An- und Ausziehen von Ausrüstung zählt bei Polizisten zu Arbeitszeit.
An- und Ausziehen von Ausrüstung zählt bei Polizisten zu Arbeitszeit.

Damit gab das Oberverwaltungsgericht (OVG) für Nordrhein-Westfalen den Klagen mehrerer Polizisten statt, die die Umkleidezeiten als Arbeitszeit anerkannt haben wollten.

Auf- und Abrüsten ist Arbeitszeit

Die Polizisten sind im Wach- und Wechseldienst tätig und haben vor Beginn ihrer Schicht bestimmte persönliche Ausrüstungsgegenstände anzulegen und nach Schichtende wieder abzulegen.

 

 


Zu diesen Gegenständen gehören:

 

  • Pistole mit Holster
  • Reservemagazin mit Tasche
  • Handfessel Stahl mit Tragevorrichtung
  • Reizstoffsprühgerät mit Tragevorrichtung 
  • Tragevorrichtung für den Einsatzmehrzweckstock
  • Schutzweste 


Das Anlegen („Aufrüsten“) und Ablegen („Abrüsten“) dauert dabei insgesamt etwa 15 Minuten pro Schicht.

Oberverwaltungsgericht gibt Klägern Recht

Das OVG hat in den Verfahren festgestellt, dass die Kläger die ihnen persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände vor Schichtbeginn an- bzw. nach Schichtende abgelegt haben.

Die Kläger hatten nachgewiesen, dass ein Umkleiden in der Arbeitszeit nicht möglich war. Zwar sieht die Dienstanweisung eine Umkleidezeit von 15 Minuten vor, diese könne aber nicht zu Beginn der Schicht durchgeführt werden.

Würde man die Ausrüstung erst bei Dienstbeginn anlegen, entstehe eine Deckungslücke von etwa 15 Minuten, wenn sich die Beamten der abziehenden Schicht abrüsten und die Beamten der aufziehenden Schicht aufrüsten. Ein Überlappen der Dienstzeit sei nicht vorgesehen.

Damit haben sie nach Überzeugung des Gerichts über die geschuldete Arbeitszeit hinaus Dienst geleistet. Hieraus kann sich ein Ausgleichsanspruch ergeben. Im Umfang der geleisteten Arbeit wären die Beamten also vom Dienst freizustellen.

Land kann sich nicht auf geübte Praxis berufen

Damit unterlag das beklagte Land Nordrhein-Westfalen auch in der zweiten Instanz. Schon das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte entschieden, dass es sich nicht darauf berufen könne, sich auf die geübte Praxis zu berufen.

Dies sei treuwidrig, weil das Land es versäumt habe, das Auf- und Abrüsten während der Dienstschicht durch eine ausreichende personelle und sachliche Organisation sicherzustellen. Den Beamten dürfte kein Nachteil daraus entstehen, dass sie ihr Verhalten an den dienstlichen Gepflogenheiten ausrichten.

Geklagt hatten insgesamt fünf Polizeibeamte bei den Verwaltungsgerichten Gelsenkirchen, Arnsberg und Düsseldorf.

Pressemitteilung des OVG NRW: Oberverwaltungsgericht NRW: Zusätzlicher Dienst durch das Auf- und Abrüsten bei Polizeibeamten


Lesen Sie auch unsere Beiträge:
Umkleiden ist keine Freizeitbeschäftigung
Anlegen von Schutzkleidung zählt als Arbeitszeit
Kleider machen Leute? - Was darf mir der Chef vorschreiben?

Das sagen wir dazu:

Das Urteil ist wenig überraschend. Nach den allgemeinen Grundsätzen, wie sie auch für das Arbeitsrecht gelten, ist alles das Arbeitszeit, was dem Arbeitgeber/Dienstherren zuzuordnen ist. Dazu gehört zweifellos auch das An- und Ausziehen von berufsspezifischer Kleidung.

Erstaunlich ist, mit welcher Begründung das beklagte Land sich dagegen gewehrt hat, dass das Umkleiden als Arbeitszeit gewertet wird. Immerhin wäre es seine Aufgabe gewesen, die Dienste so zu „stricken“, dass sowohl das Umkleiden, als auch eine Übergabe und ein reibungsloser Betrieb möglich sind.

Der Verweis auf die „eingeübte Praxis“ bedeutet nichts anderes, als dass dieses Versäumnis über Jahre hinweg zu Lasten der Beschäftigten kompensiert wurde. Wenn sich das Land jetzt zu seinen Gunsten gegenüber den Beschäftigten auf diese Praxis beruft, so ist dies treuwidrig.

Konsequenzen können erheblich sein

Unmittelbare finanzielle Konsequenzen hat das Urteil jedoch nicht. Anders als bei Arbeitnehmern sind geleistete Überstunden nicht automatisch auszuzahlen. Die Mehrarbeit von Beamten ist vielmehr nach dem nordrhein-westfälischen Beamtenrecht grundsätzlich durch Freistellung auszugleichen und nur unter weiteren Voraussetzungen auszubezahlen.

Gleichwohl kann eine abzubauender Stundenüberhang zu erheblichen Problemen: bei einer Umkleidezeit von 15 Minuten täglich ergibt dies eine monatliche Mehrarbeit von fünfeinhalb Stunden pro Polizist. Bei über 40.000 Polizisten kommt hier eine erhebliche Anzahl an Stunden zusammen, selbst wenn nur ein Teil der Polizisten die Ausrüstungsgegenstände anlegen muss.

Das Land Nordrhein-Westfalen ist daher gut beraten, spätestens nach Rechtskraft des Urteils seine Dienstanweisungen zu ändern, um weitere Anhäufungen von Zeitguthaben zu vermeiden. 

Rechtliche Grundlagen

§ 61 Landesbeamtengesetz NRW

§ 61 Mehrarbeit

(1) Die Beamtin oder der Beamte ist verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern. Wird sie oder er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihr oder ihm innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren.

(2) Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle Beamtinnen und Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen Zeitraum von längstens 480 Stunden im Jahr eine Mehrarbeitsvergütung erhalten.