Urlaub kein Hinzuverdienst bei der Erwerbsminderungsrente
Urlaub kein Hinzuverdienst bei der Erwerbsminderungsrente

Tritt im Laufe eines Arbeitsverhältnisses eine Erwerbsminderung ein, die einer weiteren Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistungen entgegensteht, dann sind Zahlungen des Arbeitgebers zur Abgeltung verbliebener Erholungsurlaubsansprüche nicht nach Maßgabe des § 96a SGB VI als Hinzuverdienst auf die zuerkannte Erwerbsminderungsrente anzurechnen. 

Dies ist der Leitsatz der Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG). Das LSG führt damit die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2012 fort. Danach sind Einmalzahlungen, die einem Versicherten nach Rentenbeginn bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis und einem zu diesem Zeitpunkt schon unterbrochenen oder beendeten Beschäftigungsverhältnis noch zufließen, kein rentenschädlicher Hinzuverdienst. Darunter fällt auch die Urlaubsabgeltung. 

Arbeitsverhältnis erst nach Bewilligung der Erwerbsminderungsrente beendet

Der Sachverhalt ist einer, wie er häufig vorkommt: Lange Arbeitsunfähigkeit, Krankengeldbezug, Rentenbewilligung und später Abwicklung des Arbeitsverhältnisses. 

 

Konkret war der Ablauf hier folgender: Die Deutsche Rentenversicherung bewilligte dem Kläger zum Juni 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die ab dem 1. Oktober 2011 gezahlt wurde. Da der Kläger schwerbehindert ist, beantragte er eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die er ab dem 1. November 2011 erhielt. 


Das Arbeitsverhältnis wurde aus gesundheitlichen Gründen vom Kläger zum 31. Oktober 2011 gekündigt. Für den Monat Oktober 2011 erhielt der Kläger im Folgemonat November Vergütung für Mehrarbeit, tarifliches zusätzliches Urlaubsgeld und Urlaubsabgeltung für nicht mehr genommen Urlaub (elf Tage Resturlaub aus 2010, 30 Tage Urlaub aus 2011 und fünf Tage Sonderurlaub für Schwerbehinderte). 

Rente wird wegen Überschreitung des Hinzuverdienstes zurückgefordert

Nun kam, was (trotz der Rechtsprechung des BSG) kommen musste: Die DRV berechnete die Rente neu und stellte eine Überzahlung fest in Höhe der kompletten Rentenzahlung, die für den Monat Oktober 2011 geflossen war. 


Der dagegen erhobene Widerspruch war erfolglos. Urlaubsgeld und Urlaubsabgeltung seien als Hinzuverdienst anzurechnen, woran auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nichts ändere. Die DRV argumentierte damit, dass im Falle des Klägers das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Rentenbeginns nicht geruht habe. Der Kläger sei zwar arbeitsunfähig gewesen, was das Beschäftigungsverhältnis jedoch weder unterbrochen noch zum Ruhen gebracht hätte.

Sozialgericht Hannover hebt Rückforderungsbescheide der Rentenversicherung auf

Es folgte eine erfolgreiche Klage beim Sozialgericht Hannover. Die Zahlung des Arbeitgebers sei zwar Arbeitsentgelt, das dem Kläger nach Rentenbeginn zugeflossen sei. Aber dieses Entgelt stamme nicht aus einer Beschäftigung des Klägers während des Bezugs der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Denn: Trotz eines Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses sei dieses faktisch spätestens ab Rentenbewilligung unterbrochen gewesen.


Die DRV ging in Berufung mit der Argumentation, die BSG-Rechtsprechung könne nur dann Anwendung finden, wenn ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeits- oder tarifvertraglicher Regelung infolge der Rentenbewilligung ab Rentenbeginn eingetreten sei.

Das sieht das LSG nicht so und ordnet die Zahlungen, die der Kläger vom Arbeitgeber im November 2011 erhalten hat, nicht als anrechenbaren Hinzuverdienst ein.

Landessozialgericht: Formales Ruhen des Arbeitsvertrages nicht entscheidend

Zu dem Ergebnis kommt das LSG, weil es  - wie das BSG - das Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinne sieht. Entscheidend ist danach nicht, ob das Arbeitsverhältnis „auf dem Papier“ ungekündigt besteht, sondern ob es noch tatsächlich gelebt wird. Das Ende des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinn liegt dann vor, wenn ein faktisches Ende des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Dies ist auch der Fall bei einem langfristig erkrankten Arbeitnehmer, der der Verfügungsgewalt des Arbeitgebers nicht mehr unterstellt ist.

Und ein solches sei im Zeitraum seit Rentenbeginn nicht mehr festzustellen. Der Senat folgte der Auffassung der DRV nicht, wonach die vom BSG aufgestellten Anforderungen nicht erfüllt seien, da das Arbeitsverhältnis des Klägers zum Zeitpunkt des Beginns der Erwerbsminderungsrente weder nach arbeitsvertraglichen noch tarifvertraglichen Regelungen ruhte. Es komme nicht darauf an, ob der Arbeitsvertrag formal ruhe, wenn ein Beschäftigungsverhältnis ab Rentenbeginn unterbrochen, beendet ist oder ruht. Entscheidend sei allein, dass das einmalig gezahlte Arbeitsentgelt nicht aus einer während des Rentenbezuges noch bestehenden Beschäftigung stammt.

Hinzuverdienst soll Arbeit auf Kosten der Gesundheit verhindern

Das LSG beruft sich in seiner Entscheidung auf die Gesetzesbegründung zum einschlägigen Paragraphen (§ 96a SGB VI). 

Der Gesetzgeber habe durch die Hinzuverdienstgrenzen die Möglichkeit des Versicherten einschränken wollte, durch Arbeit neben einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - "auf Kosten seiner Gesundheit" - unbegrenzt hinzuzuverdienen. Denn Ziel der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist, den durch die Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetretenen Einkommensverlust auszugleichen. Insofern sollte Einkommen, das durch Arbeit auf Kosten der Gesundheit erzielt wird, nicht unberücksichtigt bleiben. 

Der Fall liege aber anders bei einmaligen Einkünften aus dem Arbeitsverhältnis, die durch den Eintritt der Erwerbsminderung bedingt sind und die der Versicherte anderenfalls gar nicht erhalten hätte. Speziell zur Urlaubsabgeltung stellte das LSG darauf ab, dass eine finanzielle Abgeltung von Urlaubsansprüchen (jedenfalls in dem nachträglich für den Monat Oktober 2011 erfolgtem Ausmaß) ohne den Eintritt der Erwerbsminderung nicht zu erwarten gewesen wäre. Denn vielmehr wäre dem Kläger der zustehende Erholungsurlaub tatsächlich (mit der gesetzlich und tarifvertraglich vorgesehenen Lohnfortzahlung) gewährt worden.

Anmerkung zum Vorgehen der Rentenversicherungsträger

Die Rentenversicherungsträger hatten sich nach der Rechtsprechung des BSG aus Juli 2012 darauf geeinigt, dem Urteil nicht in allen Fällen zu folgen. Nur, wenn Erwerbsminderungsrentnern nach Rentenbeginn Einmalzahlungen aus einem Arbeitsverhältnis zufließen und dieses Arbeitsverhältnis aufgrund arbeits- und tarifrechtlicher Regelungen bereits zum Zeitpunkt des Rentenbeginns ruhe, seien Einmalzahlungen nicht als Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Da dem BSG-Urteil ein solcher Fall vorlag, schloss die DRV daraus, Einmalzahlungen seien als Hinzuverdienst anzurechnen, wenn das Arbeitsverhältnis erst nach Rentenbeginn ruhe oder erst dann beendet werde. 

Revision beim Bundessozialgericht endete mit Rücknahme

Das LSG hatte die Revision zum BSG zugelassen, das Verfahren dort endete aber mit Rücknahme. Daraus können wir wohl getrost den Schluss ziehen, dass die Sache dort nicht anders ausgegangen wäre. 

Die Rentenversicherung ist mit seiner “Idee“, die Rechtsprechung des BSG aus 2012 zum Hinzuverdienst gelte nur bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach arbeits- oder tarifvertraglichen Vorschriften, gescheitert. Und das ist nicht nur gut so, sondern auch zwangsläufig. Das ergibt sich unserer Ansicht schon auf den ersten Blick aus dem Begriff „rentenschädlicher Verdienst“. Und weiter daraus, dass das BSG den leistungsrechtlichen Begriff der Beschäftigung anwendet. Danach endet eine Beschäftigung trotz eines rechtlich (fort-)bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits dann, wenn die Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer tatsächlich nicht (mehr) erbracht wird. Entscheidend ist dabei, dass das Arbeitsverhältnis faktisch nicht mehr gelebt wird. Es kann nicht darauf ankommen, ob im Arbeitsvertrag oder im Tarifvertrag geregelt ist, dass im Falle der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung das Arbeitsverhältnis formal ruht. 

Bleibt zu hoffen, dass die Rentenversicherungsträger nun auch daran halten! Wir können nur empfehlen, sich rechtlichen Rat einzuholen und Widerspruch einzulegen, in Fällen, in denen Urlaubsabgeltung als Hinzuverdienst angerechnet und die Rente deshalb zurückgefordert wird. 



Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27.01.2016 (L 2 R 615/14) kann hier im Volltext nachgelesen werden.

 

Lesen Sie zum Thema unseren Artikel über einen eigenen vergleichbaren und erfolgreichen Fall „Urlaubsabgeltung kein rentenschädlicher Hinzuverdienst“

Dort kann auch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R) im Volltext nachgelesen werden. 

Rechtliche Grundlagen

§ 96 a Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinzuverdienst

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337)
§ 96a Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinzuverdienst

(1) Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Absatz 2 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Die in Satz 2 genannten Einkünfte werden zusammengerechnet. Nicht als Arbeitsentgelt gilt das Entgelt, das
1.
eine Pflegeperson von dem Pflegebedürftigen erhält, wenn es das dem Umfang der Pflegetätigkeit entsprechende Pflegegeld im Sinne des § 37 des Elften Buches nicht übersteigt, oder
2.
ein behinderter Mensch von dem Träger einer in § 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Einrichtung erhält.
(1a) Abhängig vom erzielten Hinzuverdienst wird
1.
eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in voller Höhe oder in Höhe der Hälfte,
2.
eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von drei Vierteln, in Höhe der Hälfte oder in Höhe eines Viertels,
3.
eine Rente für Bergleute in voller Höhe, in Höhe von zwei Dritteln oder in Höhe von einem Drittel
geleistet.
(2) Die Hinzuverdienstgrenze beträgt
1.
bei einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
a)
in voller Höhe das 0,23fache,
b)
in Höhe der Hälfte das 0,28fache
der monatlichen Bezugsgröße, vervielfältigt mit der Summe der Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) der letzten drei Kalenderjahre vor Eintritt der teilweisen Erwerbsminderung, mindestens jedoch mit 1,5 Entgeltpunkten,
2.
bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe 450 Euro,
3.
bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
a)
in Höhe von drei Vierteln das 0,17fache,
b)
in Höhe der Hälfte das 0,23fache,
c)
in Höhe eines Viertels das 0,28fache
der monatlichen Bezugsgröße, vervielfältigt mit der Summe der Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) der letzten drei Kalenderjahre vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung, mindestens jedoch mit 1,5 Entgeltpunkten,
4.
bei einer Rente für Bergleute
a)
in voller Höhe das 0,25fache,
b)
in Höhe von zwei Dritteln das 0,34fache,
c)
in Höhe von einem Drittel das 0,42fache
der monatlichen Bezugsgröße, vervielfältigt mit der Summe der Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) der letzten drei Kalenderjahre vor Eintritt der im Bergbau verminderten Berufsfähigkeit oder der Erfüllung der Voraussetzungen nach § 45 Abs. 3, mindestens jedoch mit 1,5 Entgeltpunkten.
(3) Bei der Feststellung eines Hinzuverdienstes, der neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder einer Rente für Bergleute erzielt wird, stehen dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen gleich der Bezug von
1.
Krankengeld,
a)
das aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit geleistet wird, die nach dem Beginn der Rente eingetreten ist, oder
b)
das aufgrund einer stationären Behandlung geleistet wird, die nach dem Beginn der Rente begonnen worden ist,
2.
Versorgungskrankengeld,
a)
das aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit geleistet wird, die nach dem Beginn der Rente eingetreten ist, oder
b)
das während einer stationären Behandlungsmaßnahme geleistet wird, wenn diesem ein nach Beginn der Rente erzieltes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde liegt,
3.
Übergangsgeld,
a)
dem ein nach Beginn der Rente erzieltes Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde liegt oder
b)
das aus der gesetzlichen Unfallversicherung geleistet wird, und
4.
den weiteren in § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Vierten Buches genannten Sozialleistungen.
Bei der Feststellung eines Hinzuverdienstes, der neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erzielt wird, steht dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen das für denselben Zeitraum geleistete
1.
Verletztengeld und
2.
Übergangsgeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung
gleich. Als Hinzuverdienst ist das der Sozialleistung zugrunde liegende monatliche Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu berücksichtigen. Die Sätze 1 und 2 sind auch für eine Sozialleistung anzuwenden, die aus Gründen ruht, die nicht im Rentenbezug liegen. Absatz 1 Satz 3 ist nicht für geringfügiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen anzuwenden, soweit dieses auf die sonstige Sozialleistung angerechnet wird.
(4) Absatz 3 wird auch für vergleichbare Leistungen einer Stelle mit Sitz im Ausland angewendet.