Neumann, geboren 1957, hatte bereits 45 Jahre gearbeitet, als er erkrankte. Er bezog erst Krankengeld und dann Arbeitslosengeld. Wie viele Arbeitnehmer*innen hangelte er sich mit dieser Konstellation Richtung Altersrente.

Die Arbeitslosengeldzeiten am Schluss zählen zwar nicht zu den 45 Jahren. Neumann hatte die Versicherungszeiten für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte aber schon zusammen bevor er arbeitslos wurde. Er war nur bisher noch nicht alt genug für diese Rente. Als 1957 Geborener kann er diese Form der Altersrente mit 63 Jahren und 10 Monaten in Anspruch nehmen.

 

Frühzeitige Antragstellung ermöglicht Beratung

 

Neumann gehörte immer zu denjenigen, die lieber zu früh etwas unternehmen, als zu spät. Daher hatte er sich schon ein Dreivierteljahr Jahr früher einen Termin bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) geben lassen, um den Rentenantrag zu stellen. Als von seinen Erkrankungen die Rede war, hat die DRV ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er doch zwei Anträge stellen sollte. Einen Antrag auf die Altersrente beginnend in 9 Monaten, wie er es vorgehabt habe, und zudem einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente.

 

Neumann stellt beide Rentenanträge

 

Neumann hat kurz vor seiner Erkrankung weniger als zuvor verdient. Somit fielen Krankengeld und Arbeitslosengeld entsprechend niedrig aus, niedriger auch als die erwartete Rente. Das war der Hauptgrund warum er auch den Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung stellte. Denn, wenn diese rückwirkend bewilligt würde, bekäme die Agentur für Arbeit das gezahlte Arbeitslosengeld zurück. Und die Differenz zwischen Rente und Arbeitslosengeld würde an ihn ausgezahlt.

 

Trotz Gutachten und Beschwerde keine Entscheidung über Erwerbsminderung

 

Neumann wurde von der DRV zur ärztlichen Begutachtung geladen und untersucht. Dann passierte nichts, gar nichts, auch Telefonate halfen nicht. Sodann erhielt er den Altersrentenbescheid, aber immer noch keine Entscheidung über eine Erwerbsminderung. Für ihn waren durch das Arbeitslosengeld zwar laufende Zahlungen gesichert, trotzdem war es nicht nachvollziehbar, warum einfach nicht entschieden wurde.

 

Neumann hatte lange Geduld, aber dann hat er alles aufgeschrieben, was schiefgelaufen war. Obwohl er Unterlagen persönlich bei der DRV eingereicht hatte, waren diese dort nicht auffindbar. Er bekam auf seinen Beschwerdebrief einen Anruf mit einer Entschuldigung, einen Bescheid aber immer noch nicht

 

Neumann nimmt gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch

 

Neumann hat sich an seine Gewerkschaft gewendet, die Rechtsschutz gewährte. Beim DGB Rechtsschutz vor Ort lag schon ein fertiges Schreiben an die DRV, in dem mit einer Untätigkeitsklage gedroht wurde, als der Bescheid eintraf. Eine teilweise Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit wurde gewährt.

 

Die Teilerwerbsminderungsrente beträgt 50 % der vollen Rente. Selbst Juristen*innen können ausrechnen, wie hoch die volle Erwerbsminderungsrente ist. Dabei stellte sich heraus: Die teilweise Rente wegen Erwerbsminderung ist anteilig höher als Altersrente. Es ging um einen Unterschied von etwa 100 € netto, die die Altersrente niedriger war.

 

Des Rätsels Lösung

 

Wie kann das sein? Bei Altersrenten werden - vereinfacht gesagt - die Zeiten bewertet und letztlich mit Entgeltpunkten versehen, die bis zum Rentenbeginn tatsächlich angefallen sind. Die Entgeltpunkte werden dann mit dem Faktor (für 2021 West 34,19 €, Ost 33,47 €) multipliziert und das ergibt die Bruttorente.

Nimmt jemand diese Renten frühzeitig in Anspruch, fällt eine Rentenkürzung an, der Abschlag beträgt 0,3 % pro Monat, zu dem die Rente vorgezogen wird. Wer die Voraussetzungen, 45 Jahre und entsprechendes Alter erfüllt, erhält diese Altersrente ohne Abschläge. Erwerbs­geminderten fehlen oft viele Beitragsjahre bis zum Beginn ihrer regulären Alters­rente. Das soll die Zurechnungszeit ausgleichen. Durch Krankheit, die die Betroffenen zur frühzeitigen Erwerbsminderungsrente zwingt, wird fiktiv hochgerechnet, was diese bis zu einem bestimmten Alter verdient hätten. Das ist die Zurechnungszeit, die die Erwerbsminderungsrente deutlich aufwertet.

 

Berechnung der Zurechnungszeit

 

Zurechnungszeiten wurden früher nur bis 62 Jahre hochgerechnet. Da das Renteneintrittsalter sich schrittweise auf 67 Jahre erhöht, hat man beginnend ab Januar 2019 entsprechend auch die Zurechnungszeit verlängert. Bei einem Rentenbeginn im Jahr 2021 liegt sie bei 65 Jahren und 10 Monaten und wird in den Folgejahren schrittweise auf 67 Jahre verlängert. In 2018 hätte es also bei Neumann noch keinen Unterschied gemacht, in 2021 wurde nun der Zurechnungszeitraum auf seinen regulären Altersrentenbeginn (65 Jahre und 10 Monate) berechnet. Da Neumann nicht bis zu seiner regulären Altersrente gearbeitet hat, ist die volle Erwerbsminderungsrente höher.

 

Teilweise Erwerbsminderungsrente sichert Entgeltpunkte

 

Auch, wenn der Altersrentenbescheid schon in der Welt war, gilt: Die Nachfolgerente darf nicht niedriger sein als die vorher bewilligte Rente. Dass hier nur eine teilweise Erwerbsminderungsrente bewilligt war, ist nicht schädlich. Denn der Besitzschutz besteht nicht auf die Endsumme, sondern auf die Entgeltpunkte. Diese sind bei teilweiser oder voller Erwerbsminderungsrente gleich. Bei der teilweisen Rente wird der Rentenanspruch quasi halbiert (Faktor 0,5).

 

DRV korrigiert Höhe der Altersrente nach oben

 

Die Zurechnungszeit hat höhere Entgeltpunkte bei der Erwerbsminderungsrente gebracht. Die DRV hat von selber ihren Bescheid korrigiert und die höheren Entgeltpunkte in den Altersrentenbescheid übernommen. Das wirkt sich bei Neumann mit einem Plus von 100 € netto monatlich aus.

 

LINKS:

Lesen Sie auch: Was ist besser: Altersrente für Schwerbehinderte oder Erwerbsminderungsrente?

 

 

Das sagen wir dazu:

Niemand möchte zum Hartz IV-Fall werden, wenn Leistungen wie Krankengeld und Arbeitslosengeld ausgelaufen sind und immer noch nicht über die Rente wegen Erwerbsminderung entschieden wurde. Da bietet es sich an, zweigleisig zu fahren. Wenn klar ist, dass die Erwerbsminderungsrente vorrangig ist, kann trotzdem z.B. die Altersrente für Schwerbehinderte in Anspruch genommen werden. Ist man erfolgreich, erfolgt die Korrektur in der Höhe.

 

Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet.

 

Rentenart kann im Nachhinein nicht gewechselt werden

 

Nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente ist der Wechsel in eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen (§ 34 SGB Abs. 4 VI). Wenn also mehrere Renten in Betracht kommen, unbedingt vor der Antragstellung von der DRV beraten lassen.