Einen Platz im FJS konnte die 18-Jährige während der Pandemie erst nach fünf Monaten finden. © Adobe Stock: Dan Race
Einen Platz im FJS konnte die 18-Jährige während der Pandemie erst nach fünf Monaten finden. © Adobe Stock: Dan Race

Kurz nach dem Tod ihrer Mutter bestand die junge Frau aus der Gegend von Heilbronn ihr Abitur. Kurz darauf vollendete sie ihr 18. Lebensjahr. Anschließend bewarb sie sich im sozialen Dienst unterschiedlicher Träger. Sie erhielt ausschließlich Absagen mit der Begründung, entsprechende Stellen stünden wegen der Corona-Pandemie nicht zur Verfügung. Ein anderes Mal hieß es, man habe eine andere Bewerberin ausgewählt.

 

Die Phase der Trauer blieb nicht ohne Folgen

 

Die Zeit unmittelbar nach dem Abitur war für das Mädchen wegen des recht kurz zurückliegenden Todes der Mutter und wegen der Pandemie nicht leicht. Das wirkte sich auch auf ihr Bewerbungsverhalten aus. Sonderlich viele Bewerbung brachte sie nicht auf den Weg. Erst fünf Monate nach ihrem 18. Geburtstag konnte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) beginnen.

 

Die Rentenversicherung zahlte der Betroffenen nur bis zum 18. Geburtstag die Rente. Ab Beginn des FSJ nahm sie die Zahlungen wieder auf. Nach einer Klage des DGB Rechtsschutzbüros Heilbronn steht nun fest, dass die Halbwaisenrente auch für den Zeitraum dazwischen nachzuzahlen ist.

 

Das Gesetz lässt nur Unterbrechungen bis zu vier Monaten zu

 

Eine Halbwaisenrente wird längstens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt. Eine Verlängerung bis zum 27. Lebensjahr ist möglich, wenn der*die Waise sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet. Die Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes bzw. der Ableistung eines freiwilligen Dienstes darf dabei höchstens vier Kalendermonate betragen. In dem Fall wird die Halbwaisenrente durchgehend gezahlt.

 

Bei der Klägerin lagen zwischen der Vollendung des 18. Lebensjahres und der Aufnahme des FSJ fünf Monate. Die Rentenversicherung nahm das zum Anlass, die Zahlung zu stoppen. Der Prozessvertreter vom DGB Rechtsschutz verwies jedoch auf eine Übergangsvorschrift im SGB VI.

 

Anspruch auf eine Waisenrente besteht nämlich auch dann, wenn wegen der durch das Corona-Virus verursachten epidemischen Lage von nationaler Tragweite eine Schul- oder Berufsausbildung oder ein freiwilliger Dienst nicht angetreten werden können.

 

Auf die Bewerbungsintensität kommt es nicht an

 

Die viermonatige Übergangszeit sei zu verlängern, entschied das Sozialgericht. Die Klägerin habe zwar innerhalb der gesetzlichen Frist von vier Monaten das FSJ nicht angetreten, auf sie finde jedoch die Sonderregelung Anwendung.

 

Die Klägerin habe sich um mehrere FSJ-Plätze bemüht. Die Pandemie sei auch Ursache für die Absagen gewesen. Das Gesetz enthalte keine Einschränkungen, wonach Bezieher*innen von Halbwaisenrente eine bestimmte Bewerbungsintensität zeigen müssten.

 

Im Übrigen habe die Klägerin kurz vor ihrem 18. Geburtstag den Tod ihrer Mutter zu verkraften gehabt. Zu diesem Zeitpunkt sei es in Deutschland zu einem ersten Lockdown gekommen. Das habe die Bewältigung der Trauerphase nicht positiv beeinflusst. Schließlich habe die Klägerin wenige Monate danach unter den Bedingungen der Pandemie ihr Abitur absolvieren müssen.

 

Der Klägerin war ein anderes Verhalten nicht zumutbar

 

Berücksichtige man diese stark belastenden Faktoren und zusätzlich die allgemeinen psychischen Belastungen durch die pandemiebedingten Einschränkungen im Alltag, sei der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ein stärker zielgerichtetes Bewerbungsverhalten nicht zumutbar gewesen, so das Sozialgericht.

 

Die Übergangszeit, in welcher die Rentenversicherung die Halbwaisenrente weiter zahlen musste, habe deshalb mehr als vier Monate betragen. Der Klägerin stehe die Halbwaisenrente im gesamten Zeitraum zwischen Vollendung des 18. Lebensjahres und dem Beginn des FSJ Anspruch zu.

 

Eine erfreulich menschliche Entscheidung des Sozialgerichts.

 

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Heilbronn.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 48 SGB VI; § 304 SG VI

Waisenrente

§ 48 SGB VI
(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn
1. sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2. der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn
1. sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2. der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1. Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2. Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens
1. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2. bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a) sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b) sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c) einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d) wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.


§ 304 SGB VI
(1) Bestand am 31. Dezember 1991 Anspruch auf Waisenrente für eine Person über deren 25. Lebensjahr hinaus, weil sie infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, besteht der Anspruch weiter, solange dieser Zustand andauert.

(2) Anspruch auf eine Waisenrente besteht auch dann, wenn wegen der durch das Coronavirus SARSCoV-2 verursachten epidemischen Lage von nationaler Tragweite

1. eine Schul- oder Berufsausbildung oder ein freiwilliger Dienst im Sinne des § 48 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a und c nicht angetreten werden kann oder

2. die Übergangszeit nach § 48 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b überschritten wird.