Der 8. Mai ist ein Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus. Copyright by Martins Vanags/Fotolia
Der 8. Mai ist ein Tag des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus. Copyright by Martins Vanags/Fotolia

Die politischen Eliten in Westdeutschland taten sich lange Zeit schwer, die vollständige Niederlage des Deutschen Reiches vor allem als einen Tag der Befreiung vom Faschismus zu begreifen. Im Vordergrund stand vielmehr das Elend, das angeblich durch die Niederlage in Deutschland verursacht worden ist. Erinnert wurde vor allem an Vertreibung und Flucht, Massenvergewaltigungen und an die Entbehrungen, unter denen die Deutschen litten.
 
Auch viele Historiker weigerten sich lange, mit der Niederlage auch eine Befreiung zu verbinden. Die Deutschen hätten damals allenfalls eine „Erleichterung“ über das Ende des Krieges, im Übrigen aber die Niederlage als eine deprimierende Katastrophe empfunden. Zudem sei zu keinem Zeitpunkt eine Befreiung vom Faschismus Ziel der alliierten Kriegspolitik gewesen, sondern die Niederlage Deutschlands.
 
In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) hingegen wurde der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus begangen, zeitweise sogar als gesetzlicher Feiertag. Hintergrund war vor allem aber, die Rolle der Sowjetarmee als eine Art Heilsbringer für die Geschichte Deutschland herauszustellen. So war die Bedeutung des 8. Mai für die deutsche Geschichte auch Gegenstand propagandistischer Auseinandersetzungen im kalten Krieg.
 

Erst spät wollten sich die Westdeutschen mir Ursachen und Folgen des Faschismus auseinandersetzen

In Westdeutschland begann ein ernsthafter politischer Diskurs über die Ursachen und die Folgen des Nationalsozialismus erst im Laufe der 60er Jahre. Bis dahin galten etwa die ohnehin nur wenigen Anhänger des deutschen Widerstandes für viele noch als Verräter. Die verdienstvollen Aktivitäten des Hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer bei der juristischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus etwa betrachtete die westdeutsche Öffentlichkeit mit Argwohn. Kultusministerien lehnte es ab, sein bedeutendes Referat „ Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ im Geschichtsunterricht als Unterrichtsstoff zuzulassen.
 
Bis in die 90er Jahre hinein war die Bezeichnung des 8. Mai als Tag der Befreiung in der öffentlichen Diskussion noch umstritten. Heute gehört hingegen die Befreiung vom Hitlerfaschismus zum Kern deutscher Erinnerungskultur. So sagte der damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Ausstellungseröffnung "Juden in Berlin 1938 - 1945"  am 8. Mai 2000 im Centrum Judaicum:
 
„Niemand bestreitet heute mehr ernsthaft, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung gewesen ist - der Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft, von Völkermord und dem Grauen des Krieges.“
 

Die Rede des Bundespräsidenten

Der damaligen Bundespräsident Richard von Weizäcker betonte in seiner Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, dass der 8. Mai vor allem ein Tag der Erinnerung an das sei, was Menschen erleiden mussten. Zugleich sei er aber ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Er sei kein Tag zum Feiern, dagegen spreche das damalige menschliche Leid. Der Tag habe uns aber alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit liege nicht im Ende des Krieges. Sie liege vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg geführt habe.
 
Der 8. Mai ist für uns freilich kein Feiertag, aber ein Gedenktag. Ohne das Leid zu vergessen, das die Generationen unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern erlitten haben, dürfen wir uns freuen, dass uns die Alliierten von den Ursachen dieses Leids befreit haben. Und wir dürfen nicht vergessen, welches noch erheblich größeres Leid diese Generationen über Europa und die Welt gebracht haben.
 

Ein Tag der Erinnerung und der Mahnung

Richard von Weizäcker ist in fast allem zuzustimmen. Nur in einem Punkt möchte ich ihm widersprechen: die Ursachen liegen nicht erst im Beginn der nationalistischen Gewaltherrschaft. Auch diese hat ihre Ursachen. Und die liegen in einer Kultur der Intoleranz und Hass gegenüber Mitbürger*innen, die im Verständnis der Mehrheit anders oder fremd waren. In einer Kultur, die Menschen in Rassen einteilt, die angeblich unterschiedlichen Wert haben. Und in einer Kultur, die die eigene Nation über alle anderen erhebt und meint, an ihrem Wesen solle die Welt genesen.
 
Mehr als ein Tag des Gedenkens und der Erinnerung ist er aber ein Tag, der uns einen Auftrag für die Zukunft gibt. Niemand hat das besser verstanden als Richard von Weizäcker. Deshalb soll er am Schluss selbst zu Wort kommen. Seine Gedenkrede am 8. Mai 1985 schloss er mit einer Aufforderung an die nachfolgenden Generationen:
 

Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen

„Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders und besser geworden.
Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit - für niemanden und kein Land! Wir haben als Menschen gelernt, wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden.
Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Hass zu schüren.
Die Bitte an die jungen Menschen lautet:
Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass
gegen andere Menschen,
gegen Russen oder Amerikaner,
gegen Juden oder Türken,
gegen Alternative oder Konservative,
gegen Schwarz oder Weiß.
Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben.
Ehren wir die Freiheit.
Arbeiten wir für den Frieden.
Halten wir uns an das Recht.
Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.“

 
Siehe auch:
 
„Konturen einer integrierten Nachkriegsgeschichte“ auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung
Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Ausstellungseröffnung "Juden in Berlin 1938 - 1945" im Centrum Judaicum
Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizäcker anlässlich der Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa

Das sagen wir dazu:

Richard von Weizäcker hat uns in seiner Gedenkrede zum 8. Mai dazu ermahnt, uns nicht hineintreiben zu lassen in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen. Dieser Satz kann gar nicht häufig genug wiederholt werden. Intoleranz gegenüber „Andere“, gegenüber Homosexuelle, Behinderte, Frauen, Männer oder Angehöriger anderer Kulturen ist immer eine Keimzelle des Faschismus. Jede Form des Rassismus, auch wenn sie noch so tolerant daherkommt, zielt letztlich auf den Ausschluss von Menschen aus der Gesellschaft. Dabei ist längst nachgewiesen, dass es unterschiedliche menschliche Rassen gar nicht gibt.
Die Vorstellung, Menschen könnten unterschiedlichen Rassen zugeordnet werden, ist ebenfalls noch nicht sehr alt. Literarisch tauchte der Begriff überhaupt erst im 15. Jahrhundert auf. Der spanische Priester Alfonso Martínez de Toledo hat ihn gebraucht, um darzustellen, dass ein Bauer immer ein Bauer bleibt, auch wenn er von einem Adeligen erzogen wird. Die Einteilung von Menschen in Rassen diente also ursprünglich dazu, soziale Unterschiede zu begründen. Die „Rasse der Fürsten“ war nach dieser Definition höherwertiger als die „Rasse der Bauern“.

In unterschiedlichen Gesellschaften wurde in der Folge die Bezeichnung „Rasse“ in Bezug auf Menschen unterschiedlich gebraucht. Auffällig ist, dass sie stets dazu diente, die Überlegenheit einer Gruppe von Menschen einer anderen gegenüber zu erklären. Die Einteilung von Menschen in Rassen ist also auch politisch und dient letztlich der Sicherung von Herrschaft.

Rasse als Legitimation europäischen Machtstrebens

Relevant als wurde der Rassismus in der Zeit der großen Kolonialreiche. Die christlich geprägten europäischen Mächte benötigten eine als Wissenschaft verkleidete Legitimation der Kolonialisierung Afrikas und Südamerikas sowie für die Versklavung von Millionen von Afrikanern. Zur Erklärung der Überlegenheit der Europäer übernahmen Geisteswissenschaftler das Rassenkonzept aus den Naturwissenschaften. Der „weißen Rasse“ wurden gegenüber anderen „Rassen“ geistige und moralische Überlegenheit zugeschrieben, die ihre Herrschaft rechtfertigen sollte.

Im 19. Jahrhundert erreichte der theoretische Rassismus einen ersten Höhepunkt, insbesondere ausgehend von einem Werk des deutsch-britischen Publizisten k: Houston Stewart Chamberlain :k. Für Chamberlain war die Menschheitsgeschichte eine Geschichte des „rassischen Gegensätze“. Auch der sogenannte „Sozialdarwinismus“ spielte im sozialwissenschaftlichen Diskurs eine große Rolle. Aus der Evolutionstheorie folgerten Sozialwissenschaftler, dass es bei der gesellschaftlichen Entwicklung ähnliche Prozesse gebe wie bei der Entstehung der Arten. Gesellschaftlicher Fortschritt sei durch den „Überlebenskampf“ von Nationen und Rassen bedingt.

Aus Erkenntnissen von Sprachwissenschaftlern folgerten einige, es gebe eine „arische Herrenrasse“

Sprachwissenschaftler hatten ebenfalls im 19. Jahrhunderts herausgefunden, dass indoiranischen Sprachen, insbesondere die altindische Sprache Sanskrit und die meisten europäischen Sprachen dieselben Wurzeln haben müssen. Diese Sprachen bezeichneten die Wissenschaftler früher als „arische Sprachen“. Die Vertreter des Rassismus folgerten daraus, es habe eine „arische Urrasse“ gegeben, aus der u.a. die Europäer hervorgegangen seien. Für Chamberlain war das „deutsche Volk“ die „reinste Ausprägung der arischen Rasse“. Überhaupt wurden von den Vertretern rassistischer Theorien Begriffe wie „Volk“, „Rasse“ und „Nation“ vermischt und synonym gebraucht. Die Nation war nicht mehr wie in der französischen Revolution ein Verband, der aktiv von den Menschen gebildet wird, die dazu gehören wollen. Sie wurde vielmehr als „Abstammungsgemeinschaft“ betrachtet.

Im Nationalsozialismus wurden diese seltsamen und zum Teil wirren Theorien radikalisiert und zur Staatsräson. Das „deutsche Volk“ als „reinste Ausprägung der arischen Herrenrasse“ habe die geschichtliche Aufgabe, über unterlegene Völker zu herrschen und diese zu versklaven. Besonders niederwertige „Rassen“, zu denen auch die Juden gehörten, seien im Interesse des „Überlebenskampfes des deutschen Volkes“ sogar zu vernichten.

Die Annahme, es gebe verschiedene Menschenrassen, ist widerlegt

Theorien sind nur dann ernst zu nehmen, wenn sie in der Wirklichkeit überprüft werden können. Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper hat insoweit eine einleuchtende Methode vorgeschlagen. Nach seiner Auffassung können wissenschaftliche Theorien durchaus frei erfunden werden. Sie müssen nur in sich widerspruchsfrei sein und Aussagen treffen, die in der Praxis überprüft und prinzipiell widerlegt werden können.

Eine grundlegende Aussage aller Rassismustheorien ist, dass es menschliche Rassen gibt. Insoweit lohnt es sich also, sich mit den Forschungsergebnissen in der Biologie auseinander zu setzen.

Die vererbbaren Informationen in der Zelle eines Lebewesens, die Chromosomen und die Desoxyribonukleinsäure (DNS oder DNA), werden als „Genom“ oder „die Gene“ bezeichnet. Das menschliche Genom wurde 2007 vollständig entschlüsselt. Ein wichtiges Ergebnis war, dass der genetische Code des Menschen keine Rassen bestimmt. An der Entschlüsselung war der  amerikanische Biochemiker John Craig Venter maßgeblich beteiligt. Bei der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse gab er bekannt, dass es mehr Unterschiede zwischen Menschen schwarzer Hautfarbe als zwischen Menschen schwarzer und heller Hautfarbe gebe. Auch gebe und es mehr Unterschiede zwischen den sogenannten „Kaukasiern“ als zwischen Kaukasiern und Nicht-Kaukasiern.

Es gilt seitdem in der Biologie als obsolet, dass es menschliche Rassen gibt. Damit ist bereits in grundlegendste Aussage aller Rassismustheorien widerlegt. Das gilt im Übrigen auch für Theorien, die den Begriff der „Rasse“ durch den Begriff der „Ethnie“ ersetzen wollen. Die Vertreter des „modernen Rassismus“ behaupten, die so gebildeten ethnischen Gruppen dürften nicht vermischt werden. Vielmehr müssten sie räumlich voneinander getrennt werden, damit sie nicht ihre kulturelle Eigenart verlören. Diese vielleicht bei erster Betrachtung plausibel erscheinende Auffassung verkennt aber völlig die Dynamik, mit der sich auch Kultur entwickelt. Sie ist beileibe nichts Statisches. Die westdeutsche Alltagskultur der 50er und der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war jeweils schon sehr unterschiedlich. Die in der DDR gelebte Kultur war eine völlig andere als die in der Bundesrepublik bis 1990 gelebte Kultur. Auch wird Kultur stets „von außen“ mit beeinflusst, etwa über die Musik, über Spielfilme und Serien sowie über Literatur.

Die Vorstellung, es gebe ein deutsches Volk, das in direkter Linie von Germanen abstammt ist ebenso unsinnig, wie der Glaube, Franzosen seien so etwas wie moderne Gallier. Deutsche wie Franzosen sind Angehörige sozialer Gruppen, die sich mit der Bildung von Flächenstaaten politisch gebildet haben.