Auch die Psyche kann sich auf das Gehvermögen auswirken. Copyright by DDRockstar/Fotolia
Auch die Psyche kann sich auf das Gehvermögen auswirken. Copyright by DDRockstar/Fotolia

Die DGB Rechtsschutz GmbH hat in Saarbrücken ein Verfahren geführt, in dem es darum ging, ob die Bewegungsfähigkeit einer Klägerin im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Wenn das so ist, wird im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „G“ eingetragen.
 
Das hat einige Vorteile: wenn in meinem Ausweis nämlich dieses Merkzeichen eingetragen ist, kann ich etwa Vergünstigungen bei der Kraftfahrzeugsteuer geltend machen oder bin berechtigt, eine Wertmarke zu kaufen, mit der ich den öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen kann.
 

Einzel-GdB für Beine, Füße und Rücken unter 40

Insgesamt bestand bei der Klägerin ein GdB von 80. Allerdings war sie nur zum Teil wegen Krankheiten beeinträchtigt, die sich direkt auf die Beine auswirkten. Das sind Krankheiten wie ein Lendenwirbelsäulensyndrom oder ein Knieschaden. Gutachter hatten festgestellt, dass der GdB insoweit lediglich 40 betrug.
 

Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr

Für die erhebliche Beeinträchtigung im Straßenverkehr kommt es allerdings letztlich darauf an, ob ein GdB von mindestens 50 für Krankheiten vorliegt, die sich auf die Fähigkeit zum Gehen auswirken, so das LSG.
 
Maßgeblich seien dabei aber nicht die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles. Von Bedeutung sei, welche Wegstrecke allgemein noch zu Fuß zurückgelegt werden könne.
 

Auch innere Leiden können Auswirkungen auf die Gehfähigkeit haben

Auch innere Leiden könnten jedoch eine Gehbehinderung verursachen. Das Landessozialgericht nennt dabei unter anderem schwere Herzschäden, Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion oder eine schwere Niereninsuffizienz mit Anämien. Diese Aufzählung ergebe sich aus den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“.
 
Das Gericht bezieht sich im Urteil auch auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Merkzeichen „G“. Das BSG vergibt das Merkzeichen „G“ schon seit den 80-er Jahren, wenn der schwerbehinderte Mensch keine Wegstrecken mehr zurücklegen kann, die üblicherweise im Ortsverkehr noch zu Fuß bewältigt werden. Konkret sind dies 2 km in einer halben Stunde.
 

Wechselwirkung mit psychischen Leiden

Im vorliegenden Verfahren machte die Klägerin geltend, insbesondere aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigungen diese Gehstrecke von 2 km in einer halben Stunde nicht mehr zurücklegen zu können. Deshalb müsse die erhebliche Gehbehinderung bei ihr anerkannt werden. Das Gericht schloss sich dieser Argumentation der Prozessbevollmächtigten der DGB Rechtsschutz GmbH an.
 
Die Klägerin litt an schweren Depressionen sowie einer zwanghaften Persönlichkeitsstruktur. Diese Erkrankungen bewertete das Landesamt mit einem Einzelgrad der Behinderung von 50. Das Gericht sah in der Überlagerung der orthopädischen Erkrankung der Klägerin durch das schwerwiegende  neurologische Krankheitsbild einen Befund, der die Klägerin stark in ihrer Bewegungsfähigkeit beeinträchtigte.  
 

Aufzählung in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist nicht abschließend

Im Einzelnen wies das Gericht darauf hin, dass das Merkzeichen „G“ nicht nur bei Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. der Lendenwirbelsäule anerkannt werde. In den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ finde sich beispielsweise auch ein Hinweis auf innere Leiden.
 
Hinsichtlich dieser inneren Leiden gebe es jedoch keinen konkreten Einzelgrad der Behinderung in den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“, ab wann eine erhebliche Gehbehinderung vorliege. Es würden nur schwere Herzschäden, schwere Lungenfunktionsbeeinträchtigungen oder eine chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie genannt.
 

Psychische und neurologische Störungen für das Merkzeichen G

Die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ enthielten an anderer Stelle allerdings einen Hinweis zu hirnorganischen Anfällen. Auch diese könnten zur Anerkennung des Merkzeichens „G“ führen. Dabei werde jedoch ausgeführt, im allgemeinen sei auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 70 zu schließen. Außerdem müssten die Anfälle überwiegend am Tage auftreten.
 
Schließlich führten die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ auch Störungen der Orientierungsfähigkeit auf. Auch diese könnten zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen.
 
All dies verdeutlicht aus Sicht des Landessozialgerichts, dass es in den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ keine abschließende Aufzählung der Merkmale einer erheblichen Gehbehinderung gebe. Dies wiederum führe dazu, dass rein psychische Störungen, die sich spezifisch auf das Gehvermögens auswirkten auch erhebliche Gehbehinderungen verursachen könnten. In Betracht käme beispielsweise ein Schmerzsyndrom. Konkrete Prüfung des Einzelfalles erforderlich

Konkrete Prüfung des Einzelfalles erforderlich

Entscheidend kommt es für das Landessozialgericht darauf an, ob der behinderte Mensch infolge einer Behinderung nicht mehr in der Lage ist, die maßgebliche innerstädtische Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen könne. Das Gericht fordert damit eine konkrete Prüfung des Einzelfalles.
 
Die Klägerin konnte wegen der Wechselwirkung der orthopädischen und der neurologischen Erkrankung keine ortsüblichen Wegstrecken mehr zurücklegen. Sie brauchte für 2 km zweifelsfrei länger als eine halbe Stunde.
 
Damit sah das Landessozialgericht die Voraussetzungen zur Vergabe des Merkzeichens „G“ für gegeben.
 

Hier geht es zum Urteil