Auswahlgespräche bei Behörden erfolgen regelmäßig an Hand eines Fragenkataloges. Das darf für eine Stellenbesetzung aber nicht alleinentscheidend sein. Copyright by Adobe Stock/ Freedomz
Auswahlgespräche bei Behörden erfolgen regelmäßig an Hand eines Fragenkataloges. Das darf für eine Stellenbesetzung aber nicht alleinentscheidend sein. Copyright by Adobe Stock/ Freedomz

Der Antragsteller des Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart bewarb sich auf Dienstposten eines Sachgebietsleiters. Insgesamt gab es zehn Bewerber*innen.
 

Der Antragsteller erhielt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch

Der Dienstherr führte mit fünf Interessenten ein Vorstellungsgespräch. Der Antragsteller erhielt hierfür ebenfalls eine Einladung. Das Vorstellungsgespräch bestand aus einem Fragenkatalog mit zwölf Fragen zuzüglich zweier weiterer Fragen zum eigenen Fortbildungsbedarf und der Arbeitszeitvorstellung. Allen Bewerber*innen stellte das Auswahlkomitee dieselben Fragen und notierte die Antworten jeweils stichwortartig.
 
Für die gegebenen Antworten erhielten die Bewerber Punkte. Anhand der Punktzahl ergab sich eine Rangfolge der Kandidaten. Der Antragsteller lag in der Rangfolge auf Platz vier.
 

Der Antragsteller leitete ein Eilverfahren beim Verwaltungsgericht ein

Die Kommission wählte den Bewerber mit der höchsten Punktzahl aus. Der Antragsteller wandte sich gegen diese Auswahl mit dem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht. Er wollte damit erreichen, dass die Stelle so lange nicht besetzt werden darf, bis über seinen Widerspruch rechtskräftig entschieden ist.
 
Er begründete seinen Antrag damit, er könne seinem Ablehnungsschreiben nicht entnehmen, wann die Stelle besetzt werden solle. Er halte die Entscheidung für falsch, weil seine dienstliche Beurteilung Berücksichtigung finden müsse. Diese stehe noch nicht abschließend fest. Er habe dagegen Widerspruch eingelegt.
 

Der Konkurrent des Antragstellers befand sich in einem niedrigeren Statusamt

Er selbst befinde sich auch in einem höheren Statusamt als sein Konkurrent. Seine Leistungen im höheren Statusamt müsse der Dienstherr deshalb auch höher gewichten. Der Dienstherr habe die Auswahl unter den Konkurrenten jedoch nur auf der Basis der durchgeführten Auswahlgespräche getroffen. Das sei nur dann zulässig, wenn hinsichtlich der dienstlichen Beurteilungen ein Gleichstand bestünde. Diesen Gleichstand in den dienstlichen Beurteilungen sehe er nicht.
 
Der Dienstherr bestätigte dem Verwaltungsgericht, dass sich der Konkurrent des Antragstellers zwei Besoldungsgruppen unter diesem befand. Würde dieser Konkurrent die ausgeschriebene Stelle erhalten, könne er unmittelbar nach einer ersten Bewährung bereits aufsteigen. Nach einer weiteren Bewährung würde er nochmals befördert und damit in die Besoldungsgruppe gelangen, in welcher sich der Antragsteller derzeit schon befinde.
 

Der Dienstherr erklärte, zunächst auf eine Beförderung zu verzichten

Eine Beförderungsstelle werde dann nicht mehr separat ausgeschrieben, gab der Dienstherr an. Es käme zu keinem neuen Auswahlverfahren. Allerdings sei nicht beabsichtigt, den Konkurrenten zu befördern, bevor im Eilverfahren nicht abschließend entschieden sei.
 
Der Dienstherr bestätigte darüber hinaus, er werde einen etwaigen Bewährungsvorsprung des Konkurrenten gegenüber den übrigen Bewerbern „ausblenden“, also nicht berücksichtigen, falls er die Auswahlentscheidung wiederholen müsse.
 

Es ging nicht um die Besetzung eines Statusamtes, sondern eines Dienstpostens

Das Verwaltungsgericht stellt in seinem Beschluss fest, dass es sich bei dem Verfahren nicht um den üblichen Konkurrentenrechtsstreit handele. Dort könne eine Beförderung nach Aushändigung einer Ernennungsurkunde nicht mehr rückgängig gemacht werden.
 
Hier habe der Dienstherr kein Statusamt, zum Beispiel dasjenige eines Oberamtsrates, ausgeschrieben. Es gehe um den konkreten Dienstposten, also die Stelle eines Sachgebietsleiters. Die Ausschreibung führe weder eine Amtsbezeichnung noch eine Besoldungsgruppe auf. Lediglich die Leitungsfunktion sei erwähnt.
 

Die Besetzung eines Dienstpostens kann der Dienstherr jederzeit rückgängig machen

Anders als bei der Vergabe eines Statusamtes könne der Dienstherr die Besetzung eines Dienstpostens jederzeit rückgängig machen. In diesen Fällen sei es dem Betroffenen zumutbar, den üblichen Rechtsweg zu beschreiten. Eines Eilverfahrens im Rahmen eines Konkurrentenrechtsstreit bedürfe es nicht, denn es drohe kein Nachteil, der nicht wieder gutzumachen wäre.
 
Die Auswahl eines Bewerbers für einen Dienstposten könne die Rechte eines Beamten jedoch beeinträchtigen, wenn diese Auswahlentscheidung sich auf eine nachfolgende Beförderung auswirke.
 

Es ging um einen höherwertigen Dienstposten

So liege der Fall hier. Die ausgeschriebene Tätigkeit eines Sachgebietsleiters stelle sowohl für den Antragsteller als auch für dessen Konkurrenten einen höherwertigen Dienstposten dar. Der  Konkurrent stiege sogar mehrere Besoldungsstufen nacheinander auf. Übertrage der Dienstherr dem Konkurrenten diesen Dienstposten, schaffe er für ihn die laufbahnrechtliche Voraussetzung für spätere Beförderungen.
 
Würde der Konkurrent auf diesem Dienstposten beschäftigt, erlange er einen Bewährungsvorsprung gegenüber anderen Mitbewerbern. Dies führe dazu, dass er im Verfahren größere Erfolgsaussichten hätte als andere, wenn der Dienstherr die Auswahlentscheidung wiederholen müsse.
 

Das Eilverfahren führt zu einer Stellenblockade

Dieser Bewährungsvorsprung könne im gerichtlichen Eilverfahren zu einem vorläufigen Stellenbesetzungsstopp führen. Ein Eilverfahren löse damit eine Stellenblockade aus.
 
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf der Bewährungsvorsprung eines Bewerbers, der vorübergehend auf dem höherwertigen Funktionsamt eingesetzt worden ist, nicht berücksichtigt werden.
 
Der Dienstherr muss diesen Bewährungsvorsprung ausblenden. Das Ausblenden der höherwertigen Aufgabenwahrnehmung verhindert den Vorsprung des Beamten gegenüber seinen Konkurrenten.
 

Auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung kommt es an

Für das Verwaltungsgericht Stuttgart steht deshalb die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung im Vordergrund. Solange sich die Besetzung eines Dienstpostens nicht auf die spätere Beförderung auswirke, dürfe der Dienstherr einen höherwertigen Dienstposten vorläufig besetzen. Er könne eine Auswahlentscheidung nachträglich ja wieder korrigieren, wenn diese sich im gerichtlichen Verfahren als rechtswidrig erweise.
 
Das gelte auch für dienstlichen Beurteilungen, die unter Berücksichtigung eines Bewährungsvorsprungs entstanden seien. Die müsse der Dienstherr auch ausblenden.
 

Das Ausblenden des Bewährungsvorsprungs bezieht sich auf alle Bewerber

Das Ausblenden des Bewährungsvorsprungs dürfe sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen dem ausgewählten und dem unterlegenen Bewerber beschränken. Es müsse sich auf sämtliche Mitbewerber der weiteren Auswahlentscheidung erstrecken.
 
Ausgeschlossen sei das Ausblenden in denjenigen Fällen, in welchen einer ersten Auswahlentscheidung keine weitere Auswahl nachfolge, sondern der ausgewählte und mit der Wahrnehmung des höherwertigen Dienstpostens betraute Beamte nach Feststellung seiner Bewährung unmittelbar befördert werde.
 

Bei andersartigem Dienstposten ist ein Ausblenden ausgeschlossen

Gleiches gelte, wenn der neue höherwertigen Dienstposten völlig andersartig sei und kein Urteil über die Leistungen des*der Beamt*in auf einem Dienstposten mehr zulasse, der dem bisherigen Statusamt oder Dienstgrad entsprechende.
 
Damit bleibe das Ausblenden eines Bewährungsvorsprungs möglich, wenn die Bewerber bei der Vergabe eines Statusamtes erprobt seien und der Dienstherr durch die vorläufige Vergabe des Dienstpostens die kontinuierliche Aufgabenerfüllung gewährleisten wolle.
 

Ein Ausblenden kommt bei zusätzlichen Führungsaufgabe in Betracht

Ein Ausblenden komme insbesondere dann in Betracht, wenn die Höherwertigkeit des neuen Dienstpostens maßgeblich daraus resultiere, dass die dienstlichen Aufgaben weitgehend identisch blieben und lediglich zusätzliche Führungs- oder Leitungsaufgaben hinzu kämen.
 
Denn für das weitere Auswahlverfahren müsse die dienstliche Leistung des Beamten beurteilt werden, bei der aber gerade die Leistungen auf dem in Rede stehenden Dienstposten unberücksichtigt bleiben müssten. Das setze voraus, dass aufgrund der Leistungen auf dem übertragenen höherwertigen Dienstposten ein Rückschluss auf die Leistung dieses Beamten in seinem bisherigen Statusamt oder Dienstgrad möglich sei.
 
Andernfalls hätte die dienstliche Beurteilung keinerlei Substanz. Damit dürften die dem bisherigen Statusamt oder Dienstgrad entsprechenden Tätigkeiten auf dem neuen Dienstposten nicht völlig unbedeutend und untergeordnet sein.
 

Nur der Dienstherr darf einen Bewährungsvorsprung ausblenden

Gerichte dürften einen Bewährungsvorsprung keineswegs selbst ausblenden. Es handele sich hierbei um eine Aufgabe des jeweiligen Dienstherrn. Nur dieser könne eine dementsprechende Entscheidung treffen, wenn er die vorläufige Besetzung eines Dienstpostens zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit seiner Behörde für erforderlich halte.
 
Hier habe der Dienstherr bestätigt, dass er einen Beförderungsdienstposten besetzen wolle. Im Fall der Auswahl des Konkurrenten erhalte dieser später nach einer Bewährung ohne eine weitere Auswahlentscheidung mehrere Beförderungen nacheinander.
 
Das sei ein sogenanntes „einaktiges“ Vorgehen. In diesem Verfahren verbinde der Dienstherr die Besetzung eines Dienstpostens mit einer Beförderungsentscheidung. Das mache es einem konkurrierenden Bewerber unmöglich, später selbst noch Einfluss auf die Beförderung nehmen zu können.
 

Im einaktigen Vorgehen ist die Ausblendung ausgeschlossen

In Fällen dieses einaktigen Vorgehens sei es ausgeschlossen, den Bewährungsvorsprung auszublenden. Daran ändere sich auch nichts, wenn der Dienstherr - wie hier - zusätzlich erklärt habe, den Konkurrenten vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zu befördern.
 
Das Gericht hielt es grundsätzlich für zulässig, sowohl eine Ausblendungszusage als eine Zusage dahingehend abzugeben, eine Beförderung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nicht vorzunehmen.
 

Der Antragsteller im Eilverfahren braucht einen Anordnungsgrund

Die Zusage des Dienstherrn, die Stelle bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zu besetzen, lasse den Anordnungsgrund entfallen, womit das Eilverfahren hinfällig werde.
 
Um in einem Eilverfahren eine Entscheidung des Gerichts über einen vorläufigen Stellenbesetzungsstopp erhalten zu können, muss ein Anordnungsgrund vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne vorläufige gerichtliche Entscheidung ein Nachteil entstünde, der später nicht mehr wieder gut zu machen wäre.
 

Trotz der Zusagen des Dienstherrn besteht ein Anordnungsgrund

Gebe der Dienstherr eine Zusage über die Ausblendung eines Bewährungsvorsprungs und sage er gleichzeitig zu, die Stelle bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zu besetzen, liege wohl ein Anordnungsgrund mehr für ein Eilverfahren vor. Der Dienstherr habe hier aber bloß zugesagt, von einer Besetzung der Stelle bis zum Abschluss des Eilverfahrens. Das reiche nicht aus.
 
Wenn der Antragsteller hier in einem späteren Klageverfahren Erfolg hätte, weil seine Bewerbung zu Unrecht abgelehnt worden sei, könne die Beförderung des Konkurrenten nicht mehr rückgängig gemacht werden.
 
Diesen Nachteil könne der Antragsteller nur im Wege der einstweiligen Anordnung verhindern. Deshalb bestehe trotz der beiden Zusagen des Dienstherrn ein Anordnungsgrund
 

Das Bewerbungsverfahren hatte viele Fehler

Der Antragsteller habe seinen Anspruch auch glaubhaft gemacht. Das Bewerbungsverfahren leide an gravierenden rechtlichen Fehlern. Die Auswahl sei ausschließlich auf der Grundlage eines Vorstellungsgesprächs erfolgt. Der Dienstherr habe nicht vorrangig dienstliche Beurteilungen herangezogen.
 
Der Dienstherr müsse eine Auswahl jedoch zwingend anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen vornehmen. Ein Auswahlgespräch könne diese Erkenntnisquelle für die Frage der Eignung, Befähigung und Leistung nicht ersetzen. Zwar sei es durchaus zulässig, Auswahlgespräche durchzuführen. Das könne aber nicht die alleinige Grundlage einer Auswahlentscheidung über die Besetzung eines Dienstpostens im einaktigen Verfahren sein. Auswahlgespräche kämen nur als zusätzliche leistungsbezogene Elemente in Betracht.
 

Die Kriterien für das Auswahlgespräch waren nicht bekannt

Im hiesigen Verfahren könne das Ergebnis der Vorstellungsgespräche jedoch nicht berücksichtigt werden. Zum einen habe der Dienstherr nicht deutlich gemacht, dass die Auswahlgespräche nach einheitlichen Kriterien und Maßstäben bewertet wurden, die er im Vorhinein festgelegt hat. Es sei außerdem völlig unklar, anhand welcher Parameter die Punkte vergeben wurden. Schließlich sei die Dokumentation der Auswahlgespräche nicht frei von rechtlichen Bedenken, denn es lägen nur stichwortartige Protokolle vor.
 
Der Dienstherr habe zudem die Voraussetzungen für ein einaktiges Verfahren im Zusammenhang mit der Verknüpfung der Dienstpostenvergabe und der Beförderung nicht erfüllt. Diese Verknüpfung müsse transparent sein. Der Bewerberkreis müsse deshalb von vornherein wissen, dass mit der Vergabe des Dienstpostens zugleich auch die laufbahnrechtliche Bewährung und damit eine Beförderung verbunden sei.
 

Viele Fehler führen zum vorläufigen Stellenbesetzungsstopp

Die Auswahlentscheidung scheitere somit an mehreren rechtlichen Voraussetzungen. Dem Dienstherrn sei daher die Besetzung des Dienstpostens mit dem Konkurrenten des Antragstellers bis zur bestandskräftigen bzw. rechtskräftigen Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers zu untersagen.

Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 07. Januar 2021