Auch Richter*innen können erkranken © Adobe Stock:  Krakenimages.com
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Im zu entscheidenden Fall hatte sich das Bundessozialgericht damit zu befassen, ob einem Kläger wegen einer überlangen Verfahrensdauer weitere Entschädigungsansprüche gegen den Staat zustehen. Der Kläger verlangte dabei auch eine Entschädigung für den Zeitraum, in dem der zuständige Richter erkrankt war und sein Verfahren insofern nicht bearbeitet werden konnte.

 

In seinem Leitsatz hatte das vorinstanzliche Gericht des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am 06.11.2020 zum Aktenzeichen L 37 SF 276/19 EK AL ausgeführt, dass ein Kläger eine Phase der gerichtlichen Inaktivität im Umfang von pauschal drei Monaten, die ersichtlich mit der Krankmeldung des zuständigen Richters im Zusammenhang steht, entschädigungslos hinzunehmen hat. Nach der vom Landesozialgericht unter Berufung einer ähnlich lautenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2013 zum Aktenzeichen 5 C 27/12 D vertretenen Auffassung liege ein Fall höherer Gewalt vor, der grundsätzlich eine vorübergehende Terminsverschiebung rechtfertigen könne. Eine längerdauernde Unterbrechung sei dann jedoch durch personelle Maßnahmen aufzufangen.

 

Dieser Ansicht folgte das Bundessozialgericht in der hier angesprochenen Rechtsprechung nicht und verurteilte das beklagte Land zu einer weiteren Entschädigungszahlung von 300,00 EUR.

 

Die rechtliche Grundlage

 

Rechtsuchende haben Anspruch auf ein zügiges Verfahren (Beschleunigungsgrundsatz) und einen Anspruch auf seinen gesetzlichen Richter (verfassungsrechtlich verankert in Art. 101 Abs.1 GG). Diese beiden Rechte stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander.

 

Jedes Gericht hat für die Garantie des gesetzlichen Richters ein Präsidium, das die Aufgabenverteilung im Gericht in einem Geschäftsverteilungsplan festlegt. Nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen ist eine Abänderung dieses Geschäftsverteilungsplanes zulässig, denn niemandem soll sein gesetzlicher Richter entzogen werden. Danach ist eine Änderung nur bei dauernder Verhinderung eines Richters möglich. Das bedeutet unter Umständen, auf die Genesung eines Richters warten zu müssen.

 

Demgegenüber steht jedoch der Beschleunigungsgrundsatz. Schafft es ein Gericht nicht, ein Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, kann dies für die betroffenen Rechtsuchenden zu einem Entschädigungsanspruch führen, der in § 198 Gerichtsverfassungsgesetz geregelt ist.

 

Geschaffen wurde diese gesetzliche Regelung nach mehreren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter anderem erstmals am 26.10.2000 zum Aktenzeichen Nr. 30210/96, denn in Artikel 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Recht für jeden EU-Bürger auf ein faires und zügiges Verfahren verbürgt.

 

In diesem Spannungsverhältnis hatte also das Bundessozialgericht zu entscheiden.

 

Die rechtliche Würdigung

 

Das Bundessozialgericht urteilte in der hier angesprochenen Entscheidung, dass der Staat Rechtsuchenden eine ausreichende personelle und sachliche Ausstattung der Justiz schulde. Dazu gehörten auch personelle Vorkehrungen für Erkrankungen des richterlichen Personals und andere übliche Ausfallzeiten. Diese müssten insbesondere eine wirksame Vertretung und falls erforderlich eine zügige Umverteilung der Geschäfte ermöglichen. Danach sei dem Kläger auch eine Entschädigung für die vom Landessozialgericht pauschal in Abzug gebrachten drei Monate Erkrankung des zuständigen Richters zu entschädigen.

 

Die Bewertung

 

Die Entscheidung ist zu begrüßen, klagen doch die Gerichte seit Jahren über eine mangelnde personelle Ausstattung. Es sind die zuständigen Ministerien berufen, ihre Justiz mit ausreichendem Personal auszustatten, um den betroffen Rechtsuchenden schnell und unkompliziert eine gerechte Entscheidung zukommen zu lassen. Das ist die eine Seite der Medaille.

 

Insbesondere im Bereich des Sozialrechts stehen jedoch Menschen vor ihrem gesetzlichen Richter, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können und insofern auf eine schnelle staatliche Hilfe angewiesen sind. Mit Entscheidungen nach teilweise drei Jahren oder mehr über Renten-, Krankengeld- oder Arbeitslosengeldansprüche ist Betroffenen nicht geholfen. Der europarechtlich garantierte Beschleunigungsgrundsatz erlangt daher insbesondere in solchen Verfahren eine herausgehobene Bedeutung.

 

Hier geht es zu der Pressemitteilung des Bundessozialgerichts.