84jährige muss 150.000 Euro Witwenrente zurückzahlen, weil sie Hochzeit verschwieg - Wegfall der Witwenrente auch bei Wiederheirat in Kalifornien
84jährige muss 150.000 Euro Witwenrente zurückzahlen, weil sie Hochzeit verschwieg - Wegfall der Witwenrente auch bei Wiederheirat in Kalifornien

Mit einer erneuten Heirat fällt der Anspruch auf eine Witwenrente weg. Das gilt auch bei einer in den USA durchgeführten Hochzeit. Die Klägerin hatte der Rentenversicherung ihre Wiederheirat nicht angezeigt und dadurch ihre Mitwirkungspflichten zumindest grob fahrlässig verletzt. 

Hochzeit in Kalifornien der Rentenversicherung nicht mitgeteilt

Die fast 15 Jahre lang zu Unrecht gezahlte Witwenrente muss sie deshalb zurückerstatten, so das Sozialgericht Berlin in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2015.

Nach dem Tod ihres Ehemannes bezog die jetzt 84 jährige Klägerin ab 1993 Witwenrente von der Deutschen Rentenversicherung (DRV). In dem der Klägerin zugegangenen Rentenbescheid wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „mit Ablauf des Monats der Wiederverheiratung die Rente endet“ und überdies „die gesetzliche Verpflichtung besteht, uns eine Wiederheirat unverzüglich mitzuteilen.“

1998 heiratete die in Santa Barbara / Kalifornien lebende Klägerin noch einmal. Die dortige Standesbeamtin schloss die Hochzeitszeremonie mit den Worten: „I pronounce that you are husband and wife“ („Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau“) und überreichte ihr eine als „marriage certificate“ bezeichnete Eheurkunde. Diese Eheschließung teilte die Klägerin der beklagten DRV nicht mit. 

Die Anzeige einer weiblichen dritten Person veranlasste DRV Ermittlungen aufzunehmen

Über eine weibliche dritte Person erlangte die Beklagte im Dezember 2012 Kenntnis von dieser Hochzeit. Nach Eingang dieser Anzeige nahm die Beklagte Ermittlungen auf und stoppte zunächst die laufende Rentenzahlung.

Mit Bescheid vom 13. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2014 hob sie die Witwenrente auch für die Vergangenheit auf. Insgesamt forderte die Beklagte von der Klägerin für den Zeitraum Januar 1999 bis September 2013 die Erstattung von 148.692,71 Euro zu Unrecht gezahlter Witwenrente.

Nach erfolglosen Widerspruchsverfahren erhebt Klägerin Klage beim SG Berlin

Im Dezember 2014 erhob die inzwischen geschiedene Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Berlin und bestritt, ihre Mitteilungspflichten grob fahrlässig verletzt zu haben. Ihr sei Vertrauensschutz zu gewähren. 

Sie begründete dies damit, dass sie gar keinen Anlass gehabt habe, die Beklagte von der Hochzeit zu unterrichten. Denn sie sei damals davon ausgegangen, dass die Ehe schon nach kalifornischem Recht unwirksam sei, weil statt zwei Zeugen nur einer bei der Eheschließung dabei gewesen war. 

Nach Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hat die 105. Kammer des SG Berlin die Klage durch Urteil vom 11. Dezember 2015 zurückgewiesen und die Auffassung der Beklagten bestätigt. 

Argumente der Klägerin überzeugten nicht

In seiner Entscheidung wies das SG Berlin darauf hin, dass Anspruch auf Witwenrente nur bis zu einer Wiederheirat bestehe. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Eheschließung, wie von der Klägerin vorgetragen, gebe es keine. 

Feststellungen des Gerichts hätten ergeben, dass eine standesamtliche Heiratsurkunde vorliege. Auch reiche nach dem kalifornischen Familiengesetz für die Gültigkeit der Ehe die Anwesenheit nur eines Trauzeugen aus. 

Des Weiteren begründete das SG Berlin die Klageabweisung damit, dass der Klägerin ihre Pflicht zur Mitteilung der Hochzeit aufgrund des Rentenbescheides hätte bekannt sein müssen. Denn die diesbezüglichen Hinweise entsprächen gerade nicht der sprichwörtlichen Bleiwüste, sondern seien in einfacher Sprache verfasst, nicht versteckt und hinreichend klar gegliedert gewesen. Die sich daraus ergebende Mitteilungspflicht habe die Klägerin zumindest grob fahrlässig verletzt.

Versuch der Klägerin sich als „unbedarfte Hausfrau“ darzustellen überzeugt  nicht

Nicht verfangen vermochte der Vortrag der Klägerin, dass sie von der Unwirksamkeit der Ehe ausgegangen sei. Nach Auffassung der Richter*innen der 105. Kammer des SG Berlin hätte sie sich – zumal als juristischer Laie – nicht auf ihre eigene rechtliche Wertung verlassen dürfen. 

Wenn sie im Übrigen den Eindruck zu erwecken suche, sie sei eine eher unbedarfte Hausfrau gewesen, so mache sie sich kleiner als sie tatsächlich sei. Immerhin sei sie im Alter von weit mehr als 60 Jahren in die USA gezogen – ein Schritt, der auf Mut und Selbstvertrauen hinweise.
 

Außerdem habe sie in der mündlichen Verhandlung sehr gepflegt, rüstig und geistig rege gewirkt. Schließlich liege auch kein atypischer Fall vor, der die rückwirkende Aufhebung der Rentenbewilligung möglicherweise ausschließen könnte. Die Klägerin gerate durch die Rückforderung der Rente nicht in besondere Bedrängnis, vielmehr verfüge sie über ein Sparvermögen von rund 90.000 Euro und eine Eigentumswohnung. 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann es mit der Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in Potsdam anfechten. 

Anmerkung:

Für die Klägerin besteht zwar die Möglichkeit, gegen die Entscheidung des SG Berlin Berufung beim LSG Berlin-Brandenburg einzulegen. Ob diese jedoch von Erfolg gekrönt sein wird, erscheint nach deren erstinstanzlichen Vortrag mehr als fraglich. Denn Gründe die die rückwirkende Aufhebung der Rentenbewilligung möglicherweise ausschließen könnten, wurden weder im Widerspruchsverfahren, noch in der I. Instanz vorgetragen, was sich in der Berufungsinstanz kaum mehr korrigieren lassen wird. 

Nach § 45 SGB X kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. 

Bis wann der Klägerin Geldleistungen durch die DRV gezahlt wurden, lässt sich der Pressemitteilung des SG Berlin vom 08.01.2016 nicht konkret entnehmen. Sollten die Rentenzahlungen nicht bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens erfolgt sein, so wäre der Rückzahlungsanspruch auf 10 Jahre beschränkt.

Sollte Berufung gegen die Entscheidung des SG Berlin eingelegt werden, werden wir darüber berichten.

Hier gibt es das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08.01.2015 Az: S 105 R 6718/14 im Volltext


Im Praxistipp:

  • § 46 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung und Sozialgesetzbuch (SGB) - Witwenrente und Witwerrente
  • § 45 Sozialgesetzbuch (SGB) Zehntes Buch (X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes

Rechtliche Grundlagen

§ 46 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung und Sozialgesetzbuch (SGB) und § 45 Sozialgesetzbuch (SGB) Zehntes Buc

§ 46 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung

- Witwenrente und Witwerrente

(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.
(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie
1. ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2. das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3. erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1. Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2. Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.
(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.
(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).
(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

§ 45 Sozialgesetzbuch (SGB) Zehntes Buch (X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz
- Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
1. die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.vder Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.
(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.