begrüßen sei die Entscheidung vom 19.11.2014, die für Klarheit im Hinblick auf die Bezahlung von Pflegekräften sorgt, die sogenannte „Rund-um-die-Uhr-Dienste“ versehen. Das BAG stellte klar, dass der Mindestlohn für den Pflegebereich nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen ist (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.11.2014 – Az.: 5 AZR 1101/12)

Ausführlich dazu: Mindestlohn in der Pflege auch bei Bereitschaftsdienst!

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/arbeitszeit/mindestlohn-in-der-pflege-auch-bei-bereitschaftsdienst

Auch aus dem sehr lebendigen Bereich des Urlaubsrechts gab es neues mitzuteilen: In konsequenter Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung habe das BAG entschieden, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch auch dann nicht entfalle, wenn er wegen der Inanspruchnahme von Pflegezeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden konnte. Anders als bei Elternzeit sehe das Gesetz keine anteilige Kürzung vor, so dass der volle Urlaubsanspruch bestehe (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Mai 2014 - 9 AZR 678/12)

Ausführlich dazu: Urlaubsanspruch besteht trotz unbezahltem Sonderurlaub weiter:

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/urlaub/urlaubsanspruch-besteht-trotz-unbezahltem-sonderurlaub-weiter

Kritisch sah Menssen das Urteil, wonach ein Arbeitnehmer auch dann keinen Anspruch auf ein „gutes“ Zeugnis hat, wenn die überwiegende Mehrheit mit dieser Note bewertet werde. Wenn die Durchschnittsnote tatsächlich „gut“ sei, so sei nicht einzusehen, weshalb der Arbeitnehmer hierauf keinen Anspruch haben soll (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2014 - 9 AZR 584/13)

Ausführlich dazu: Bundesarbeitsgericht: Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf ein gutes Zeugnis:

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/arbeitsvertrag/bundesarbeitsgericht-arbeitnehmer-haben-keinen-anspruch-auf-ein-gutes-zeugnis

Dagegen lobte Menssen die Entscheidung, wonach die Tagesordnung einer Betriebsratssitzung ergänzt werden könne, wenn alle anwesenden Mitglieder der Sitzung dies beschließen. Die Entscheidung, so Menssen, stärke die Rechte des Betriebsrates und ermuntere zudem alle Mitglieder, an den jeweiligen Sitzungen teilzunehmen (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15.4.2014, 1 ABR 2/13 (B))

Ausführlich dazu: Lass uns das doch auch beschließen!:

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/betriebsraete-und-personalraete/lass-uns-das-doch-auch-beschliessen

Auch die Ablehnung eines Auskunftsrechtes des Arbeitgebers auf Gewerkschaftsmitgliedschaft sei richtig gewesen. Die Argumentation der Arbeitgeberseite, man müsse ja wissen, an wen man die tariflichen Leistungen auszahlen müsse, sei „heuchlerisch“ gewesen. Denn in der Regel gewährten Arbeitgeber die tariflichen Leistungen ohnehin allen Arbeitnehmer*innen, um diese nicht in die Gewerkschaft zu treiben (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2014, 1 AZR 257/13)

Ausführlich dazu: 
Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit:

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht/arbeitsvertrag/fragerecht-nach-der-gewerkschaftszugehoerigkeit

Die wichtigste Veränderung, so Menssen, sei allerdings eine Personalie. Mit dem Ausscheiden des vorsitzenden Richters Linsenmeier seinen Veränderungen im Befristungsrecht zu erwarten. Unter dessen Vorsitz sei die wortlautswidrige Auslegung zur Anschlussbefristung entwickelt worden, wonach eine Befristung zulässig sei, wenn seit dem Ende des vorherigen Beschäftigungsverhältnisses drei Jahre vergangen seien.

Aktuelle Rechtsprechung im Sozialrecht

Aus dem Bereich des Sozialrechts brachte der Referent Bertold Brücher einen aktuellen und anschaulichen Fall mit. Brücher, der im Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und europäisches Recht für das Sozialrecht zuständig ist, setzte sich umfassend und fachkundig mit der Frage auseinander, wie es sich mit dem Unfallversicherungsschutz bei Betriebsfeiern verhalte.

Dabei erläuterte er die Entwicklung der Rechtsprechung zu diesem Thema, die nicht immer stringent sei, sondern oft Überraschungen bereithalte. Entscheidend dafür, dass die gesetzliche Unfallversicherung eingreife, sei stets eine betriebliche Tätigkeit.

In dem von Brücher geschilderten Fall hatte eine Mitarbeiterin des Jobcenters geklagt, die bei einer Betriebsfeier auf dem Weg von der Bowlingbahn zum Tisch eine Stufe übersehen hatte, gestolpert war und sich verletzt hatte. Teilnehmer der Feier waren nicht sämtliche Mitarbeiter*innen des Jobcenters, sondern nur die Mitglieder eines Teams.

Das Bundessozialgericht bestätigte das Urteil der Vorinstanzen, wonach die Klägerin keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Die Versicherung während der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung setze jedenfalls voraus, dass diese durch die Betriebsleitung oder im Einvernehmen mit der Betriebsleitung als deren eigene Veranstaltung durchgeführt werde.

Der Unfallversicherungsschutz bestehe nur, wenn die Feier „von der Autorität des Unternehmens getragen“ werde, was hier nicht der Fall gewesen sei: Beschäftigte, die aus eigenem Antrieb eine Weihnachtsfeier veranstalteten, stünden also nicht unter dem Schutz der Unfallversicherung
(Bundessozialgericht, Entscheidung vom 26.06.2014, Az.: B 2 U 7/13 R)

Ausführlich dazu: Bundessozialgericht bestätigt: Kein Versicherungsschutz auf selbst organisierter Weihnachtsfeier!:

http://www.dgbrechtsschutz.de/recht/sozialrecht/arbeitsunfall/bundessozialgericht-bestaetigt-kein-versicherungsschutz-bei-selbst-organisierten-betriebsfeiern

Auch an diesen Themenblock knüpfte sich eine lebhafte Diskussion an, vor allem hinsichtlich der Betriebsrenten-Entscheidung. Hier kamen die Teilnehmer*innen ins Gespräch miteinander und nutzten die gegebenen Anstöße zu weiterführenden Überlegungen.

Änderungen im Rentenversicherungsrecht und Musterverfahren

Zum Abschluss der Veranstaltung referierte Robert Nazarek, Referatsleiter Sozialrecht beim DGB Bundesvorstand, zum Thema Flexibilisierung des Renteneintritts/Musterverfahren zur Rente mit 63 Jahren.

Die Rente mit 63 sie Teil des gesetzgeberischen Gesamtpakets, zu dem auch die Mütterrente gehöre. Mit den hier festgelegten Änderungen würden erhebliche Veränderungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung einhergehen.

Nazarek erläuterte die unterschiedlichen Rentenarten und deren Voraussetzungen. So gäbe es neben der „normalen“ Altersrente auch Rente wegen Erwerbsminderung, Witwen- und Waisenrente sowie frühzeitigere Formen des Renteneintritts, zum Beispiel bei Behinderung oder eben bei besonders langjähriger Beschäftigung („Rente mit 63“).

Eine Voraussetzung für diese Altersrente für besonders langjährliche Versicherte sind erfüllte 45 Jahre Wartezeit. Auf die Wartezeit werden auch Zeiten des Leistungsbezugs bei Arbeitslosigkeit mit Anspruch auf Arbeitslosengeld I angerechnet. In den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn werden diese Zeiten für Leistungen der Arbeitsförderung aber nur dann angerechnet, wenn diese auf eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers zurückzuführen sind (§ 51 Abs. 3a Nr. 3 SGB VI).

Der DGB und seine Gewerkschaften halten die Nichtberücksichtigung der Arbeitslosigkeitszeiten in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn für verfassungswidrig

Ausführlich dazu: Rente mit 63: Ausnahme verfassungswidrig? – Ratgeber für Betroffene:

http://www.dgbrechtsschutz.de/fuer/arbeitnehmer/rente-mit-63-ausnahme-verfassungswidrig-ratgeber-fuer-betroffene

Nazarek begründete dies an mehreren Beispielen. So sei es ja durchaus möglich, dass die Kündigung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn aus krankheitsbedingten Gründen erfolge, ein Missbrauch also nicht gegeben sei. Gesundheitlich beeinträchtigte Arbeitnehmer*innen würden so zusätzlich bestraft: Sie verlören ihren Arbeitsplatz und müssten zudem Einbußen bei der Rente hinnehmen.

Auch die Begrenzung der Ausnahme auf die komplette Betriebsstilllegung, sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Diese sei bei großen Unternehmen sehr unwahrscheinlich, anders als eine Teilbetriebsstilllegung. Für den Betroffenen hätte dies jedoch vergleichbare Auswirkungen.

Fraglich sei auch, wie Arbeitslose zu behandeln sind, die bereits zum Zeitpunkt des In-Kraft-Treten des Gesetzes arbeitslos gewesen sind und nun mit 63 in Rente gehen. In diesem Fall konnte überhaupt kein Missbrauch mit der Regelung betrieben werden, da diese noch nicht galt.

Aufgrund der vielen Bedenken und der erheblichen Bedeutung der Verfahren sei der DGB derzeit in Verhandlungen mit der Deutschen Rentenversicherung Bund um die Frage, wie mit den anstehenden Verfahren umzugehen sei. Deshalb würden, so berichtete Nazarek, geeignete Musterverfahren ausgewählt, um mit rechtlicher Vertretung durch die DGB Rechtsschutz GmbH die zugrunde liegende gesetzliche Regelung einer verfassungsgerichtlichen Prüfung zu unterziehen.

Dabei werde in den fraglichen Fällen das Widerspruchsverfahren vor Ort von den Büros der DGB-Rechtsschutz GmbH geführt, die Klageverfahren würden dann vom Gewerkschaftlichen Centrum des DGB-Rechtsschutzes unter Federführung von Bertold Brücher zentral geführt. 

Nach diesem Blick in die Zukunft, der zugleich den rechtspolitischen Anspruch der Gewerkschaften deutlich machte, verabschiedete Moderator Peter Voigt die Teilnehmer*innen der Fachtagung, nicht ohne sich noch einmal bei den Referenten zu bedanken.

Damit ging eine ambitionierte Veranstaltung zu Ende, zu deren Gelingen nicht nur die fachlich kompetenten Referenten und der angenehme Tagungsort beitrugen, sondern vor allem die hochmotivierten Teilnehmer*innen. Über zwei Tage hinweg folgten sie nicht nur konzentriert den zum Teil komplexen Rechtsausführungen, sondern sorgten mit ihren Fragen und Anregungen für angeregte Diskussionen.

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