BSG: Eine längere Arbeitsunfähigkeit allein bewirkt keine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. Urlaubsabgeltung ist dann „rentenschädlich“.
BSG: Eine längere Arbeitsunfähigkeit allein bewirkt keine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. Urlaubsabgeltung ist dann „rentenschädlich“.


Es begann mit einer Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2012. Der Leitsatz lautete: Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, das nicht aus einer während des Rentenbezugs noch bestehenden Beschäftigung stammt, ist kein rentenschädlicher Hinzuverdienst.
 

Rechtsstreite verliefen zunächst negativ für die Rentenversicherung 

 
In der Folge gab es zahlreiche Rechtsreite darüber, wie diese Rechtsprechung in Einzelfällen zu verstehen ist. Vor allem die Urlaubsabgeltung stand dabei im Fokus. Der DGB Rechtsschutz konnte auf der Grundlage der BSG-Rechtsprechung Verfahren erfolgreich führen.

Und auch die weitere Entwicklung der Rechtsprechung der Landessozialgerichte verlief für die Erwerbsminderungsrentner erfreulich.
 
Weder erfreulich noch zu erwarten: die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 06.09.2017, mit dem es der Revision der Rentenversicherung stattgibt und Urlaubsabgeltung als rentenschädlicher Hinzuverdienst wertet.
 

Klägerin war in erster und zweiter Instanz erfolgreich

 
Die Klägerin war schon ab 2009 arbeitsunfähig und beantragte dann eine Erwerbsminderungsrente.  Im April 2011 hatte die beklagte Rentenversicherung der Klägerin zu Januar 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Im Mai 2011 erhielt die Klägerin von ihrem ehemaligen Arbeitgeber eine Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 in Höhe von 5.500 Euro. Die Beklagte wertete diese als Hinzuverdienst im Sinne des § 96a Abs. 1 SGB VI. Sie hob deshalb den Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe für Mai 2011 teilweise auf und forderte die Rentenleistung in Höhe von 729,75 Euro zurück.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete erst durch arbeitgeberseitige Kündigung zu Ende Dezember 2012.
 
Die Klägerin war vor dem Sozialgericht Konstanz und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg erfolgreich. Diese entschieden, dass die Urlaubsabgeltung kein Hinzuverdienst sei, da die Klägerin wegen Krankheit schon seit November 2009 nicht mehr eingesetzt werden konnte. Ein Beschäftigungsverhältnis habe damit im leistungsrechtlichen Sinne nicht mehr bestanden.
 
Das BSG gab nun der Revision der Rentenversicherung statt.
 

BSG hält am leistungsrechtlichen Begriff der Beschäftigung fest

 
Eine komplette Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung ist die Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung auf eine für den betreffenden Monat zu leistende Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit als Hinzuverdienst anzurechnen ist, geht es vom leistungsrechtlichen Begriff der Beschäftigung aus. Dabei beurteilt es den Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Beschäftigung unabhängig vom rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses.
 
Im Urteil aus 2012 hieß es dazu: Eine Beschäftigung ende trotz eines rechtlich (fort-)bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits dann, wenn - wie z.B. bei seinem Ruhen - die Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer tatsächlich nicht (mehr) erbracht wird, weil der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet hat.
 

Längere Arbeitsunfähigkeit allein unterbricht Arbeitsverhältnis nicht

 
So weit, so gut, denn die Klägerin war ja wie in den meisten Fällen schon lange arbeitsunfähig und hat nicht mehr gearbeitet. Hier kommt leider das große und entscheidende Aber: Allein die längere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bewirke keine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. Das hatte das Landessozialgericht Baden-Württemberg  - wie auch andere Gerichte  - anders gesehen. Das BSG tritt hier der Auffassung des Landessozialgerichts bedauerlicherweise entgegen.
 
Mit dem Gesetzeszweck ist diese Auffassung nicht zu vereinbaren. Auf diesen hatten auch andere Gerichte abgestellt. Der Gesetzgeber wollte lediglich die Möglichkeit beseitigen, „neben“ einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit „unbegrenzt“ hinzuverdienen zu können. Das trifft aber auf Fälle wie diesen nicht zu.
 

Rentenversicherung hatte im ähnlichen Fall die Revision zurückgenommen

 
Nach einem für die Rentner positiven Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen, endete das Verfahren beim BSG interessanterweise auch mit einer Rücknahme der Revision durch die Rentenversicherung.
 
Wir hatten daraus geschlossen, die Rentenversicherung sei mit der Meinung gescheitert, die Rechtsprechung des BSG aus 2012 zum Hinzuverdienst gelte nur bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach arbeits- oder tarifvertraglichen Vorschriften. Die jetzige Entscheidung des Bundessozialgerichts überrascht deshalb.
 

BSG konstruiert eine „rechtlich-zeitliche Kongruenz“

 
Zudem überzeugt sie auch nicht. Das BSG bringt hier eine „rechtlich-zeitliche Kongruenz“ ins Spiel. Wenn eine solche zwischen Rentenleistung und Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers bestehe, liege eine zu berücksichtigender Hinzuverdienst vor. Dies sei bei der Urlaubsabgeltung so, weil der Abgeltungsanspruch an die Stelle des bereits während der Beschäftigung erworbenen Urlaubsanspruchs tritt. Damit kommt das BSG über den Punkt hinweg, dass die Rentnerin zuletzt, also bis zur tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gearbeitet haben. Ein Konstrukt, welches doch sehr ergebnisorientiert wirkt.
 
Bisher liegt nur der Terminsbericht zur Entscheidung des BSG vor. Wir sind nicht der Ansicht, dass damit alle Fälle dieser Art zugunsten der Rentenversicherung zu entscheiden sind. Denn zumindest sagt das BSG, allein die längere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bewirke noch keine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses. Ein Tarifvertrag galt hier nicht und ein Ruhen war zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht vereinbart. Damit sind unverändert Fälle anders zu bewerten, in denen per Arbeits- oder Tarifvertrag ein Ruhen eintritt.
 
Eventuell spielt es hier auch eine Rolle, dass der Arbeitgeber Urlaubsabgeltung schon im Mai 2011 für das Jahr 2010 ausgezahlt hat, das Arbeitsverhältnis aber „auf dem Papier“ noch bis Ende 2012 bestand. Dies ist zumindest eine Besonderheit, da Urlaubsabgeltung erst beansprucht werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet ist. 
 

Weitere Entscheidung des Bundessozialgerichts steht aus

 
Außerdem wird es noch ein weiteres Urteil vom BSG zur gleichen Problematik geben. Beim 5. Senat ist noch ein Verfahren (B 5 R 26/16 R) anhängig, welches das LSG Essen auch zu Gunsten des Versicherten entschieden hatte. Die einmalig gezahlten Arbeitsentgelte stammten nicht "aus einer Beschäftigung" im Sinne von § 96 a SGB Vl, so das LSG. Auch hier gab es kein arbeits- oder tarifvertragliches Ruhen des Arbeitsverhältnisses.
 
Der 5. Senat muss beantworten, ob vom Wegfall einer Beschäftigung bereits dann auszugehen ist, wenn die Arbeitsleistung krankheitsbedingt auf Dauer nicht erbracht wird. Es geht also um die Frage, die der 13. Senat des Bundessozialgerichts mit dem Urteil vom 6. September verneint hat.
 

Der zeitliche Ablauf ist wichtig 

 
In jedem Fall ist immer auf den zeitlichen Ablauf zu achten:
Das BSG sagt, die Regelung (§ 96a SGB VI) „diene der Vermeidung einer Übersicherung durch den gleichzeitigen Bezug von Arbeitsentgelt und einer als Ersatz von Arbeitsentgelt konzipierten Erwerbsminderungsrente“. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die Erwerbsminderungsrente und die Urlaubsabgeltung zur gleichen Zeit ausgezahlt werden. Entscheidend kann nur sein, ob das Arbeitsverhältnis noch während des Bezugs der Rente fortbestand.
 
Damit ist Urlaubsabgeltung dann kein rentenschädlicher Hinzuverdienst, wenn es die Rente erst gibt, nachdem das Arbeitsverhältnis „richtig“ (durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag) beendet ist.
 
In der Praxis sind diese Fälle leider seltener. Denn zumeist werden die Erwerbsminderungsrenten rückwirkend bewilligt. Und welcher Arbeitnehmer möchte schon das Risiko eingehen, sein Arbeitsverhältnis zu kündigen, solange nicht klar ist, ob er eine Rente bekommen wird?! Da Urlaubsabgeltung nun mal erst beansprucht werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist, überzeugt die unerfreuliche Entscheidung des Bundessozialgerichts zu guter Letzt auch unter sozialen Aspekten nicht.
 
 
Links:


Hier geht´s zum Terminbericht des Bundessozialgerichts vom 06.09.2017

Urlaubsabgeltung kein rentenschädlicher Hinzuverdienst

Urlaub kein Hinzuverdienst bei der Erwerbsminderungsrente