Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erkennt keinen groben Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Landes
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erkennt keinen groben Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Landes

Mit Urteil vom 21.07.2016 hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg entschieden, dass verbeamtete Lehrer vorab auf die Geltendmachung von Reisekosten für außerunterrichtliche Veranstaltungen wirksam verzichten können. Es verstoße insbesondere dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn im Dienstreiseformular systematisch ein (Teil-)Verzicht auf Reisekosten abgefragt werde.

Formular für Dienstreiseanträge für Lehrer beinhaltet Verzicht auf Reisekostenerstattung für außerunterrichtliche Veranstaltungen der Schulen

Die Verwaltungsvorschrift des baden-württembergischen Kultusministeriums vom 06.10.2002 "Außerunterrichtliche Veranstaltungen der Schulen" sieht vor, dass die Gesamtlehrerkonferenz über die Grundsätze der in einem Schuljahr stattfindenden Veranstaltungen berät und beschließt.


Die Genehmigung solcher Veranstaltungen durch den Schulleiter ist nur im Rahmen der verfügbaren, den Schulen vorab mitgeteilten Mitteln möglich. Es sei denn die teilnehmenden Lehrer*innen und Begleitpersonen verzichten vorher ganz oder teilweise auf Reisekostenvergütung.


Das entsprechende Formular für Dienstreiseanträge enthält daher folgenden Text:


„Mir ist bekannt, dass ich einen Anspruch auf Reisekostenvergütung habe, auf den ich aber ganz oder teilweise verzichten kann. Außerdem ist mir bekannt, dass

  • ein solcher Verzicht von mir nicht erwartet wird,
  • eine Verzichts- oder Teilverzichtserklärung aber bei bereits verbrauchten Reisekostenmitteln die Veranstaltung ermöglichen kann,
  • auch in diesen Fällen Anspruch auf beamtenrechtliche Unfallfürsorge bzw. Unfallversicherungsschutz besteht.


In Kenntnis dieser Sachlage erkläre ich:

Verantwortliche/r Lehrer/in

[ ] Ich werde die volle Reisekostenvergütung beantragen.
[ ] Ich verzichte auf den ___ Euro übersteigenden Betrag.
[ ] Ich verzichte auf Reisekostenvergütung.

Datum______ Unterschrift______“

Lehrer gibt Teilverzicht ohne Angabe eines Betrags an

Der verbeamtete Realschullehrer beantragte im Mai 2013 bei seiner Schulleitung, eine fünftägige Abschlussfahrt mit Musicalbesuch in Berlin mit einer 10. Klasse als Dienstreise zu genehmigen. Als voraussichtliche Kosten für ihn und eine Begleitperson brachte er Kosten in Höhe von 220 Euro in Ansatz. Im Genehmigungsformular kreuzte er das zweite Feld an. Er unterschrieb die Erklärung und ließ das Feld zum Eintrag eines Euro-Betrags frei. Hieraufhin genehmigte die Schulleiterin den Dienstreiseantrag und füllte das Betragsfeld mit 88 Euro aus.


Das Landesamt für Besoldung und Versorgung setzte die Reisekosten des Klägers auf 88 Euro fest. Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe.

Erstinstanzlich obsiegt der Kläger vollumfänglich - Land ist zur Erstattung notwendiger, dienstlich veranlasster Reisekosten verpflichtet

Das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe entsprach dem Klagebegehren des Klägers und verpflichtete das Land Baden-Württemberg (Beklagter), ihm weitere Reisekosten in Höhe von 109,54 € zu gewähren. Begründet wurde dies damit, dass das Land sich auf den Verzicht des Klägers nicht berufen könne, da dies gegen Treu und Glauben verstoße.


Es sei zur Erstattung notwendiger, dienstlich veranlasster Reisekosten verpflichtet. Diese Fürsorgepflicht verletze das Land als Dienstherr, wenn er im Antragsformular für die Genehmigung von Dienstreisen für außerunterrichtliche Veranstaltungen systematisch einen Verzicht auf Reisekosten abfrage.


Hierdurch werde ein schwerwiegender Interessen- und Loyalitätskonflikt ausgelöst, da vom Lehrer ein abwechslungsreicher Unterricht erwartet werde, ein Verzicht auf außerunterrichtliche Veranstaltungen die Missbilligung von Schülern und Eltern und negative Konsequenzen bei der dienstlichen Beurteilung nach sich ziehen und das Verlangen voller Reisekostenerstattung zum Vorwurf unkollegialen Verhaltens führen könne.

Zweitinstanzlich vollständige Klageabweisung- VGH erklärt Verzicht auf Reisekosten für rechtlich zulässig

Auf die Berufung des Landes hat der Vierte Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg das Urteil des VG Karlsruhe geändert und die Klage vollständig abgewiesen. Der Verzicht auf eine Reisekostenvergütung sei rechtlich zulässig. Darin liege kein verbotener Verzicht auf die Besoldung. Denn die Reisekostenvergütung sei nicht Teil der Besoldung.

Der Einwand des Klägers, er wisse bei Beantragung einer Dienstreise für eine außerunterrichtliche Veranstaltung nicht, welcher Betrag ihm für die Veranstaltung als Reisekosten zur Verfügung stehe, verfing bei den Richtern*innen der zweiten Instanz nicht. Denn, die Verwaltungsvorschrift „Außerunterrichtliche Veranstaltungen der Schule“ sehe ein Verfahren vor, dass es dem Lehrer ermögliche, hinreichend konkret zu erfahren, welches Budget er für eine außerunterrichtliche Veranstaltung erhalte.

Er könne mithin eine Veranstaltung durchführen, die dieses Budget einhalte, sodass ihm keine weiteren Kosten entstehen und ein (Teil-)Verzicht nicht erforderlich ist. Im Übrigen stehe es ihm auch frei, überhaupt keinen (Teil-)Verzicht zu erklären, sodass hernach Schulleitung bzw. Gesamtlehrerkonferenz entscheiden müssten, ob die Veranstaltung dennoch finanziert und durchgeführt werden könne. Das Land handle nicht wider Treu und Glauben, wenn es sich auf den Verzicht berufe.

Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung sei nur begründet, wenn ein qualifiziertes Fehlverhalten des Dienstherrn vorliege. Daran aber fehle es hier. Der Dienstherr und damit auch die Schulen seien an die sich aus dem Landeshaushaltsrecht ergebenden Begrenzungen gebunden. Bei dem nach der Verwaltungsvorschrift erfolgenden Beschluss über die in einem Schuljahr stattfindenden außerunterrichtlichen Veranstaltungen habe die Gesamtlehrerkonferenz deshalb zu berücksichtigen, dass der Landesgesetzgeber hierfür nur begrenzte Mittel - in den Haushaltsjahren 2014, 2015 und 2016 jeweils rund 3 Mio. € - zur Verfügung gestellt habe. Innerhalb des Schulbudgets bestehe für die Schulen und Lehrer hingegen Gestaltungsfreiraum.

 

Dem Kläger wurden die Verfahrenskosten auferlegt. Die Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil vom 20.07.2016 kann innerhalb eines Monats nach Zustellung der vollständigen Entscheidung vom Kläger durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden.

 

  • Anmerkung:

 

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen und Bundesarbeitsgericht erkennen in vergleichbaren Fällen grobe Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Diese Erkenntnis bleibt dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg jedoch verschlossen.


In einem vergleichbaren Fall in Nordrhein-Westfalen hatte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) am 14.11.2012, unter dem Aktenzeichen 1 A 1579/10, entschieden, dass verbeamtete Lehrer in jedem Fall Anspruch auf Reisekostenerstattung haben.

Die Leitsätze des OVG NRW zu der Entscheidung vom 14.11.2012 lassen klar erkennen, dass

 

  • es die Fürsorgepflicht des Dienstherrn verbietet, die Durchführung von Dienstgeschäften systematisch davon abhängig zu machen, dass der Beamte die hierfür benötigten Mittel ganz oder teilweise aus der für seine private Lebensführung und die seiner Familie bestimmten Alimentation aufbringt. Das gilt auch für Aufwendungen, die Lehrern aus Anlass von Schulfahrten (z.B. Klassen- oder Stufenfahrten) entstehen.
  • ein vom Dienstherrn in Bezug auf Schulfahrten bei den Lehrkräften systematisch abgefragter Verzicht auf Reisekosten den betroffenen Lehrer darüber hinaus in einen schwerwiegenden Interessen- und Loyalitätskonflikt führt, nämlich entweder auf berechtigte persönliche Ansprüche zu verzichten oder aber die schulischen und zugleich dienstlichen Belange zu vernachlässigen. Das ist als grobe Verletzung der Fürsorgepflicht zu werten.
  • es dem Dienstherrn hiervon ausgehend unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung grundsätzlich verwehrt ist, sich gegenüber dem Anspruch betroffener Lehrer auf Reisekosten für Schulfahrten auf formularmäßig abgefragte Verzichtserklärungen zu berufen. 


Im dem Fall einer angestellten Lehrerin hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) der Pädagogin ebenfalls Recht gegeben. Am 16.08.2012 entschieden die Erfurter Richter*innen des Neunten Senats, dass Schulen ihre Lehrkräfte nicht unter Druck setzen dürfen, indem sie die Genehmigung einer Fahrt an den Kostenverzicht binden (Aktenzeichen: 9 AZR 183/11).

Denn, so das BAG: Mit dem Verzicht auf die Reisekostenerstattung verstoße das Land „grob gegen die Fürsorgepflicht“. Das Land müsse berücksichtigen, dass Schulfahrten Bestandteil der Bildungs- und Erziehungsarbeit seien. Dies dürfe nicht durch eine fehlende Reisekostenerstattung gefährdet werden.

Die vorgenannten Entscheidungen sind zu begrüßen und machen auch Sinn. Denn es sind keine Gründe ersichtlich, die Lehrer*innen verpflichten könnten, bei außerunterrichtlichen Veranstaltungen die hierbei anfallenden Kosten insgesamt, oder auch nur teilweise selbst zu übernehmen.

Entscheidung des VGH Baden-Württemberg schlechthin nicht nachvollziehbar

Nicht nachvollziehbar indes erscheint daher die Entscheidung des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.07.2016, der zu dem Ergebnis kam, dass das Land nicht wider Treu und Glauben handele, wenn es sich auf den Verzicht berufe. Denn der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung sei nur begründet, wenn ein qualifiziertes Fehlverhalten des Dienstherrn vorliege. Da diese Begründung der Entscheidung auf „wackeligen Füßen steht“, hätte es nahegelegen die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zuzulassen.


Dass die Mitglieder des Vierten Senats des baden-württembergischen VGH dem Kläger nicht die Möglichkeit einräumten, die aus hiesiger Sicht fragliche Entscheidung durch das BVerwG überprüfen zu lassen, verwundert zunächst.


Zugleich wirft sich die Frage auf, welche Beweggründe es gewesen sein mögen, die die Mannheimer VGH-Richter*innen veranlassten, ihre Entscheidung nicht auf den Prüfstand zu stellen. Da davon auszugehen ist, dass diese Frage nicht beantwortet wird, bleibt zu hoffen, dass es dem Kläger gelingen möge, über den sicherlich beschwerlichen Weg der Beschwerde, die Zulassung der Revision vor dem BVerwG durchzusetzen.

 

Hier geht es zur Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 21.07.2016: 

Link zur Verwaltungsvorschrift des baden-württembergischen Kultusministeriums vom 06.10.2002 "Außerunterrichtliche Veranstaltungen der Schulen“ 

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14.11.2012, Az: 1 A 1579/10: 

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.10.2012, Az: 9 AZR 183/11