Für das Streiten vor Gericht gibt es Regeln. Copyright by Adobe Stock/everettovrk
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Für diese Konstellation sieht die Rechtsordnung ein „Bestreiten mit Nichtwissen“ vor.


Das normale Bestreiten

Hier mag ein „Klassiker“ aus Kündigungsschutzprozessen zur Illustration dienen.
Der Arbeitgeber behauptet, eine Arbeitnehmerin habe Büromaterial gestohlen.
In diesem Fall ist die Arbeitnehmerin in der Lage, den Vorwurf aus eigener Kenntnis zu bestreiten. Schließlich weiß sie selbst am besten, ob der Vorwurf gerechtfertigt ist oder nicht.


Das Bestreiten mit Nichtwissen

Anders sieht es aus, wenn es um Behauptungen geht, bei denen der/die Bestreitende nicht wissen kann, ob sie zutreffen oder nicht. In diese Situation können Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen gleichermaßen geraten.


Die Arbeitnehmer*innen

Der Hauptanwendungsfall dafür, dass Arbeitnehmer*innen etwas mit Nichtwissen bestreiten können, findet sich bei Kündigungsschutzprozessen. Denn eine Kündigung, bei der der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört hat, ist unwirksam.

Ob eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates erfolgt ist, können von der Kündigung betroffene Arbeitnehmer*innen aber aus eigener Anschauung nicht wissen. Deshalb reicht es aus, wenn sie eine ordnungsgemäße Anhörung zunächst lediglich mit Nichtwissen bestreiten.
Haben Sie das getan, liegt der Ball beim Arbeitgeber. Er muss jetzt im Einzelnen darlegen, wann und wie er den Betriebsrat angehört haben will. Dazu wird er in aller Regel das Anhörungsschreiben vorlegen. Außerdem wird er vortragen, ob und gegebenenfalls wie der Betriebsrat reagiert hat.

Hat der Arbeitgeber diese Angaben gemacht, ist der Ball zurück bei den Arbeitnehmer*innen. Sie müssen jetzt konkret sagen, welche der Behauptungen des Arbeitgebers warum falsch sind. Ein weiteres Bestreiten mit Nichtwissen ist jetzt nicht mehr möglich.

Haben Arbeitnehmer*innen einzelne oder alle Behauptungen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Betriebsratsanhörung konkret bestritten, muss das Gericht durch entsprechende Beweismittel (u.a. Zeugen, Sachverständige und Urkunden) zu klären versuchen, ob eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung erfolgt ist oder nicht.


Der Arbeitgeber

Auch der Arbeitgeber kann in die Situation kommen, etwas bestreiten zu müssen, obwohl er aus eigener Kenntnis dazu gar nicht in der Lage ist. Das ist etwa der Fall, wenn der Betriebsrat ein Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht in Gang gesetzt. Eine Zulässigkeitsvoraussetzung für ein solches Verfahren ist, dass der Betriebsrat zuvor ordnungsgemäß beschlossen hat, sich an das Gericht zu wenden. Ob dies der Fall war, kann der Arbeitgeber nicht wissen.

Analog zum Fall der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung reicht es zunächst, wenn der Arbeitgeber den ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats mit Nichtwissen bestreitet.
Danach ist der Betriebsrat verpflichtet darlegen, dass er den Beschluss korrekt gefasst hat. Dazu muss er im Detail angeben, wen er wann zur Sitzung geladen hat und wie sie abgelaufen ist.
Am einfachsten ist, dazu die Ladungen und das Protokoll der Sitzung vorzulegen. Allerdings sind Konstellationen denkbar, in denen der Betriebsrat ein berechtigtes Interesse daran hat, dass der Arbeitgeber nicht die Möglichkeit hat, die Ladung und/oder das Protokoll einzusehen.

In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Februar 2021 von Interesse. Die Richter*innen stellen in ihrem Beschluss klar, dass der Betriebsrat nicht verpflichtet sei, Ladung und/oder Protokoll vorzulegen. Vielmehr habe er stattdessen die Möglichkeit, Tatsachen vorzutragen, aus denen sich im Detail ergebe, dass er einen ordnungsgemäßen Beschluss gefasst habe. Denn auch dadurch sei der Arbeitgeber in der Lage, konkret anzugeben, welche der vom Betriebsrat behaupteten Tatsachen er warum bestreiten möchte.

Bestreitet der Arbeitgeber den Vortrag des Betriebsrates hinreichend konkret, muss das Arbeitsgericht auch hier im Wege einer Beweisaufnahme klären, ob der Betriebsrat den Beschluss ordnungsgemäß gefasst hat.

Hessisches LAG vom 8. Februar 2021  AZ: 16 TaBV 185/20