Bundesfinanzhof in München: Keinen Erstattungsanspruch gegen Arbeitgeber für zu Unrecht einbehaltene Sozialversicherungsbeiträge
Bundesfinanzhof in München: Keinen Erstattungsanspruch gegen Arbeitgeber für zu Unrecht einbehaltene Sozialversicherungsbeiträge

Führt ein Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge, die aus Sicht des Arbeitnehmers zu Unrecht einbehalten wurden, an die Einzugsstelle ab, kann der Arbeitnehmer im Regelfall eine Erstattung nur von dieser, nicht aber vom Arbeitgeber beanspruchen. Zu diesem Ergebnis kam der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner am 01.06.2016 veröffentlichten Entscheidung vom 20.04.2016.

Nachdem das für den Kläger aufgrund geleisteter Mehrarbeit geführte Arbeitszeitkonto geschlossen wurde, entschied er sich für eine Auszahlung des in Geld bewerteten Zeitguthabens nach Rentenbeginn. Bis zum Auszahlungszeitpunkt stand ihm eine jährliche Verzinsung von 5 Prozent zu.

Kläger erhebt Leistungsklage beim Arbeitsgericht 

Das Land führte im Rahmen der Gehaltsabrechnung für Dezember 2005 für die Zinsen des Jahres 2005 Sozialversicherungsbeiträge (Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung) an die zuständige Stelle ab. Diesen Einbehalt der Sozialversicherungsbeiträge sah der Kläger als rechtswidrig an. Er erhob beim Arbeitsgericht Klage gegen das Land auf Zahlung des einbehaltenen Betrags. Er begründete die Klage mit einem Urteil des Arbeitsgerichts, durch dass das Land verurteilt wurde, an ihn Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, die das Land im Hinblick auf die dem Kläger im Dezember 2004 gezahlten Zinsen einbehalten hatte.

Arbeitsgericht erklärt sich für unzuständig und verweist die Sache an das Finanzgericht

Unbeeindruckt von der Klagebegründung verwies das Arbeitsgericht das Verfahren auf Antrag des Landes an das Finanzgericht. Begründet wurde die Verweisung an die Finanzgerichtsbarkeit damit, dass der eigentliche Streitgegenstand nicht der vom Kläger gegen das Land geltend gemachte Zahlungsanspruch sei, sondern die Frage, ob Zinsen auf das vom Kläger erarbeitete Wertguthaben Einkünfte aus Kapitalvermögen oder aus nichtselbständiger Arbeit seien. Für die Beurteilung dieser Frage sei die Finanzgerichtsbarkeit zuständig.

Kläger obsiegt beim Finanzgericht – Beklagtes Land geht in Revision zum Bundesfinanzhof und obsiegt dort

Vor dem Finanzgericht obsiegte der Kläger. Gegen diese Entscheidung legte das beklagte Land das Rechtsmittel der Revision ein. Der Bundesfinanzhof hob die Entscheidung auf und wies die Klage ab. 

Bundesfinanzhof begründet alleinige Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs

In seiner Begründung führt der Zweite Senat des Bundesfinanzhofs aus, dass das Finanzgericht  zu Unrecht angenommen habe, dass dem Kläger der geltend gemachte Zahlungsanspruch zustehe. Für den vom Kläger gegen das Land geltend gemachten Zahlungsanspruch gebe es, ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts  und des Bundesgerichtshofs, entgegen der Ansicht des Finanzgerichts, keine Rechtsgrundlage.

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30.4.2008, 5 AZR 725/07, das den Einbehalt von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen für die Zinsen auf das Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto einer Lehrerin des Landes betrifft, erfüllt der Arbeitgeber mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung) an das Finanzamt bzw. die Einzugsstelle im Regelfall seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Beträge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt habe, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge grundsätzlich nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen.

Etwas anderes gilt nur dann, so die Richter*innen des Zweiten Senats des Bundesfinanzhofs, wenn für den Arbeitgeber eindeutig erkennbar war, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Nur insoweit sind die Gerichte für Arbeitssachen befugt, die Berechtigung der Abzüge für Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Im Übrigen beschränken sich die Rechte des Arbeitnehmers darauf, dass er die Anmeldung der Lohnsteuer anfechten, die Rückerstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge gem. § 26 SGB IV fordern und diese Forderung ggf. durch Klage beim Sozialgericht geltend machen kann.

Durch die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle hat das Land seine Zahlungspflicht gegenüber dem Kläger erfüllt – Kläger hätte Beitragserstattung beim Sozialgericht durchsetzen können

Nach alldem, so der Bundesfinanzhof, steht dem Kläger der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu. Durch den Einbehalt und die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle hat das Land seine Zahlungspflicht gegenüber dem Kläger erfüllt. Für das Land war aufgrund der ihm zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände nicht eindeutig erkennbar, dass eine Verpflichtung zum Einbehalt und zur Abführung nicht bestand. Die Rechtslage war vielmehr noch nicht geklärt. Der Kläger war daher auf die ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit beschränkt, die Beitragserstattung zu fordern und erforderlichenfalls durch Klage beim Sozialgericht durchzusetzen. 

Anmerkung:

Mit seiner Entscheidung vom 20.04.2016 hat der Bundesfinanzhof klargestellt, dass der Arbeitnehmer die Erstattung von aus seiner Sicht zu Unrecht einbehaltenen und abgeführten Sozialversicherungsbeiträgen nur von der Einzugsstelle, nicht aber vom Arbeitgeber beanspruchen kann. 

Klargestellt wurde auch, dass für die Klage die Sozialgerichtsbarkeit, nicht aber das Finanzgericht zuständig ist, da es sich um eine sozialrechtliche Fragestellung handelt. Hierfür ist nach § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausschließlich die Sozialgerichtsbarkeit zuständig. 

Nachdem nun klargestellt wurde, das der Sozialrechtsweg vorgegeben ist, um Erstattungen von zu Unrecht einbehaltenen und abgeführten Sozialversicherungsbeiträgen durchzusetzen, wirft sich die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, dass der Bundesfinanzhof letztendlich verbindlich darüber entscheiden konnte, welchen Weg ein Arbeitnehmer einzuschlagen hat, wenn er die Erstattung von zu Unrecht einbehaltenen und abgeführten Sozialversicherungsbeiträgen begehrt?

Die Antwort dieser Frage ergibt sich aus § 17a Absatz 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Das von dem Kläger angerufene Arbeitsgericht hatte das Verfahren an das Finanzgericht verwiesen. Ein solcher Verweisungsbeschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen  wird, grundsätzlich auch dann bindend, wenn er sachlich fehlerhaft ist.
 

Nach § 17a Absatz 5 GVG (5) prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet,  hier also der Bundesfinanzhof, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

Hier gibt es die vollständige und am 01.06.2016 veröffentlichten Entscheidung des Bundesfinanzhof vom 20.04.2016

Hier gibt es die vollständige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 30.4.2008, 5 AZR 725/07

Rechtliche Grundlagen

§ 26 Sozialgesetzbuch IV (Beanstandung und Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge) und § 51 Sozialgerichtsgesetz

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845)

§ 26 Beanstandung und Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge

(1) Sind Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden, gilt § 45 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend. Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, gelten als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Gleiches gilt für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Absatz 2 Satz 1 bestimmten Frist.
(2) Zu Unrecht entrichtete Beiträge sind zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten.
(3) Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat. Soweit dem Arbeitgeber Beiträge, die er getragen hat, von einem Dritten ersetzt worden sind, entfällt sein Erstattungsanspruch.
(4) In den Fällen, in denen eine Mehrfachbeschäftigung vorliegt und nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen des § 22 Absatz 2 vorliegen, hat die Einzugsstelle nach Eingang der Entgeltmeldungen von Amts wegen die Ermittlung einzuleiten, ob Beiträge zu Unrecht entrichtet wurden. Die Einzugsstelle kann weitere Angaben zur Ermittlung der zugrunde zu legenden Entgelte von den Meldepflichtigen anfordern. Die elektronische Anforderung hat durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung zu erfolgen. Dies gilt auch für die Rückübermittlung der ermittelten Gesamtentgelte an die Meldepflichtigen. Die Einzugsstelle hat das Verfahren innerhalb von zwei Monaten nach Vorliegen aller insoweit erforderlichen Meldungen abzuschließen. Das Verfahren gilt für Abrechnungszeiträume ab dem 1. Januar 2015. Das Nähere zum Verfahren, zu den zu übermittelnden Daten sowie den Datensätzen regeln die Gemeinsamen Grundsätze nach § 28b Absatz 1.

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Sozialgerichtsgesetz (SGG)
§ 51

(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
1. in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte,
2. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) gelten,
3. in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der Überwachung der Maßnahmen zur Prävention durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,
4. in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit,
4a. in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
5. in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung,
6. in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (Kriegsopferfürsorge), auch soweit andere Gesetze die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorsehen,
6a. in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes,
7. bei der Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 69 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch,
8. die aufgrund des Aufwendungsausgleichsgesetzes entstehen,
9. (weggefallen)
10. für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird.

(2) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Zulassung von Trägern und Maßnahmen durch fachkundige Stellen nach dem Fünften Kapitel des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Satz 1 gilt für die soziale Pflegeversicherung und die private Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch) entsprechend.

(3) Von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen sind Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Rechtsbeziehungen nach § 69 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.