Wegen eines schweren Schlaganfalls musste eine junge Frau ihre Ausbildung abbrechen. Die Familienkasse muss nun Kindergeld nachzahlen.  Copyright by dule964/Adobe Stock
Wegen eines schweren Schlaganfalls musste eine junge Frau ihre Ausbildung abbrechen. Die Familienkasse muss nun Kindergeld nachzahlen. Copyright by dule964/Adobe Stock

Kindergeld wird dem Grunde nach gezahlt, bis Kinder volljährig sind. Volljährigen Kindern zwischen 18 und 25 Jahren wird Kindergeld dann weitergezahlt, wenn sie zum ersten Mal eine Schul- oder Berufsausbildung beziehungsweise ein Studium absolvieren.
 
Diese Voraussetzung erfüllte Tochter Neumann nur bis zum Abbruch der Ausbildung. Aufgrund ihrer schweren Erkrankung war eine Meldung als arbeitssuchend bei der Agentur für Arbeit unterblieben. Dies hätte zu einem Anspruch auf Kindergeld bis zum 21. Geburtstag geführt.
 

Kindergeld für Kinder mit dauerhafter Behinderung

Spätestens mit der Vollendung des 25. Lebensjahres endet der Anspruch auf Kindergeld. Eine Ausnahme gibt es aber: Wenn das Kind aufgrund einer Behinderung nicht selbst dazu in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, wird das Kindergeld über das 18. und auch über das 25. Lebensjahr hinaus gezahlt.
 
Die Behinderung muss vor Vollendung des 25. Lebensjahr eingetreten sein. Das war hier der Fall.
Tochter Neumann verfügt auch nicht über genügend finanzielle Mittel, um ihren notwendigen Lebensbedarf selbst zu decken.
Der Grund hierfür ist auch die Behinderung, wie es das Gesetz verlangt. Sie leidet schwer unter den gesundheitlichen Folgen des Schlaganfalles. An eine baldige Erwerbsfähigkeit ist nicht zu denken, so dass Familie Neumann irrig glaubt, mit den vorhandenen ärztlichen Unterlagen dürfte das „Problem“ schnell zu lösen sein.
 

Familienkasse leitet steuerstrafrechtliche Ermittlungen ein

Stattdessen erhält Neumann von der Familienkasse ein Schreiben: Verdacht einer Steuerstraftat. Er hätte die Familienkasse über steuerlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich und pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen und hätte dadurch ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
 
Der DGB Rechtsschutz Düren kümmerte sich um beide Probleme. Gegenüber der Familienkasse wurde eingewendet, dass Tochter Neumann als behindertes Kind sehr wohl für Kindergeld zu berücksichtigen sei. Die Rückforderung sei unberechtigt und Kindergeld weiterhin zu leisten.
Die zuständige Stelle im Verfahren wegen der Steuerstraftat kam der Bitte nach, das Verfahren vor der Familienkasse abzuwarten.
 

Ärztliche Unterlagen reichen Kindergeldkasse nicht aus

Für Tochter Neumann gab es bereits im Mai 2017 ein Pflegegutachten, das sie in Pflegegrad 2 einstufte. Ab 2018 war ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt sowie die Merkzeichen G und B. Die Buchstaben bedeuten, dass Tochter Neumann, eine ortsübliche Gehstrecken nicht mehr ohne Gefahr für sich und andere bewältigen kann und immer eine Begleitung benötigt.
 
Das Pflegegutachten beeindruckte die Familienkasse wohl weniger als die Feststellung einer Schwerbehinderung. Sie bewilligte wieder Kindergeld, allerdings erst ab 2018. Die Rückforderung reduzierte sie auf fünf Monate.
 

Nachzahlung wird einbehalten

Die Nachzahlung des Kindergeldes behielt die Familienkasse in Höhe des Rückforderungsbetrags ein. Die folgende lange Verfahrensdauer war damit für Familie Neumann von Nachteil.
 
Im August 2018 begann das Klageverfahren vor dem Finanzgericht. Es gestaltete sich zäh. Der medizinische Dienst der Kindergeldstelle hatte nach Aktenlage die Voraussetzungen für Kindergeld für ein krankes volljähriges Kind erst ab dem Datum des Bescheides über die Schwerbehinderung (Januar 2018) bejaht.
 

Warum nicht für die Zeit von August bis Dezember 2017?

Auch medizinischen Laien dürfte einleuchten, dass bei einem schweren Schlaganfall eines jungen Menschen im Verlauf eher eine Besserung eintritt als eine Verschlimmerung. Das war hier den Arzt- und Klinikunterlagen und dem Pflegegutachten leicht zu entnehmen. Wenn ab Januar 2018 von einer Behinderung als Grundlage für Kindergeld auszugehen war, dann natürlich auch in der vorherigen Zeit nach dem Schlaganfall. Es passierte aber nichts.
 
Wenn der Kindergeldkasse so an dem Datum des Schwerbehindertenbescheids lag, war es den Versuch wert, Vater Neumann zur dortigen Behörde zu schicken. Er stellte einen Überprüfungsantrag mit dem Ziel, das rückwirkend die Schwerbehinderung anerkannt werde. Die Behörde stellte ihm sofort eine Bescheinigung aus, wonach die Voraussetzungen einer Schwerbehinderung schon mit Erleiden des Schlaganfalls vorlagen.
 

Finanzgericht toleriert monatelange Bearbeitungszeit bei der Kindergeldkasse

Das Finanzgericht hatte die Kindergeldkasse zur Stellungnahme aufgefordert. Die Frist wurde weit überzogen, dann noch einmal Fristverlängerung beantragt.
 
Fünf Monate nach Vorlage des entscheidenden Nachweises reagierte die Kindergeldkasse indem sie einen neuen Vordruck zum Ausfüllen durch den behandelnden Arzt schickte. Neumann ärgerte sich zurecht darüber, schon wieder eine Bescheinigung besorgen zu müssen.
 

Am Ende gibt es das einbehaltene Kindergeld zurück

Nach Einreichen der Bescheinigung hat die Kindergeldkasse letztendlich mitgeteilt, dass Kindergeld im Ursprungsbescheid zu Recht gewährt worden war. Die Einbehalte für fünf Monate werden jetzt ausgezahlt.
 
Das Steuerstrafverfahren ist damit auch erledigt. 

Das sagen wir dazu:

Dass Neumann bei diesem Schicksalsschlag nicht sofort daran dachte, zeitnah die Kindergeldkasse zu informieren, ist verständlich. Zum Glück blieb es letztlich bei Ärger und Lauferei.

Da Kindergeld dem Steuerstrafrecht unterliegt und die Behörde schnell mit der Einleitung eines Strafverfahrens ist, kann jedem Kindergeldberechtigten nur geraten werden, sofort zu reagieren, wenn sein über 18 Jahre altes Kind die Ausbildung abbricht und sich vielleicht nicht sofort arbeitssuchend meldet. Sonst droht nicht nur eine Rückzahlung, sondern auch ein Steuerstrafverfahren.

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus dem Einkommensteuergesetz

Einkommensteuergesetz (EStG)
§ 32 Kinder, Freibeträge für Kinder

(4) Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird berücksichtigt, wenn es
1. noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist oder
2. noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und
a) für einen Beruf ausgebildet wird oder
b) sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes, (…) liegt, oder
c) eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann oder
3. wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
(…)