Ein Fall, wie er leider häufig in unserer Arbeitswelt vorkommt: ein Unternehmen wird „umstrukturiert“ mit der Folge, dass es Personal abbaut. Was aus Sicht des Managements eher positiv klingt, hat für viele Beschäftigte erhebliche negative Folgen. Häufig folgt eine längere Phase der Arbeitslosigkeit oder sogar ein „Abrutschen“ in Hartz IV, oft nach jahrzehntelanger fleißiger Arbeit.
Zumindest stellt eine solche Maßnahme für die Betroffenen einen erheblichen Einschnitt in ihrer Lebensplanung dar. In unserem Land erleichtert das Arbeitsrecht die Lage der Betroffenen dadurch etwas, dass Unternehmen gezwungen sind, bei „Betriebsänderungen“, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben, mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich zu verhandeln. Jedenfalls in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen.
Der Betriebsrat kann bei Massenentlassungen einen Sozialplan erzwingen
Erforderlich ist nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein erheblicher Teil der Belegschaft eines Betriebes infolge einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung Nachteile erleiden könnte. Was erheblich ist, orientiert sich an den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes zu Massenentlassungen (§ 17 KSchG).
Der Betriebsrat kann in den Verhandlungen einen Sozialplan erzwingen, der etwa für entlassene Beschäftigte eine Abfindung regelt. Besteht die Betriebsänderung in einem Personalabbau, jedoch nur, wenn je nach Größe des Betriebes 15 - 20 Prozent der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer*innen aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden sollen.
Seit einigen Jahren wird eine Abfindung steuerrechtlich wie ein Einkommen behandelt. Wer eine bekommt, muss also Einkommenssteuer zahlen. Das ist häufig deshalb sehr zu Ungunsten der Betroffenen, weil dadurch im Steuerjahr sich auch der Steuersatz erhöht, weil dieser sich ja an der Höhe des Einkommens im Steuerjahr orientiert (Steuerprogression). Diese Folge schwächt das Einkommenssteuergesetz (EStG) durch die sogenannte „Fünftelregelung“ ab. Die Abfindung verteilt sich in der Steuerberechnung gleichmäßig auf fünf Jahre.
Von einer Abfindung müssen Beschäftigte keine Sozialabgaben zahlen
Die Abfindung ist zwar nach dem Gesetz Einkommen, aber kein Arbeitseinkommen. Deshalb muss der Empfänger einer Abfindung für dieses Einkommen auch keine Beiträge zur Sozialversicherung leisten.
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) hatte sich jetzt in einem anderen Zusammenhang mit der Frage zu beschäftigen, ob die Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes wie Arbeitsentgelt zu behandeln ist.
Im Streitfall schloss ein Unternehmen mit dem Betriebsrat aufgrund von Umstrukturierungsmaßnahmen einen Interessenausgleich ab mit dem Ziel, Personal abzubauen. Die Betriebsparteien regelten, dass ausscheidenden Arbeitnehmern eine "Freiwilligen-Abfindung" (Freiwilligenprogramm) zugesagt wird, welche mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird.
Die Betroffenen hatten die Möglichkeit, die Abfindungsleistung in ein für sie geführtes Langzeitkonto einzubringen. Das aufgestockte Wertguthaben sollte nach Ende der Beschäftigung nach § 7 f SGB IV auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) übertragen werden. Lohnsteuer und Sozialabgaben führte das Unternehmen insoweit nicht ab.
Die Übertragung von Wertguthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) ist steuerfrei
Rechtlich ist diese Konstruktion nicht unkompliziert. Das Gesetz regelt, welche Leistungen steuerfrei sind und wann Abgaben zur Sozialversicherung geleistet werden müssen. Steuerfrei ist ein Einkommen unter anderem die Übertragung von Wertguthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV). Das bestimmt § 3 Nr. 52 Einkommensteuergesetz (EStG). Ein Wertguthaben entsteht dadurch, dass Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber gleichsam angespart wird. Der/die Beschäftigte bekommt weniger Arbeitsentgelt ausgezahlt, als ihm/ihr entsprechend der geleisteten Arbeitszeit zusteht, der Rest wird als Wertguthaben angespart und später verwendet.
Das klingt komplizierter, als es ist. Ein typischer Fall ist etwa Altersteilzeit nach dem Blockmodell. Beschäftigte arbeiten für eine gewisse Zeit voll weiter, erhalten aber nur noch die Hälfte des Arbeitsentgeltes. Die andere Hälfte wird in dieser „aktiven“ Phase als Wertguthaben angespart und in der gleichlangen „passiven“ Phase monatlich als Einkommen ausgezahlt.
Das 4. Sozialgesetzbuch (SGB IV) regelt u.a., dass auch in der Zeit, indem ein*e Arbeitnehmer*in beim Bezug eines Einkommens aus dem Wertguthaben beschäftigt im Sinne des Gesetzes ist, obwohl sie/er in dieser Zeit ja gar nicht eine Tätigkeit nach Weisungen eines Arbeitgebers ausübt und in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Was ja normalerweise Voraussetzung für ein Beschäftigungsverhältnis ist, das der Sozialversicherungspflicht unterliegt.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Abfindungen können nicht als Wertguthaben zugeführt werden
§ 7 Absatz 1a SGB IV bestimmt, dass eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn
1. während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und
2. das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
Das Finanzgericht hat entschieden, dass Abfindungen aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses lohnsteuerrechtlichen Arbeitslohn darstellen würden und mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugeflossen seien.
Die an den Arbeitnehmer aufgrund des Freiwilligenprogramms geleistete Abfindung seien jedoch kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt.
Die Vereinbarung über die Zuführung der Abfindung zu einem Wertguthaben sei daher wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage unwirksam, da eine echte Abfindung nicht wertguthabenfähig sei. Daher sei die Übertragung der um die Abfindungsbeträge scheinbar aufgestockten Wertguthabenkonten auch nicht wirksam auf die DRV möglich gewesen. Folglich greife auch die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 52 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht.
Hier geht es zur Pressemitteilung des Finanzgericht Berlin-Brandenburg zum Urteil vom 16.06.2021 - 4 K 4206/18 -
Rechtliche Grundlagen
Wichtige Vorschriften: § 7 SGB IV Beschäftigung, § 3 Einkommensteuergesetz (EStG)
§ 7 SGB IV
Beschäftigung
(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn
1. während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und
2. das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn während einer bis zu dreimonatigen Freistellung Arbeitsentgelt aus einer Vereinbarung zur flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder dem Ausgleich betrieblicher Produktions- und Arbeitszeitzyklen fällig ist. Beginnt ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Zeit der Freistellung, gilt Satz 1 Nummer 2 mit der Maßgabe, dass das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die Zeit der Arbeitsleistung abweichen darf, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht während der Zeit der Freistellung auch, wenn die Arbeitsleistung, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll, wegen einer im Zeitpunkt der Vereinbarung nicht vorhersehbaren vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr erbracht werden kann. Die Vertragsparteien können beim Abschluss der Vereinbarung nur für den Fall, dass Wertguthaben wegen der Beendigung der Beschäftigung auf Grund verminderter Erwerbsfähigkeit, des Erreichens einer Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, oder des Todes des Beschäftigten nicht mehr für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, einen anderen Verwendungszweck vereinbaren. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigte, auf die Wertguthaben übertragen werden. Bis zum 31. Dezember 2024 werden Wertguthaben, die durch Arbeitsleistung im Beitrittsgebiet erzielt werden, getrennt erfasst; sind für die Beitrags- oder Leistungsberechnung im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet unterschiedliche Werte vorgeschrieben, sind die Werte maßgebend, die für den Teil des Inlandes gelten, in dem das Wertguthaben erzielt worden ist.
(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.
(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.
(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.
(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.
§ 3 Einkommensteuergesetz (EStG)
Steuerfrei sind
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53. die Übertragung von Wertguthaben nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch auf die Deutsche Rentenversicherung Bund. Die Leistungen aus dem Wertguthaben durch die Deutsche Rentenversicherung Bund gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19. 3Von ihnen ist Lohnsteuer einzubehalten;
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