Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Menschen mit einem Grad der Behinderung von nur 30 oder 40 beantragen, dass die Bundesagentur für Arbeit sie mit Schwerbehinderten gleichstellt. Liegt eine solche Gleichstellung vor, besteht derselbe besondere Kündigungsschutz wie bei schwerbehinderten Menschen.


Hat das Versorgungsamt festgestellt, dass jemand schwerbehindert ist, weil mindestens ein Grad der Behinderung von 50 besteht, ist vor jeder Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen. Dies gilt allerdings nur, wenn das Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate ohne Unterbrechung bestanden hat. Verweigert das Integrationsamt in diesen Fällen die Zustimmung, ist die Kündigung allein deshalb unwirksam.
Dies gilt auch dann, wenn die Bundesagentur für Arbeit Menschen mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40 ,mit Schwerbehinderten gleichgestellt hat.

Voraussetzungen für eine Gleichstellung

  • Wer eine Gleichstellung anstrebt, muss zunächst einmal im Bereich der Bundesrepublik Deutschland wohnen oder arbeiten. 
  • Erforderlich ist weiter, dass das Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von 30 oder 40 festgestellt hat.
  • Die Behinderung muss ein wesentlicher Grund dafür sein, dass der behinderte Mensch einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder behalten kann.

 

Ursachenzusammenhang zwischen Behinderung und drohendem Verlust des Arbeitsplatzes

Der besondere Kündigungsschutz ist nur für Menschen interessant, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Deshalb geht es im Folgenden um die Fälle, in denen die Behinderung der Grund dafür ist, dass ein geeigneter Arbeitsplatz verloren gehen könnte. Dabei reicht es aus, wenn aufgrund der Behinderung die konkrete Möglichkeit eines Arbeitsplatzverlustes besteht. Deshalb muss man mit einem Antrag auf Gleichstellung nicht warten, bis der Arbeitgeber die Kündigung ausspricht oder unmittelbar vorbereitet. Andererseits reicht aber eine rein abstrakte Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren, nicht aus für eine Gleichstellung. Ebenso wenig ist ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes etwa wegen Streitereien am Arbeitsplatz oder schlechter wirtschaftlicher Situation des Betriebes Gründe für eine Gleichstellung, weil dann gerade nicht eine Behinderung die wesentliche Ursache ist.

Anhaltspunkte dafür, dass die konkrete Gefahr besteht, den Arbeitsplatz wegen einer Behinderung zu verlieren sind:

  • Häufige, behinderungsbedingte Fehlzeiten
  • Verminderte Arbeitsleistung trotz grundsätzlich geeignetem Arbeitsplatz
  • Dauernde verminderte Belastbarkeit
  • Anzeichen dafür, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden will (z.B. Angebot eines Aufhebungsvertrages, Abmahnungen)
  • Auf Dauer notwendige Hilfeleistung durch andere.


Liegen solche Anhaltspunkte vor, sollten sie im Antrag auf Gleichstellung realitätsgerecht auftauchen. Denn nur dann hat die Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit, die Gleichstellung zu gewähren und zu begründen.

Mit der Frage einer Gleichstellung, weil jemand aufgrund der Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz erst gar nicht erlangen kann, beschäftigt sich folgender Artikel:

Anspruch auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen trotz sicheren Arbeitsplatzes

Weitere Rechtsfolgen einer Gleichstellung

Neben dem besonderen Kündigungsschutz hat eine Gleichstellung sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber weitere Konsequenzen. So können Gleichgestellte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem Schwerbehindertenrecht erhalten. Außerdem sind sie berechtigt, an der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung teilzunehmen.
Es gibt aber auch Vergünstigungen, die allein den Schwerbehinderten (Grad der Behinderung von mindestens 50) vorbehalten bleiben. So haben Gleichgestellte keinen Anspruch auf Sonderurlaub. Auch eine abschlagsfreie Rente für schwerbehinderte Menschen ab dem 63. bzw. 65. Lebensjahr kommt für Gleichgestellte nicht in Betracht.
Der Arbeitgeber profitiert insofern von einer Gleichstellung, als ihm unter bestimmten Voraussetzungen Lohnkostenzuschüsse für behinderte Mitarbeiter zustehen. Zudem sind Gleichgestellte bei der Behindertenquote mitzuzählen, so dass die Ausgleichsabgabe niedriger wird oder entfällt. Diese Abgabe ist zu bezahlen, wenn in einem Betrieb zu wenige Behinderte beschäftigt sind.

Wichtige Frist im Zusammenhang mit der Gleichstellung

Es nützt nichts, den Antrag auf Gleichstellung erst dann zu stellen, wenn das Kündigungsschreiben des Arbeitgebers bereits angekommen ist. Denn es gilt der Grundsatz, dass der besondere Kündigungsschutz für Gleichgestellte nur für denjenigen eingreift, der bei Zugang der Kündigung bereits gleichgestellt ist. Das ist dann der Fall, wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits einen positiven Bescheid von der Bundesagentur für Arbeit bekommen hat.
Von diesem Grundsatz gibt es jedoch eine Ausnahme.
Ein positiver Bescheid der Bundesagentur für Arbeit im Moment des Zugangs der Kündigung ist nicht erforderlich, wenn der Antrag auf Gleichstellung bereits 3 Wochen oder länger vor diesem Zeitpunkt bei der Bundesagentur eingegangen ist. Voraussetzung für die Ausnahme ist weiter, dass der Grund für die Bearbeitungsdauer von mehr als 3 Wochen allein bei der Bundesagentur zu suchen ist. Resultiert die lange Bearbeitungsdauer aber daraus, dass der Behinderte seinen Mitwirkungspflichten nicht oder nicht ausreichend nachgekommen ist, hilft auch ein Antrag nichts, der 3 Wochen oder länger zurückliegt.

Tipps: Neben den geschilderten Vorteilen birgt ein Antrag auf Gleichstellung auch einige Risiken.

  • Die Bundesagentur für Arbeit ist verpflichtet, vor einer Entscheidung über den Antrag den Arbeitgeber hinzuzuziehen. Deshalb erhält der Arbeitgeber auf jeden Fall Kenntnis davon, dass bei seinem Mitarbeiter ein Grad der Behinderung von mindestens 30 festgestellt ist. Darüber hinaus erfährt der Arbeitgeber je nach der Begründung des Antrags, welche Leistungsbeeinträchtigungen bestehen. Wenn dann noch lange, krankheitsbedingten Fehlzeiten vorliegen, könnte sich der Arbeitgeber aufgrund der Informationen, die er wegen des Gleichstellungsantrags erhalten hat, zu einer Kündigung entschließen, die er sonst nicht oder zumindest jetzt noch nicht ausgesprochen hätte.
  • Wenn die Bundesagentur den Arbeitgeber unmittelbar nach dem Eingang des Antrags informiert und der Arbeitgeber darüber hinaus auch noch schnell handelt und sofort kündigt, muss er nicht einmal die Zustimmung des Integrationsamtes einholen, weil dann zwischen dem Antrag auf Gleichstellung und dem Zugang der Kündigung weniger als 3 Wochen liegen. Ist dies der Fall, greift der besondere Kündigungsschutz - wie gezeigt - nicht ein.
    Im Antragsformular kann der Antragsteller zwar ankreuzen, dass er mit einer Befragung seines Arbeitgebers durch die Bundesagentur nicht einverstanden ist. Wenn er das tut, wird der Antrag aber möglicherweise wegen fehlender Mitwirkung keinen Erfolg haben.
  • Unabhängig davon besteht die Gefahr, dass ein Arbeitgeber, der die Zustimmung des Integrationsamtes benötigt, die Kündigung, die er eigentlich wegen der Fehlzeiten aussprechen wollte, stattdessen auf verhaltens- oder betriebsbedingte Gründe stützt. In diesem Fall wird das Integrationsamt die Zustimmung in aller Regel erteilen, weil es sie nur verweigern darf, wenn gerade die Behinderung der Grund für die Kündigung ist.
  • Außerdem ist der Behinderte bei einem Vorstellungsgespräch mit einem anderen Arbeitgeber verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass er gleichgestellt ist, wenn der Arbeitgeber ihn danach fragt. Das kann möglicherweise dazu führen, dass der Gleichgestellte erst gar keinen Arbeitsvertrag erhält.

 

Vor Stellung eines Antrags auf Gleichstellung kann eine Beratung Sinn machen

Nach alledem ist in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob ein Gleichstellungsantrag unter den jeweiligen Bedingungen sinnvoll ist oder nicht. Wenn Beratungsbedarf besteht, haben Mitglieder der im DGB vereinigten Gewerkschaften die Möglichkeit bei der Gewerkschaft, deren Mitglied sie sind, Rechtsschutz zu beantragen. Nach erfolgter Rechtsschutzgewährung kann durch die Juristen*innen der DGB Rechtsschutz GmbH, die in 111 Büros bundesweit tätig sind, eingehende Beratung erfolgen.