Während einer Bereitschaftszeit bleibt der Dienstwagen oft auch lange untätig stehen, muss aber ebenso wie die Beamten jederzeit einsatzbereit sein. Copyright by Adobe Stock/ArTo
Während einer Bereitschaftszeit bleibt der Dienstwagen oft auch lange untätig stehen, muss aber ebenso wie die Beamten jederzeit einsatzbereit sein. Copyright by Adobe Stock/ArTo

Als Polizeihauptkommissar in Nordrhein-Westfalen leistete der Kläger Bereitschaftsdienst. Der Dienstherr rechnete sie ihm jedoch nur zur Hälfte auf die Arbeitszeit an. Damit war der Kläger nicht einverstanden. Er wollte den vollen Freizeitausgleich. Darum stritt er mit seinem Dienstherrn bis zum Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen.
 

Bereitschaftsdienst ist keine Vollarbeitszeit

Die Richter befanden jedoch die Auffassung des Dienstherrn für richtig. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass dieser seinen Bereitschaftsdienst wie Vollarbeitszeit werte.
 
Weder nationales noch europäisches Recht gäben dem Kläger einen entsprechenden Anspruch. Der Europäische Gerichtshof habe zwar bereits entschieden, dass Geschädigten bei Verstößen gegen das Unionsrecht ein Entschädigungsanspruch zustehen könne. Dies gelte jedoch nur, wenn die Dauer seiner Arbeit gegen Unionsrecht verstoße.
 

Der Kläger stand während der Bereitschaft seinem Dienstherrn zur Verfügung

Das sei beim Kläger jedoch nicht der Fall. Zwar handele es sich bei dem Bereitschaftsdienst um Arbeitszeit; denn Beschäftigte müssen sich dabei an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, um gegebenenfalls sofort die vereinbarte Leistung erbringen zu können. Allein schon diese Verpflichtungen seien Bestandteil der Aufgaben von Beschäftigten. Ob dabei tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht werde, sei ohne rechtliche Bedeutung.
 
Der Kläger habe während seiner Bereitschaftszeit dem Dienstherrn zur Verfügung gestanden. Er habe dabei die Pflicht gehabt, jederzeit zum Einsatz bereit zu stehen. Der Dienstherr habe diesen Bereitschaftsdienst auch als Arbeitszeit gewertet, ihn jedoch nur hälftig anerkannt. Das gäben die Vorschiften in Nordrhein-Westfalen auch so vor.
 

Die Arbeitszeit des Klägers verstieß nicht gegen EU-Recht

Allerdings hätten die Bereitschaftszeiten des Klägers nicht über der Grenze gelegen, die rechtlich zulässig war. Der Kläger habe insofern nicht rechtswidrig mehr arbeiten müssen als das EU-Recht zulasse. Nur in diesen Fällen gestehe ihm die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes einen Anspruch auf Entschädigung zu.
 
Auch das nationale Recht gewähre dem Kläger nicht den gewünschten Ausgleich. Zwar gebe es grundsätzlich im Beamtenrecht einen Anspruch auf einen Ausgleich für zuviel geleistete Arbeit. Das ergebe sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, der auch für das Beamtenverhältnis gelte. Dieser Grundsatz verpflichte in unserer Rechtsordnung alle Menschen, sich redlich und anständig zu verhielten.
 

Auch der Dienstherr muss sich redlich und anständig verhalten

Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits mehrfach entschieden, dass sich auch der Dienstherr den Beamt*innen gegenüber entsprechend verhalten müsse. Gegen den Grundsatz von Treu und Glauben habe dieser aber nur dann verstoßen, wenn die Dauer der Arbeitszeit länger sei als die Gesetze es erlaubten. Dann müsse er Zeiten des Bereitschaftsdienstes in gleicher Höhe bezahlen wie Vollzeitarbeit.
 
Der Kläger habe die zulässige Höchstarbeitszeit jedoch nicht überschritten. Auch ansonsten habe der Dienstherr keinerlei rechtswidrige Anordnungen zum Bereitschaftsdienst ausgesprochen. Die Bereitschaftszeiten des Klägers hätten vielmehr durchweg auf rechtmäßigen Anordnungen beruht.
 

Beamte haben keinen Anspruch nach Treu und Glauben, wenn sie rechtmäßig Bereitschaftsdienst leisten

Für den Fall, dass der Dienstherr den Kläger rechtmäßig zum Dienst herangezogen habe, ergebe sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben kein Anspruch. Es bestünden nämlich sachgerechte Gründe, zwischen rechtswidriger und rechtmäßiger Inanspruchnahme zu unterscheiden.
 
Das Bundesverwaltungsgericht begründe einen Anspruch aus Treu und Glauben regelmäßig mit einem Verstoß gegen die europarechtlich vorgegebene Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Ziel des Anspruchs sei dabei vor allem der Ausgleich eines vom Dienstherren begangenen Rechtsfehlers. Der Grundsatz von Treu und Glauben verlange aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts eine von Rücksicht und Redlichkeit geprägte gegenseitige Pflichterfüllung.
 

Der Grundsatz von Treu und Glauben findet nur bei Pflichtverstößen Anwendung

Der Grundsatz von Treu und Glauben schütze dabei das Vertrauen darauf, dass sich der jeweils andere bei der Erfüllung seiner Pflichten an diesen Maßstäben orientiere. Mithin könne ein Anspruch aus diesem Grundsatz nur dann entstehen, wenn ein Pflichtenverstoß auch tatsächlich vorliege. Nur dann sei das Vertrauen eines Beamten schutzwürdig, der Dienstherr werde dafür einen Ausgleich geschaffen, dass er den*die Beamten*in über die zulässige Arbeitszeit hinaus herangezogen habe.
 

Auch das nordrhein-westfälische Landesbeamtengesetz gibt dem Kläger keinen Anspruch

Der Kläger könne sich auch auf das nordrhein-westfälische Landesbeamtengesetz nicht stützen. Danach sei der Beamte verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erforderten. Werde er mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so müsse der Dienstherr ihm innerhalb eines Jahres für die geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung gewähren.
 
Mehrarbeit sei aber nur der Dienst, den ein Beamter aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung über die regelmäßige Zeit hinaus, also nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs, verrichte.
 

Für Polizeivollzugsbeamte gibt es spezielle Regelungen

Für die Arbeitszeit der Nordrhein-Westfälischen Polizeivollzugsbeamten gebe es spezielle Regelungen. Danach könne nämlich Freizeitausgleich für geleistete Stunden im Bereitschaftsdienst in vollem Umfang nur dann erfolgen, wenn die Beamten während des Bereitschaftsdienstes auch tatsächlich dienstlich tätig würden.
 
Die Vorschriften erfassten damit also nur Zeiten, in welchen der Kläger aktiv dienstlich tätig geworden sei. Der Kläger hatte sich demgegenüber in den streitigen Zeiten nur bereithalten müssen, also keinen aktiven Dienst geleistet.

Die Bereitschaftszeiten dürfen angeordnet werden

Nach den geltenden rechtlichen Bestimmungen dürfe das Land Nordrhein-Westfalen für seine Polizeivollzugsbeamten auch Bereitschaftszeiten anordnen, wenn dies zwingend erforderlich sei, um die öffentlichen Sicherheit oder Ordnung aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen.
 
Dafür müsse der Dienstherr dann eine Dienstbefreiung in angemessener Zeit gewähren. Die Arbeitszeitregelungen in Nordrhein-Westfalen bestimme, dass in diesen Fällen die Dienstbefreiung die Hälfte der Bereitschaftszeiten betrage.
 

Es ist zulässig, Beamte nur zur Hälfte der geleisteten Bereitschaft vom Dienst zu befreien

Das Gericht habe gegen diese Vorschriften auch keine rechtlichen Bedenken. Das Recht der europäischen Union gebiete keineswegs, eine bestehende nationale Regelung außer Acht zu lassen, die Dienstbefreiung in angemessener Zeit im Rahmen eines Freizeitzeitausgleichs für rechtmäßig geleistete Bereitschaftsdienste nicht im Verhältnis 1:1 vorsehe.
 
Das Recht der Europäischen Union fordere nur, dass Bereitschaftsdienstes mit dem Volldienst im Interesse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes gleichgesetzt werde. Das beziehe sich ausschließlich auf die geleistete Arbeitszeit, gelte nicht hinsichtlich der Gewährung von Freizeitausgleich.
 

Das geltende Recht darf zwischen Vollarbeitszeit und Bereitschaftsdienst unterscheiden

Eine Bestimmung, dass der nationale Gesetzgeber in keinem Fall außerhalb arbeitsschutzrechtlicher Zusammenhänge zwischen Bereitschaftsdienst und Volksdienst unterscheiden dürfe, enthalte die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union nicht.
 
Die europäische Richtlinie lege Mindestvorschriften fest, die dazu bestimmt seien, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer dadurch zu verbessern, dass innerstaatliche Arbeitszeitvorschriften angeglichen würden. Damit solle eine Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung erreicht werden. Dies geschehe dadurch, dass die Richtlinie der Europäischen Union Mindestruhezeiten, angemessene Ruhepausen sowie Obergrenzen für die wöchentliche Arbeitszeit gewähre. All das diene einem besseren Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer.
 

Für Polizeivollzugsbeamte gilt eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden

Die arbeitszeitrechtliche Regelung für Polizeivollzugsbeamten in Nordrhein-Westfalen widerspreche dem Schutzzweck der Europäischen Richtlinie nicht. Deren Ziele seien damit auch nicht gefährdet. Auch in Nordrhein-Westfalen liege die wöchentliche Höchstarbeitszeit bei 48 Stunden.
 
Die Arbeitszeitrichtlinie schließe es nicht aus, einen Freizeitausgleich für Bereitschaftszeiten abhängig davon zu gestalten, wie hoch die Intensität der Belastung gewesen sei. Während eines Bereitschaftsdienstes sei der Polizeibeamte nämlich nicht ununterbrochen beschäftigt. Er habe sich nur an einem bestimmten Ort für einen jederzeitigen Einsatz bereit zu halten. Bereitschaftszeiten seien damit durch überwiegende Phasen der Ruhe und Entspannung geprägt.
 

Weitere Anspruchsgrundlagen sah das Gericht nicht

Diese Unterschiede rechtfertigten eine unterschiedliche Behandlung von Bereitschaftsdienstzeiten mit und ohne dienstlicher Inanspruchnahme. Auch andere Anspruchsgrundlagen sah das Gericht nicht. Der Kläger erhielt mithin weder den gewünschten Freizeitausgleich noch eine Bezahlung der offengebliebenen Bereitschaftszeiten.
 
Was damit bleibt ist, dass das Europarecht konkret regelt, was auch nach einzelstaatlichen Vorschriften als Arbeitszeit gilt: der Arbeitgeber bestimmt Zeit und Ort. Das Europarecht regelt aber nicht, wie viel Geld jemand für die Arbeit bekommt. Das ist allein Sache der Mitgliedsstaaten. Und deshalb dürfen sie u.a. selbst festlegen, dass für Bereitschaftszeit weniger gezahlt wird als für volle Arbeit.
 
 
Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte in erster Instanz anders geurteilt. Wir hatten darüber berichtet:

Auch für die Polizei gilt: Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit

Leider ist das Oberverwaltungsgericht den Richtern aus Gelsenkirchen nicht gefolgt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gewährt Beamten Entschädigungen für Bereitschaftsdienstzeiten zwischenzeitlich überwiegend einheitlich nur dann, wenn es sich um unionrechtswidrige Zuvielarbeit gehandelt hatte.

Europäisches Recht verbietet es demzufolge nicht, dass inländische Gesetze und Verordnungen Bereitschaftszeiten in Ruhe zu Bereitschaftszeiten mit tatsächlicher Inanspruchnahme unterschiedlich behandeln.

Lesen Sie hierzu mehr:

Anspruch auf Freizeitausgleich für unionsrechtswidrige Mehrarbeit

Bereitschaftszeit ist und bleibt dabei aber immer Arbeitszeit. Lesen Sie dazu auch:

Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit


Wir haben uns in unterschiedlichen Zusammenhängen umfassend mit dem Thema „Bereitschaftsdienst“ befasst. Für Interessenten daher nun eine kleine Auswahl unserer Artikel zu diesem Thema:

Zu Hause immer dienstbereit, doch was wird bezahlt?

Die Anordnung von Mehrarbeit bei großem Polizeieinsatz

Rechtliche Grundlagen

§ 242 BGB

§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.