Vor dem Sozialgericht Ulm hatte ein 60-jähriger Montierer aus der metallverarbeitenden Industrie geklagt. Das Landratsamt erkannte bei ihm zuvor einen Grad der Behinderung von 30 an. Festgestellt wurden insbesondere Erkrankungen des Herzens. Der Kläger war infolgedessen körperlich nicht mehr sehr belastbar. Hinzu kam ein Bluthochdruck.
Aufgrund dieser Erkrankungen fehlte der Kläger über viele Jahre hinweg sehr häufig und auch sehr lange. Bereits 2015 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis insgesamt zweimal wegen der Fehlzeiten. Der Kläger konnte sich in den anschließenden Gerichtsverfahren jedoch mit seinem Arbeitgeber jeweils einigen. Der Arbeitgeber hielt an den Kündigungen nicht mehr fest.
Laut Arbeitgeber ist der Arbeitsplatz ungeeignet
Etwa zu diesem Zeitpunkt beantragte der Kläger dann auch die Gleichstellung mit einem schwer behinderten Menschen. Im Verfahren äußerte der Arbeitgeber, der Arbeitsplatz des Klägers sei für diesen ungeeignet, denn er weise hohe Fehlzeiten auf. Eine Umsetzung sei nicht möglich.
Daraufhin lehnte das Landratsamt die Anerkennung des Klägers mit einem schwer behinderten Menschen ab. Auch in dem anschließenden Klageverfahren blieb es bei dieser negativen Entscheidung. Die Begründung des Gerichts erschließt sich dem juristischen Laien jedoch nur schwer.
Das Gesetzt schützt Arbeitnehmer*innen, die einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder behalten können
Das Sozialgericht Ulm weist im Urteil darauf hin, dass das Gesetz Arbeitnehmer*innen schützt, einen geeigneten Arbeitsplatz zu erlangen oder zu behalten. Geprüft werden müsse dabei die Situation zum Zeitpunkt der Antragstellung. Habe sich die Lage bis zum Urteil jedoch geändert, so sei auch das zu berücksichtigen.
Beim Kläger geht das Gericht davon aus, dass die Gleichstellung nicht dafür erforderlich sei, um dessen Arbeitsplatz zu erhalten. Das Gericht erkennt zwar an, dass der Kläger behindert ist. Sein Arbeitsplatz sei auch für ihn geeignet. Seine Herzerkrankung sei nämlich inzwischen abschließend behandelt worden. Er könne damit die Tätigkeit eines Montierers ausführen, ohne dass dies seiner Gesundheit schade.
Die Gleichstellung muss infolge der Behinderung erforderlich sein
Allerdings müsse die Gleichstellung „infolge“ der Behinderungen des Klägers erforderlich sein. Dieser Zusammenhang sei beim Kläger nicht gegeben.
Das sei nämlich nur dann der Fall, wenn aufgrund der Art und der Schwere einer Behinderung die Schwierigkeit entstehe, einen geeigneten Arbeitsplatz zu behalten oder zu erlangen. Ausreichend sei, wenn die Behinderung zumindest wesentlich für die Probleme des behinderten Menschen am Arbeitsmarkt sei.
Betriebliche Defizite reichen für die Gleichstellung nicht aus
Betriebliche Defizite genügten nicht. An betrieblichen Defiziten nennt das Gericht zum Beispiel Missverständnisse, nicht geklärte Zuständigkeiten, einen unfreundlichen Umgang miteinander, unklare Arbeitsanweisungen, fachliche Defizite oder fehlendes Verständnis für die jeweilige Situation. Diese Umstände beruhten nicht auf der Behinderung.
Das Gericht stellte vielmehr auf die Behinderungen ab, die das Versorgungsamt beim Kläger anerkannt hatte. Das waren die Herzerkrankung, der Bluthochdruck und die Minderleistung des Herzens. Diese Erkrankungen seien zwar häufige Ursache von Fehlzeiten gewesen. Aufgrund dieser Erkrankungen habe der Kläger auch bereits zwei Kündigungen erhalten.
Krankheitsbedingte Kündigungen des Klägers waren unwirksam
Das Arbeitsgericht stellte jedoch die Unwirksamkeit der Kündigungen fest. Damit sei nicht wahrscheinlich, dass es aufgrund der Behinderungen des Klägers zu einer weiteren Gefährdung des Arbeitsplatzes komme. Die Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte krankheitsbedingte Kündigung aufgrund häufiger Erkrankungen lägen nämlich nicht vor.
Das Sozialgericht setzt sich sodann mit den Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte krankheitsbedingte Kündigung auseinander.
Es verweist darauf, dass bei häufigen Kurzerkrankungen eine negative Gesundheitsprognose erforderlich sei. Dazu bedürfe es objektiver Tatsachen. Diese müssten zum Zeitpunkt des Ausspruchs einer Kündigung vorliegen und weitere Fehlzeiten fürchten lassen. Das Gericht erwähnt, dass erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen gegeben sein müssten, die zu Störungen des Betriebsablaufs führten. Schließlich äußert sich das Gericht auch dazu, dass Entgeltfortzahlungskosten für mehr als sechs Wochen jährlich anfallen.
Ausgehend von diesen Voraussetzungen habe das Gericht sodann eine Abwägung der Interessen vorzunehmen. Dabei sei zu klären, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber hingenommen werden müssten.
Eine negative Gesundheitsprognose besteht nicht mehr
Unter Bezugnahme auf die früheren Feststellungen des Arbeitsgerichts Kündigungsschutzprozess geht das Sozialgericht davon aus, dass eine negative Gesundheitsprognose nicht mehr besteht.
In der Vergangenheit sei der Kläger zwar jährlich immer wieder kurz erkrankt gewesen. Dies spreche grundsätzlich schon dafür, dass in entsprechendem Umfang auch in Zukunft mit Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zu rechnen sei.
Der Kläger sei jedoch 2015 am Herzen operiert worden. Zwischen 2015 und 2018 habe er wegen der anerkannten Behinderung auf der Arbeit auch nicht mehr gefehlt. Dies stelle einen neuen Verlauf der gesamten Situation seit der Antragstellung 2015 dar. Die Herzerkrankung des Klägers sei ausbehandelt.
Anerkannte Behinderung führt nicht zu Problemen am Arbeitsmarkt
Das wiederum führe dazu, dass diese Erkrankung weder alleine noch mit anderen Fehlzeiten zusammen als wesentliche Ursache für die Probleme des Klägers am Arbeitsmarkt anzusehen sei. Der Kläger habe zwar zwischenzeitlich andere Erkrankungen wie eine Gastritis oder einen Leistenbruch gehabt. Diese habe das Versorgungsamt jedoch noch nicht als Behinderungen anerkannt.
Hierauf könne der Kläger seinen Antrag auf Gleichstellung mit ein behinderten Menschen daher auch nicht stützen.
Damit sieht das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes des Klägers hinreichend wahrscheinlich ist.
Das sagen wir dazu:
Diese Entscheidung ist für juristische Laien nur eingeschränkt nachvollziehbar, aber auch für Juristen nicht.
Dies hat zunächst einmal damit zu tun, dass das Sozialgericht Angelegenheiten des Arbeitsrechts prüft. Das Gericht arbeitet nämlich die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung ab.
Dabei verkennt es, das die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung überhaupt nichts mit der Gleichstellung zu tun haben.
Dass ein Arbeitsgericht 2015, also vier Jahre zuvor, eine krankheitsbedingte Kündigung des Klägers für unwirksam gehalten hat, lässt jedoch sicherlich keine Rückschlüsse darauf zu, wie die Situation Jahre später rechtlich zu werten ist.
Die Rechtsunwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung hat auch eher wenig mit den Voraussetzungen der Gleichstellung im Recht der schwerbehinderten Menschen zu tun. Dort geht es ausschließlich um die Frage, ob vorhandene Behinderungen es rechtfertigen, einen behinderten Menschen mit einem schwer behinderten Menschen gleichzustellen.
Zutreffend stellt das Gericht zwar darauf ab, dass es um das Behalten oder das Erlangen eines leidensgerechten Arbeitsplatzes geht. Damit kommt es auf den Zusammenhang zwischen Behinderung und dem konkret bedrohten Arbeitsplatz an, wenn im Verfahren geltend gemacht wird, dass aufgrund einer Behinderung befürchtet werden muss, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren.
Dass ein Arbeitgeber aufgrund der Krankheiten des Klägers bereits einmal versucht hat zu kündigen, spricht aber durchaus dafür, dass eine Gefährdung des Arbeitsplatzes besteht. Dies gilt auch dann, wenn ein Arbeitsgericht dem Arbeitgeber nahe bringt, dass er mit seiner Kündigung gerichtlich nicht durchdringen kann.
Selbst wenn eine Herzoperation zu einer Verringerung der Fehlzeiten geführt hat, muss ein Gericht sich schon mit der Frage befassen, ob die verbliebene Herzleistungsminderung Beeinträchtigungen mit sich bringt. Des Weiteren darf auch die künftige Entwicklung weiterer Erkrankungen nicht völlig außer Betracht bleiben.
Das Gericht darf auch nicht auf „Behinderungen“ abstellen, die das Versorgungsamt anerkannt hat. Nach § 152 SGB IX stellt das Versorgungsamt eine Behinderung und dessen Grad fest. Regelwidrigkeiten stellt es gar nicht fest, die werden gar nicht in den Verfügungssatz eines Bescheides aufgenommen, sondern dienen nur der Begründung.
Ein Mensch hat niemals mehrere Behinderungen, sondern ist behindert oder nicht. Das Gericht erkennt hier offensichtlich den Unterschied zwischen Behinderung und Regelwidrigkeit nicht. Hier hätte ein Blick in die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sicher weiter geholfen, statt sich mit der arbeitsrechtlichen Lage in einem Sozialrechtsstreit zu befassen.
Das Gericht hat hier außerdem ausschließlich rein formal entschieden. Da drängen sich schon Bedenken auf.
Rechtliche Grundlagen
§ 2 SGB IX
§ 2 Begriffsbestimmungen
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Das sagen wir dazu