Die Beklagte ist eine GmbH und betreibt ein Restaurant. Der Kläger war dort als Koch beschäftigt. Die Beklagte hatte dem Kläger Mitte 2021 gekündigt, aber das Arbeitsverhältnis nach Meinung des Klägers nicht ordnungsgemäß abgerechnet. Die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Berlin klagten seine ausstehende Vergütung beim Arbeitsgericht ein.
Recht abenteuerlich hört sich der zugrundeliegende Sachverhalt an
Der Kläger gab an, er habe seinen Arbeitslohn nie erhalten. Anfang Juni 2021 habe der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger, nachdem dieser sich nach der ausstehenden Lohnzahlung erkundigt habe, im Restaurant zu einem Tisch in der Ecke gebeten. Dort habe er den Kläger beschimpft, einen Revolver herausgeholt und erklärt, er wisse, wo die Familie des Klägers wohne und habe einen Familienclan, der sich darum kümmere.
Der Kläger solle unterschreiben und weiterarbeiten. Der Kläger arbeitete noch bis Ende Juni 2021 weiter und versicherte im Verfahren, er habe dies aus Angst vor dem Geschäftsführer der Beklagten getan. Als er nochmals nach seinem Arbeitslohn gefragt hätte, sei er vom Geschäftsführer der Beklagten ausgelacht und beschimpft worden. Der Geschäftsführer soll des Weiteren erklärt haben, er könne froh sein, am Leben zu bleiben.
Nach einer Beratung durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz erstattete der Kläger Strafanzeige. Parallel dazu lief das Verfahren beim Arbeitsgericht bezüglich der noch offenstehenden Lohnforderungen. Das Gericht setzte einen ersten Gütetermin fest. Der Arbeitgeber erschien nicht. Es kam auf Antrag des Klägers daraufhin zu einem Versäumnisurteil.
Was ist ein Versäumnisurteil?
Nach § 331 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Kläger gegen einen im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienenen Beklagten beantragen, ein Versäumnisurteil zu erlassen.
Das Versäumnisurteil ist damit eine Entscheidung des Gerichts, für den Fall, dass eine Partei zwar ordnungsgemäß zur Verhandlung geladen wurde, der Ladung zum Gerichtstermin aber nicht nachkommt. Es wird dann in deren Abwesenheit ein Urteil gesprochen. Das Gericht nimmt dabei an, dass das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers als zugestanden gilt und legt dies der Entscheidung zugrunde. Gegen ein solches Urteil ist der Einspruch zulässig.
Ein derart ergangenes Versäumnisurteil nennt man auch ein „echtes Versäumnisurteil“. Daneben gibt es das „unechte Versäumnisurteil“, um das es hier jedoch nicht gehen soll. Das unechte Versäumnisurteil spricht ein Gericht, wenn die Klage unzulässig oder unschlüssig ist, also gerade nicht aufgrund des Nichterscheinens einer Partei. Darauf kommt es in diesem Fall nicht mehr an.
Wie läuft das weitere Verfahren ab?
Nach dem Erlass des Versäumnisurteils hat die im Prozess säumige Partei die Möglichkeit, Einspruch einzulegen. Die Frist hierfür beträgt eine Woche. Der Prozess wird dann wieder in die Lage versetzt, in welcher er sich vor dem Eintritt in die Säumnis befand, d.h. es kommt es zu einem weiteren Gerichtstermin.
Ist eine Partei dort erneut säumig, ergeht ein zweites Versäumnisurteil. Die Folge ist, dass der Einspruch verworfen wird und das erste Versäumnisurteil in Form des zweiten Versäumnisurteils aufrecht erhalten bleibt. Gegen dieses zweite Versäumnisurteil kann nur noch Berufung eingelegt werden, ein weiterer Einspruch ist nicht mehr zulässig.
Erscheint die ursprünglich säumige Partei zum angesetzten Gerichtstermin, läuft das Gerichtsverfahren so ab, als wäre es nicht zum vorherigen Versäumnisurteil gekommen – es wird also weiter verhandelt, es können Zeugen vernommen werden, die Anträge werden gestellt und nach erfolglosen Verhandlungen wird durch Urteil abschließend entschieden. Gegen dieses Urteil sind dann die zulässigen Rechtsmittel möglich.
Gibt es eine Flucht in die Säumnis?
Es gibt auch eine Flucht in die Säumnis. Hier wird die Möglichkeit genutzt, Angriffs- und Verteidigungsmittel erst im Gerichtstermin nach dem Einspruch vorzutragen, etwa, weil man das zuvor nicht rechtzeitig tun konnte. Das kommt beispielsweise auch dann in Betracht, wenn das Gericht zuvor den Vortrag wegen Verspätung zurückgewiesen hatte.
Die Flucht in die Säumnis bringt damit die Möglichkeit, vergessene Angriffs– und Verteidigungsmittel in den Prozess einzubringen. Die Vernehmung von weiteren Zeugen ist dabei in der Regel problemlos möglich.
Alles, was den Prozess länger verzögern würde, bleibt aber außen vor. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist vorgebracht werden, sind nach der ZPO nämlich nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
In Berlin kam es zum Versäumnisurteil
Das Arbeitsgericht Berlin verurteilte den Geschäftsführer des Restaurants, bei dem der Kläger beschäftigt war, den eingeklagten Lohn zu zahlen. Dem Gericht erschien der Vortrag des Klägers schlüssig, so dass dieses Urteil auf Grund der Säumnis des Arbeitgebers ergehen konnte.
Der war damit allerdings nicht einverstanden und legte fristgemäß Einspruch ein. Das Gericht lud die Parteien daher zu einem erneuten Termin.
Dort erklärte die Beklagte nach Vorlage der vom Kläger unterschriebenen Quittungen, sie habe die Vergütung gezahlt. Sie bestreitet die vom Kläger behauptete Drohsituation. Der Kläger habe sein Geld in dem drei Monate lang bestehenden Arbeitsverhältnis Monat für Monat an drei unterschiedlichen Tagen in bar ausgehändigt bekommen.
Für den Monat April 2021 habe die Beklagte einen Vorschuss gewährt. Der Kläger habe 800 € erhalten, obwohl die Beklagte ausweislich der Lohnabrechnung nur 666,67 € brutto hätte zahlen müssen. Für die Monate Mai und Juni 2021 habe die Beklagte dem Kläger den Bruttolohn in Höhe von jeweils 800 € ausgezahlt, weil der Kläger dies so gewünscht habe.
Der Einspruch der Beklagten war statthaft und zulässig
Das Gericht ließ den Einspruch zu. Das brachte jedoch kein anderes Ergebnis. Die damit eröffnete sachliche Überprüfung ergebe, dass die Klage zulässig und begründet sei, also, dass das Versäumnisurteil aufrechterhalten bleibe, entschied das Arbeitsgericht.
Der Anspruch sei nicht durch Erfüllung, also Zahlung der Vergütung, erloschen. Die Beklagte sei für die Erfüllung des Entgeltanspruchs darlegungs- und beweispflichtig. Sie habe die Erfüllung jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt und sei beweispflichtig geblieben.
Zwar habe sie die vom Kläger unterschriebenen Quittungen vorgelegt und erklärt, der Kläger habe die darauf bezeichneten Beträge in bar erhalten. Das Gericht sei jedoch auf Grundlage des jeweiligen Parteivorbringens zu den Hintergründen der Unterzeichnung der Quittungen durch den Kläger und der vorgelegten Lohnabrechnungen davon überzeugt, dass dieser die geschuldete Vergütung nicht in bar ausgezahlt bekommen habe.
Quittungen sind Privaturkunden
Nach der ZPO handele es sich bei Quittungen um sog. Privaturkunden. Diese würden bei Echtheit der Unterschrift – die hier nicht in Frage stehe - einen vollen Beweis dafür bringen, dass die in ihr enthaltene Erklärung von dem Unterzeichner abgegeben worden sei. Das gelte aber nicht für den Inhalt der Erklärung.
Die Erfüllung einer Verbindlichkeit wird damit also nicht bestätigt. Zwar enthalten Quittungen ein Indiz für den Empfang der Leistung. Die Beweiskraft hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung, die durch Gegenbeweis entkräftet werden kann. Der Gegenbeweis ist geglückt, wenn die Überzeugung des Gerichts von der zu beweisenden Tatsache erschüttert wird; dass sie sich als unwahr erweist oder sich auch nur eine zwingende Schlussfolgerung gegen sie ergibt, ist nicht nötig.
Das Arbeitsgericht kommt im Fall aus Berlin zu dem Ergebnis, dass der Beweiswert der von der Beklagten vorgelegten Quittungen erschüttert ist. Eine gerichtliche Überzeugung vom Leistungsempfang des Klägers bestehe aufgrund der vorgelegten Lohnabrechnungen und des Hinweises auf Differenzen zu den Quittungsbeträgen nicht. Die behauptete Drohsituation spiele dabei keine Rolle.
Den Vortrag der Beklagten kann das Gericht nicht nachvollziehen
Die Ausführungen der Beklagten zu den einzelnen, quittierten Beträge, wonach sie dem Kläger im Mai 2021 mehr gezahlt haben will, als dem Kläger zustand und für die Folgemonate auf Wunsch des Klägers den Bruttolohn aushändigte, hält das Gericht für eine Schutzbehauptung. Das Arbeitsverhältnis habe erst drei Wochen bestanden, als die Beklagte einen Vorschuss gewährt haben wolle, so das Gericht.
Auch die Überzahlungen in Form des Bruttolohns ohne Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen machten den Sachvortrag der Beklagten unschlüssig. Diesbezüglich fehle hier ebenfalls jeglicher Vortrag seitens der Beklagten zu den konkreten Umständen und Absprachen anlässlich der Barzahlung und etwaig abzuführender Sozialversicherungsbeiträge im Restaurant.
Die vom Kläger behauptete Drohsituation habe die Beklagte zwar nur pauschal bestritten. Darauf komme es jedoch für die abschließende Entscheidung nicht an; denn die Beklagte habe schon keinen ausreichenden Beweis dafür angetreten, die geltend gemachte Forderung erfüllt zu haben.
So hat das ursprüngliche Versäumnisurteil letztlich zu einem ganz normalen Urteil geführt, am Ergebnis für den Kläger erfreulicherweise aber nichts geändert.