Vor nun fast 15 Jahren rief die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bei ihr organisierte verbeamtete Lehrkräfte zum Streik auf. Wer dem Aufruf folgte sah sich einer Geldbuße im Disziplinarverfahren des Dienstherrn ausgesetzt, um deren Rechtswirksamkeit zunächst bis hin zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestritten wurde. Auf eine Menschenrechtsbeschwerde der DGB Rechtsschutz GmbH entschied im Dezember 2023 auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (European Court of Human Rights- Council of Europe).
Bundesverfassungsgericht hielt Einschränkung für verfassungsgemäß
Das BVerfG hatte zuvor in mehreren Beschlüssen vom 12. Juni 2018 bestätigt, dass das Streikverbot für Beamt:innen in deren Grundrecht auf Koalitionsfreiheit eingreift. Dieses Grundrecht ist in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) festgelegt. Die Koalitionsfreiheit wird jedoch durch die ebenfalls mit Verfassungsrang – in Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes – verankerten beamtenrechtlichen Strukturprinzipien geprägt und eingeschränkt. Das Rechtsverhältnis der Beamt:innen wird durch den (Bundes- oder Landes-) Gesetzgeber und nicht durch Tarifvertrag geregelt. Im Konfliktfall ist deshalb die Durchsetzung der Interessen durch Streik nicht möglich.
Die disziplinarrechtliche Ahndung der Teilnahme an einem Streik schränkt das Recht auf Beteiligung an Arbeitskampfmaßnahmen ein, so das BVerfG damals. Dieser Eingriff in ein Grundrecht sei aber gerechtfertigt, weil es dafür gewichtige, verfassungsrechtlich geschützte Belange gibt.
Das Streikverbot für Beamte stellt demzufolge einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums dar. Es geht auf eine in der der Weimarer Republik begründete Traditionslinie zurück und ist eng mit der beamtenrechtlichen Treuepflicht sowie dem Alimentationsprinzip verknüpft.
Rudi Buschmann - ein Garant für Expertise
Rudi Buschmann, der die Kläger:innen vertrat, führt bereits seit Jahren in allen wichtigen Bereichen des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes unzählige Verfahren vor allen Gerichten auch auf europäischer Ebene. Er beherrscht mehrere Fremdsprachen und kann daher in Straßburg und beim Europäischen Gerichtshof in den dortigen Amtssprachen verhandeln.
Rudi Buschmann war ehrenamtlicher Richter beim Bundesarbeitsgericht und prägte den arbeitsrechtlichen Diskurs durch Kommentierungen und Beiträge bei Tagungen und rechtspolitischen Diskussionen. Vor allem aber bestimmte er juristische Themen als Chefredakteur der Zeitschrift Arbeit und Recht mit. Seine Erfahrung und sein Wissen gibt er nicht nur an die Kolleg:innen des Rechtsschutzes weiter, sondern auch als Lehrbeauftragter an die Studierenden der Uni Kassel. Seit vielen Jahren ist er bei der DGB Rechtsschutz GmbH tätig.
Einer der Höhepunkte seiner juristischen Laufbahn ist für Rudi Buschmann das Verfahren des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes vor dem EGMR.
Wie funktioniert eine Beschwerde beim EGMR?
Der EGMR überwacht die Einhaltung der Menschenrechtskonvention des Europarates.
Nach einer vorläufigen Prüfung der Zulässigkeit einer Beschwerde kann der EGMR entscheiden, die Beschwerde an die beklagte Regierung zuzustellen. „Zustellung“ bedeutet, dass die Regierung über die anhängige Beschwerde der Beschwerdeführerin oder des Beschwerdeführers informiert wird. Zugleich fordert der EGMR die Regierung auf, zur Zulässigkeit und Begründung der gesamten Beschwerde oder einer oder mehrerer Beschwerdepunkte schriftlich Stellung zu nehmen.
Die Zustellung einer Beschwerde bedeutet dabei nicht, dass eine Konventionsverletzung vom Gerichtshof festgestellt worden wäre, ist aber eine erste große Hürde, die es im Verfahren zu nehmen gilt. Große Freude herrschte daher im Gewerkschaftlichen Centrum, als klar war, der EGMR würde die Beschwerde zustellen.
EGMR stellt Grenzfall fest
Der EGMR verneinte eine Verletzung des Menschenrechts auf Vereinigungsfreiheit auf Grund der Maßregelungen gegen beamtete Lehrerinnen und Lehrer, die 2009 und 2010 den Streikaufrufen ihrer Gewerkschaft GEW gefolgt waren. Der Eingriff in das durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützte Streikrecht ist nach Ansicht des EGMR zwar gravierend und steht im Widerspruch zur Rechtsprechung der maßgeblichen Organe des Arbeitsvölkerrechts.
Dieser Eingriff sei aber ausnahmsweise für deutsche beamtete Lehrkräfte gerechtfertigt. Zur Begründung nennt der EGMR eine „Vielzahl alternativer Partizipationsmöglichkeiten, institutionelle Garantien, hohe materielle Absicherung von Beamten, Schulwesen als Teil der Staatsverwaltung, Möglichkeiten, vom Beamtenstatus ohne Streikrecht in einen Angestelltenstatus mit Streikrecht zu wechseln.“
Abweichende Meinung eines Richters zeigt Brisanz der Entscheidung
Konträr gegen diesen Ansatz steht die abweichende Meinung eines Richters, der sich der Mehrheitsmeinung im Beschluss nicht anschließen konnte und das auch näher begründete.
Er hielt die von den Kläger:innen vorgebrachten Argumente für sehr überzeugend.
Seiner „bescheidenen“ Meinung nach - wie es in den Ausführungen heißt - waren der methodische Ansatz des Gerichtshofes und der Bezug auf die zugrunde gelegten rechtlichen Bestimmungen fehlerhaft und falsch. Bei allem Respekt müsse er daher mit Bedauern argumentieren, dass die vier Beschwerdeführer:innen nicht den Schutz nach der Konvention erhalten hätten, der ihnen zusteht. Damit gelte - zumindest vorerst - , dass alle Beamt:innen in Deutschland und auch anderswo in Europa ihre Vereinigungsfreiheit und insbesondere ihr Streikrecht in der Gegenwart oder Zukunft nicht ausüben dürften.
”Lesenswert!“ meint Rudi Buschmann zu dieser abweichenden Meinung des EGMR-Richters.
Wenn es in dem Kommentar heißt, zumindest vorerst könnten Betroffene den Schutz nach der Konvention nicht erhalten, so lässt das für die Zukunft durchaus hoffen. Realistisch betrachtet wird eine anderslautende Entscheidung jedoch frühestens in mehr als zehn Jahren erwartet werden können und das auch nur dann, wenn die Mehrheit der Richter:innen die geltenden Bestimmungen anders auslegen.