Anfang Januar erwähnte Markus Söder, der Ministerpräsident Bayerns, eine Impfflicht für Pflegekräfte solle erwogen werden. Er machte den Vorschlag, dass der sogenannte „Ethikrat“ sich damit befassen könne. Ganz schnell wandten sich viele Politiker gegen diesen Söder-Vorstoß. Eine generelle Impfpflicht wird es daher auch in Zeiten von Corona wohl nicht geben.
Maren, eine Polizistin, und Oliver, ein Soldat wollen es aber genauer wissen. Kann ihr Dienstherr sie auf Grund ihres Berufes dazu verpflichten, sich gegen Corona impfen zu lassen? Gemeinsam mit dem DGB Rechtsschutz begeben sie sich auf den Weg zu Antworten.
Gilt das auch für Beamt*innen?
Gehen wir zunächst den Fragen von Maren nach. Art. 2 II Grundgesetz garantiert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Das gilt für alle.
Im Beamtenverhältnis gilt darüber hinaus Art. 33 IV Grundgesetz . Das Beamtenverhältnis ist ein öffentliches Dienst- und Treueverhältnis. Es begründet Pflichten, die weiter gehen als diejenigen im Arbeitsverhältnis.
Was bedeutet die Treuepflicht?
Ganz oben steht dabei die Treuepflicht. Für Maren bedeutet die Treuepflicht die Verfassungstreue und darüber hinaus auch die Treue gegenüber dem Dienstherrn. Beamt*innen müssen Weisungen des Dienstherrn befolgen und unterliegen einer Neutralitätspflicht. Sie müssen sich dem Beruf voll hingeben und dürfen beispielsweise gegen den Dienstherrn nicht streiken.
Die volle Hingabe zum Beruf beinhaltet auch die Pflicht, die eigene Gesundheit zu erhalten, um leistungsfähig zu bleiben. Die Besonderheiten des Beamtenverhältnisses mit der ihr eigenen Treuepflicht können dazu führen, dass Beamte in ihrer Pflicht zur Ausübung des Dienstes Grundrechtseinschränkungen erfahren.
Maren muss also im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zusätzliche Eingriffe in Grundrechte hinnehmen. Aber gilt das ohne weitere Voraussetzungen?
Schränkt die verfassungsgemäße Ordnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein?
In Art. 2 I Grundgesetz heißt es, dass jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat, sofern er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kann also die verfassungsgemäße Ordnung entgegenstehen. Bei der verfassungsgemäßen Ordnung muss es sich um ein Gesetz handeln, das sich an den Grundrechten orientiert. Ein solcher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darf nur auf Gründe des Gemeinwohls gestützt werden und muss verhältnismäßig sein.
Was bedeutet der Gesetzesvorbehalt in Art 2 II GG?
Damit steht nach Art. 2 I Grundgesetz fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Vorbehalt der verfassungsgemäßen Ordnung unterliegt. Aus der Formulierung des Art. 2 II Grundgesetz ergibt sich, dass in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nur durch ein Gesetz eingegriffen werden darf.
Der Staat darf in Marens körperliche Unversehrtheit also nur durch ein Gesetz eingreifen, wenn damit die verfassungsmäßige Ordnung sowie das Leben, die Freiheit und die Unversehrtheit der Bürger geschützt wird.
Wie müsste ein Gesetz formuliert sein?
Um Maren zur Impfung zu verpflichten, müsste es ein Gesetz geben, das diese Impfpflicht festschreibt. Da das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus jedoch fordert, dass ein Gesetz, das in Grundrechte eingreift, auch hinreichend bestimmt sein muss, würde die einfache Regel, Beamt*innen müssten sich impfen lassen, nicht ausreichen.
Eine Impfpflicht könnte für Maren deshalb nur dann bestehen, wenn der Gesetzgeber in diesem Gesetz außerdem genau beschreibt, wann eine berufliche Tätigkeit so gefährlich ist, dass sie eine Einschränkung der körperlichen Unversehrtheit durch die Pflicht zur Impfung rechtfertigt.
Wäre eine generelle Impfpflicht zulässig?
Der Deutsche Bundestag hat bereits 2016 eine Gutachten zur generellen Impfpflicht in Auftrag gegeben. Danach müsste der Bundesgesetzgeber ein solches Gesetz erlassen, denn der Bund habe dafür die Gesetzgebungskompetenz mit dem Infektionsschutzgesetz schon in Anspruch genommen und zwar ganz allgemein für Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten. Alle weitergehenden Gesetze in diesem Zusammenhang müssten daher vom Bund ausgehen. Die Länder wären hierzu nicht berechtigt.
Eine generelle Impfpflicht müsste nach der wissenschaftlichen Ausarbeitung des Deutschen Bundestages mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Eine generelle Impfpflicht wäre nur dann verhältnismäßig, wenn damit ein legitimes Ziel verfolgt werde und der Eingriff geeignet, erforderlich und angemessen sei. Für eine generelle im Pflicht nehmen das die Wissenschaftler nicht an.
In Zeiten der Pandemie halten sie eine eingeschränkte Impfpflicht allerdings verfassungsrechtlich für gerechtfertigt. Solange es ein dementsprechendes Gesetz aber nicht gibt, kann der Dienstherr Maren nicht zur Impfung gegen Corona verpflichten.
Genaueres dazu können Sie hier lesen:
Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Impfpflicht
Wie sieht es bei Soldat*innen aus?
Nun kommen wir zu Oliver. Oliver ist Soldat. Für ihn enthält das Infektionsschutzgesetz in seiner jetzigen Fassung zusätzlich Vorgaben. In § 21 Infektionsschutz heißt es, dass bei einer durch das Infektionsschutzgesetz angeordneten oder von einer obersten Landesgesundheitsbehörde öffentlich empfohlenen Schutzimpfung, aber auch bei einer Impfung nach § 17 a II des Soldatengesetzes nur bestimmte Impfstoffe verwendet werden dürften.
Das Soldatengesetz bestimmt dazu dann, dass Soldat*innen ärztliche Maßnahmen gegen ihren Willen dulden müssen, wenn sie unter anderem der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen. Das Gesetz schränkt insofern das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Art. 2 II Grundgesetz ein.
Wann ist eine Zustimmung erforderlich?
Allerdings erfordern invasive Eingriffe bei Soldat*innen die Einwilligung des*der Betroffenen im Fall von angeordneten Impfungen zur Verhütung und zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Auch das sieht das Gesetz so vor.
Ein invasiver Eingriffe ist eine gewebsverletzende Maßnahmen. Spritzen zählen dazu. Oliver geht nun zunächst einmal davon aus, dass die Corona-Schutz-Impfung seine Zustimmung voraussetzt.
Allerdings findet er heraus, dass Soldat*innen weitergehende Pflichten auferlegt sind als anderen Staatsbürgern. Zu diese Pflichten zählt die soldatische Gesunderhaltungspflicht. Das Bundesverwaltungsgericht hält bei der soldatischen Gesunderhaltungspflicht einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Selbstbestimmung nach Art. 2 II GG für zulässig. Nun möchte Oliver es genauer wissen.
Wie entscheidet das Bundesverwaltungsgericht zur Impfpflicht?
Soldat*innen, die einer Aufforderung zum Impfen nicht folgen, begehen ein Dienstvergehen, das der Dienstherr ahnden darf. Das hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst zu Basisimpfungen entschieden. Die Entscheidung betraf aber nicht die Impfpflicht bezüglich COVID-19. Es ging nur um vorgeschriebene Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten.
Eine Pflicht für Basisimpfungen beruhe auf der Erwägung, dass die Verbreitung übertragbarer Krankheiten die Einsatzbereitschaft militärischer Verbände erheblich schwächen könnte, so das Bundesverwaltungsgericht. Eine Impfung sei nur dann nicht zumutbar, wenn eine erhebliche Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des*der Soldat*in vorliege.
Wann ist die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet?
Die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr wäre gefährdet, wenn Soldat*innen nach einer subjektiven Risikoeinschätzung entscheiden dürften, wann ein Befehl zumutbar ist, der mit gesundheitlichen Risiken einhergeht - ähnlich einer Gewissensentscheidung. Auf die subjektive Einschätzung des*der Soldat*in käme es deshalb nicht an.
In seiner Pressemitteilung zum Beschluss vom 22. Dezember 2020 weist das Bundesverwaltungsgericht außerdem darauf hin, dass Soldaten von Berufs wegen bei der Erfüllung von Befehlen - insbesondere bei Auslandseinsätzen und im Fall der Landesverteidigung - erhebliche Gesundheitsrisiken hinnehmen müssten.
Wie ist das Ergebnis?
Stellt sich mithin heraus, dass die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr durch eine fehlende COVID-19-Schutzimpfung gefährdet wäre und COVID-19 die Einsatzbereitschaft militärischer Verbände erheblich schwächt, dürften Soldat*innen von Gesetzes wegen verpflichtet sein, einer angeordneten COVID-19-Impfung zuzustimmen. Verweigern Sie das, würde es vermutlich zum Disziplinarverfahren kommen.
Für Beamt*innen bedarf es demgegenüber erst eines Gesetzes. Solange das nicht da ist, dürfte es keine Impfpflicht geben. Maren kann also zunächst einmal abwarten. Oliver hingegen wird aller Voraussicht nach einer Aufforderung seines Dienstherrn, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, nachkommen müssen.
Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung vom 22. Dezember 2020
Rechtliche Grundlagen
Art 2 GG, Art 33 GG, § 21 IfSG, § 17 a SolG
Art 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art 33
(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.
(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.
Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)
§ 21 Impfstoffe
Bei einer auf Grund dieses Gesetzes angeordneten oder einer von der obersten Landesgesundheitsbehörde öffentlich empfohlenen Schutzimpfung oder einer Impfung nach § 17a Absatz 2 des Soldatengesetzes dürfen Impfstoffe verwendet werden, die Mikroorganismen enthalten, welche von den Geimpften ausgeschieden und von anderen Personen aufgenommen werden können. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) wird insoweit eingeschränkt.
Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz - SG)
§ 17a Gesunderhaltungspflicht und Patientenrechte
(1) Der Soldat hat alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um seine Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Er darf seine Gesundheit nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig beeinträchtigen.
(2) Der Soldat muss ärztliche Maßnahmen gegen seinen Willen nur dann dulden, wenn sie
1.
der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen oder
2.
der Feststellung seiner Dienst- oder Verwendungsfähigkeit dienen.
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 bleibt § 25 Absatz 3 Satz 3 des Infektionsschutzgesetzes unberührt.
(3) Einfache ärztliche Maßnahmen wie Blutentnahmen aus Kapillaren oder peripheren Venen und röntgenologische Untersuchungen hat der Soldat zu dulden.
(4) Lehnt der Soldat eine zumutbare ärztliche Maßnahme ab und wird dadurch seine Dienst- oder Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt, kann ihm die Versorgung insoweit versagt werden. Nicht zumutbar ist eine ärztliche Maßnahme, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden ist.
(5) Die Rechte des Patienten nach § 630c Absatz 2 und 4 sowie den §§ 630d und 630e des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten für Soldaten entsprechend; § 630c Absatz 2 Satz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist auch im Disziplinarverfahren anzuwenden. Die §§ 630d und 630e des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten nicht entsprechend, sofern die Absätze 2 und 3 einer entsprechenden Anwendung entgegenstehen.