Die Dozentin bekam ihre Verträge immer nur für wenige Wochen.© Adobe Stock: maroke
Die Dozentin bekam ihre Verträge immer nur für wenige Wochen.© Adobe Stock: maroke

Die Beteiligten im Verfahren stritten um die Frage, ob die bei der klagenden Arbeitgeberin im Jahr 2017 als Dozentin beschäftigte Beigeladene der Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung unterlag.

 

Die Klägerin bietet für die Bundesagentur für Arbeit Arbeitsförderungsmaßnahmen an. Dafür bedient sie sich fest angestellter Mitarbeiter sowie freiberuflicher Dozent*innen. Die Beigeladene hatte mit der Klägerin einen Rahmenvertrag über eine Dozententätigkeit auf Honorarbasis abgeschlossen. Nachfolgend kam es zu insgesamt acht Einzelverträgen über eine Dozententätigkeit für verschiedene Kurse von jeweils zwei bis drei Wochen im Jahr 2017.

 

Die Beigeladene stellte einen Antrag auf Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft

 

Ende 2017 beantragte die Beigeladene bei der Clearingstelle der beklagten Rentenversicherung festzustellen, dass sie Arbeitnehmerin und keine freiberuflich tätige Dozentin sei. Die Beklagte gab ihrem Antrag im Widerspruchsverfahren statt.

 

Die Arbeitgeberin war damit nicht einverstanden. Im anschließenden Klageverfahren verwies sie darauf, der Rahmenvertrag habe die Beigeladene nicht verpflichtet, Einzelverträge anzunehmen. Sie habe ihr eigenes Kurskonzept erarbeitet und vorgelegt. Außerdem sei sie keiner Inhaltskontrolle oder Weisung unterworfen gewesen. Vorlagen und Muster hätten nur der Einarbeitung und Arbeitserleichterung der Dozenten gedient. In der Gesamtschau sei daher von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen.

 

Das Sozialgericht wies die Klage ab.

 

Die Statusfeststellung ist an keine Fristen gebunden

 

Das SGB VI gibt die Möglichkeit, beim Rentenversicherungsträger eine Entscheidung darüber zu beantragen, ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Wird der Antrag innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis fest, tritt die Versicherungspflicht sofort mit der Bekanntgabe der Entscheidung durch die Rentenversicherung ein. Das gilt jedoch nur für die Fälle, in welchen der*die Beschäftigte zustimmt.

 

Denn für die Zwischenzeit bis zu einer rechtlichen Klärung muss der*die Betroffene eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen haben, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht.

 

Ein Statusfeststellungsantrag ist aber auch nach Beendigung eines Auftragsverhältnisses zulässig. Das Gesetz enthält keine Antragsfrist.

 

Die Rentenversicherung muss im Verfahren prüfen, ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vereinbart wurde. Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Das setzt eine persönliche Abhängigkeit des*der Arbeitnehmers*in vom Arbeitgeber voraus.

 

Das SG Berlin orientiert sich an den Vorgaben des BSG zur abhängigen Beschäftigung

 

Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb liege eine persönliche Abhängigkeit vor, wenn der*die Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung unterliege – so das SG Berlin.

 

Eine selbstständige Tätigkeit sei durch das eigene unternehmerische Risiko, die eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Maßgeblich sei das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Rentenversicherung müsse eine nachvollziehbare, das heißt den Gesetzen der Logik entsprechende und widerspruchsfreie Abwägung vornehmen.

 

Dabei müsse sie die Ernsthaftigkeit der Verträge prüfen. Etwaiger "Etikettenschwindel" führe unter Umständen als Scheingeschäft zur Nichtigkeit der Vereinbarung. Bei Widersprüchen hinsichtlich der tatsächlichen Vertragsgestaltung und dem formalen Vertrag gingen die tatsächlichen Beziehungen vor.

 

Die Beigeladene war abhängig beschäftigt

 

Der Vertrag der Beigeladenen mit der Klägerin sei als Dienstvertrag formuliert worden. Die Beigeladene habe keinen Anspruch auf Urlaub oder sonstige Leistungen gehabt. Man habe die Möglichkeit vereinbart, eine Ersatzperson zu stellen, selbst für die soziale Absicherung zu sorgen und eigene Kurskonzepte zu erarbeiten, was für einen Arbeitsvertrag untypisch sei.

 

Die Beigeladene habe sich vertraglich nicht für einen längeren Zeitraum an die Klägerin gebunden, eine Dienstbereitschaft oder lange andauernde Tätigkeit hätten die Vertragsparteien nicht vereinbart. Die Abrechnung sollte auf der Grundlage eines festgelegten Honorars zuzüglich Mehrwertsteuer und ohne Urlaubsvergütung gezahlt werden. Das entspreche dem typischen Bild eines Werk- oder Dienstvertrages.

 

Die Übertragung des Risikos, bei krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen kein Honorar zu erhalten, spreche aber nur für Selbstständigkeit, wenn dem auch eine größere Unabhängigkeit oder höhere Verdienstchance gegenüberstehe. Allein die Belastung der Erwerbstätigen mit zusätzlichen Risiken rechtfertige nicht die Annahme von Selbstständigkeit, wenn das gegenseitige Verhältnis im Übrigen nach der tatsächlichen Gestaltung als abhängige Beschäftigung anzusehen sei.

 

Zwar hätten die Klägerin und die Beigeladene keinen Arbeitsvertrag schließen wollen, die tatsächliche Umsetzung der Vereinbarung spreche jedoch für eine abhängige Beschäftigung.

 

Die Beigelade unterlag der Weisung der Klägerin

 

Die Vertragsbeziehung habe die Weisungsgebundenheit vertraglich geregelt, eine Eingliederung sei auch gelebt worden. Das ergebe sich daraus, dass die Bindung der Beigeladenen an die inhaltlichen Vorgaben und die betrieblichen Abläufe der Klägerin sehr stark gewesen seien.

 

Zu gering belassene Freiheiten wiesen darüber hinaus auf eine persönliche Abhängigkeit hin. Zwar spreche die Tatsache, dass Ort und Tag für die Tätigkeit feststanden noch nicht für die Weisungsgebundenheit. Trotz größerer Eigenverantwortung bei der Aufgabenerledigung habe es jedoch eine fortbestehende funktionsgerechte Teilhabe der Klägerin am Arbeitsprozess gegeben. Damit habe die Klägerin die Beigeladene in ihrer Tätigkeit weisungsbefugt gebunden.

 

Die Klägerin habe die Kursinhalte vorgegeben. Deren Einhaltung habe sie auch kontrolliert. Die eigenschöpferische Leistung der Beigeladenen habe sich auf eine eigenverantwortliche Umsetzung der vorgegebenen Inhalte beschränkt. Kurs- und Pausenzeiten seien von der Klägerin vorgegeben worden.

 

Die Klägerin hatte viele Vorgaben gemacht

 

Entscheidendes Indiz war für das Sozialgericht das Maß an Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin. Die Arbeitsleistung sei ausschließlich in den Räumen der Klägerin erfolgt. Die Kurszeiten seien von dieser vorgegeben worden, ebenso die Details der Zusammenarbeit. Die Beigeladene habe die Pflicht zur Führung eines Klassenbuchs gehabt und damit Verwaltungsaufgaben übernommen. Bei Klausuren sei die Nutzung der Kopfbögen der Klägerin vorgeschrieben gewesen. Gleiches habe für vorgegebene Abrechnungsformulare gegolten.

 

Die Beigeladene habe kein unternehmerisches Risiko getragen. Sie habe im Wesentlichen nur ihre Arbeitskraft eingesetzt. Das Risiko, keine Folgeaufträge zu erhalten, trage auch ein befristet Beschäftigter.

 

Das SG bestätigte daher eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Rechtskräftig ist die Entscheidung aber noch nicht. Die Arbeitgeberin ging in Berufung.

 

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Berlin

 

 

Hier lesen Sie den Sachstandsbericht des Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages 

 

 

 

Das sagen wir dazu:

Thomas Jung gibt einen Hinweis für die Praxis

 

Thomas Jung aus Berlin meint zum Ausgang des Verfahrens, der Klägeranwalt habe „wutschnaubend“ dem Beklagtenvertreter noch im Gerichtssaal gegenüber eine Berufung in Aussicht gestellt. Offensichtlich ließ er sich dann aber doch von den Entscheidungsgründen des Urteils überzeugen, denn das Urteil wurde rechtskräftig.

 

Zur Entscheidung lässt er uns wissen:

 

Ansonsten das Übliche bei solchen Verfahren: Der „Auftraggeber“ will unbedingt die Zügel in der Hand behalten, was die betrieblichen Abläufe anbelangt und gibt durch Handbücher und Festlegung der Erstkontakte mit den „Kunden“ ein „enges inhaltliches, zeitliches und räumliches Korsett“ vor, gleichzeitig will er aber die SV - Beiträge sparen und sich hierdurch unlautere Wettbewerbsvorteile auf dem Qualifizierungsmarkt sichern. Es ist zu begrüßen, dass das SG dem einen Riegel vorschiebt. Die „zusätzlichen“ Rentenzeiten haben bei häufig „löchrigen“ Erwerbsbiographien von Pseudo-Freelancern übrigens auch bei der „Grundrente“ besondere Relevanz. Wegen der häufig eine relativ lange Zeit möglichen Antragstellung betreffend eine Statusfeststellung nach § 7a SGB IV sollte hieran gedacht werden.

 

Der Empfehlung von dem Juristen Jung schließe ich mich an. Bekannt sind Statusfeststellungsklagen vor allem im Arbeitsrecht. Dass das SGB IV diese Möglichkeit ebenfalls bereithält, ist vielerorts nicht bekannt, sollte aber nicht in Vergessenheit geraten.

 

Allgemeines ergibt sich aus einem Sachstandsbericht des Deutschen Bundestages

 

Immense Risiken wie die Nachzahlung von Beiträgen zuzüglich Säumniszuschlägen sowie die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung drohen vor allem Arbeitgebern bei einer falschen Einschätzung der Sozialversicherungspflicht. Auch Arbeitgeber können deshalb frühzeitig eine Statusfeststellung beantragen. So kann schon im Vorfeld einer Tätigkeitsaufnahme die sozialversicherungsrechtliche Einstufung erfragt und das Risiko von erheblichen Nachforderungen vermieden werden.

 

Zum sozialrechtlichen Begriff der Beschäftigung und der arbeitsrechtlichen Arbeitnehmereigenschaft in Abgrenzung zur selbstständigen Tätigkeit gibt es für interessierte Leser*innen einen Sachstandsbericht der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Im dortigen Fazit heißt es:

 

Arbeitnehmer- und Beschäftigtenbegriff sind zwei selbständige Rechtsinstitute, bei deren

Auslegung die Gerichte sich an denselben Kriterien orientieren und zumeist zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangen. Lediglich in Fällen, in denen die unterschiedlichen Regelungszwecke von Arbeits- und Sozialversicherungsrecht dies erfordern, divergiert die Rechtsprechung. Von Bedeutung ist insbesondere, dass zentraler Zweck des Arbeitsrechts der Schutz des individuellen Arbeitnehmers ist, während das Sozialversicherungsrecht der Absicherung des einzelnen Beschäftigten, sowie der Solidargemeinschaft aller Versicherten dient.

 

Im Einzelfall empfiehlt sich daher die Überlegung, ob ein Statusfeststellungsverfahren arbeitsrechtlich oder sozialrechtlich eingeleitet werden soll.