Für viele behinderte Menschen ist ein Therapierad unerlässlich, um am Gesellschaftsleben teilnehmen zu können. Copyright by Adobe Stock/ irinashamanaeva
Für viele behinderte Menschen ist ein Therapierad unerlässlich, um am Gesellschaftsleben teilnehmen zu können. Copyright by Adobe Stock/ irinashamanaeva

Es ging um über 9.000 Euro für ein Behindertendreirad mit Elektromotor. Diesen Betrag hatten die Eltern eines schwerbehinderten Kindes aufgewandt, nachdem ihre Krankenkasse die Kosten dafür nicht übernehmen wollte.
 

Die Kasse erkannte die medizinische Notwendigkeit nicht an

Die Kasse vertrat die Auffassung, das Dreirad sei medizinisch nicht notwendig. Das Kind sei nicht einmal in der Lage, selbstständig mit einem herkömmlichen Kinderzweirad das Fahrradfahren zu erlernen. Die geistige Behinderung führe darüber hinaus dazu, dass das Kind Gefahren im Straßenverkehr nicht erkennen könne.
 
Deshalb solle das Fahrrad in erster Linie therapeutischen Zielen dienen. Es gehe um die Verbesserung der Körperhaltung des Kindes. Das diene der Teilhabe im Sinne einer Integration des Kindes in die Gruppe Gleichaltriger. Dafür genüge ein manuell angetriebenes Kinderdreirad oder ein handelsübliches Fahrrad mit Stützrädern.
 

Die Frist für den Widerspruch verstrich wegen des Heilverfahrens der Eltern

Gegen den ablehnenden Bescheid der Krankenkasse konnten die Eltern des Kindes nicht rechtzeitig Widerspruch erheben. Sie befanden sich in einem Heilverfahren. Sie hatten die Kur verlängert und waren deshalb zu spät zurück.
 
Die Eltern reichten stattdessen neue medizinische Unterlagen bei ihrer Krankenkasse ein. Damit beantragten sie noch einmal, ihrem Kind das gewünschte Therapierad zu bewilligen.
 
Eine Entscheidung ließ jedoch weiter auf sich warten. Die Eltern des Kindes wandten sich daher an Roland Oechsle vom DGB Rechtsschutzbüro Pirmasens. Der wies die Kasse darauf hin, dass das Gesetz eine Frist von drei Wochen für die Entscheidung über Anträge vorsehe. Diese Frist sei verstrichen.
 

Die Krankenkasse blieb weiter untätig

Dennoch geschah zunächst nichts. Die Kasse beauftragte ihren Medizinischen Dienst lediglich damit, ein Gutachten zu erstellen. Der Gutachter stellte fest, dass ein Therapierad ohne Motor ausreiche. Ein Elektroantrieb sei medizinisch bei einer erheblichen bis voll ausgeprägten Beeinträchtigung des Gehens notwendig.
 
Der Junge könnte sich oder andere jedoch mit einem motorisierten Dreirad gefährden. In diesem Fall käme die Versorgung mit dem gewünschten Rad nicht in Betracht.
 

Die Krankenkasse erteilte einen Widerspruchsbescheid

Daraufhin entschied die Krankenkasse erneut. Sie erteilte jedoch keinen Bescheid über den neuen Antrag, den die Eltern nach der Kur gestellt hatten. Sie legte ihrer Entscheidung stattdessen den früheren Antrag zu Grunde, den sie bereits abschlägig beschieden hatte und erteilte einen Widerspruchsbescheid.
 
Dass die Eltern überhaupt einen Widerspruch eingelegt hatten und die Frist dafür auch verstrichen war, ließ sie außer Betracht.
 

Die Krankenkasse versäumte die gesetzliche Frist

Gegen diesen Bescheid erhoben die Eltern Klage. Das Sozialgericht gab den Eltern Recht. Die Krankenkasse habe nicht fristgemäß über den Antrag entschieden. Nach dem Gesetz müsse sie das innerhalb von drei Wochen tun. Wolle sie ein Gutachten einholen, müsse sie das mitteilen. Dann habe sie eine Frist von fünf Wochen für die Entscheidung.
 
Diese Frist habe die Kasse nicht eingehalten. Nach dem Ende ihres Heilverfahrens hätten die Eltern ausdrücklich einen neuen Antrag gestellt. Die Frist für den Widerspruch war da bereits abgelaufen.
Die Eltern wollten erreichen, dass ihr Kind doch noch das gewünschte Therapierad erhält. Die Krankenkasse habe über diesen neuen Antrag aber nicht entschieden.

Der Antrag galt als genehmigt

Damit gelte die Anschaffung des Therapierates kraft Gesetzes als genehmigt. Dass die Krankenkasse später über einen Widerspruch entschieden hatte, der ohnehin verfristet gewesen wäre, ändere hieran nichts. Es liege nämlich kein Widerspruch vor. Die Eltern hätten ausdrücklich einen neuen Antrag gestellt.
 
Das Therapiedreirad mit Elektromotor sei auch erforderlich. Das ergebe sich aus den vorliegenden Attesten. Der Junge benötige dieses Hilfsmittel. Es gewährleiste seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und fördere seine motorische Entwicklung.
 

Die Krankenkasse muss die Kosten des selbstbeschafften Therapierades tragen

Nachdem die Krankenkasse keine Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist getroffen habe, durften die Eltern das gewünschte Therapierad auch selbst beschaffen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sehe das so vor.
 
Die Kasse müsse die entstandenen Kosten dann erstanden. Das gelte selbst dann, wenn das gewünschte Hilfsmittel wie hier erst während eines gerichtlichen Verfahrens gekauft worden sei.

Hier geht es zum Urteil
 
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Das sagen wir dazu:

Schwerpunkt dieser Entscheidung war die Frage, innerhalb welcher Fristen eine Krankenkasse über einen Antrag entscheiden muss und welche Konsequenz es hat, wenn dies nicht geschieht. Versicherte haben dann regelmäßig einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Beschaffung des gewünschten Hilfsmittels.

Dies gilt zumindest dann, wenn der Anspruch kraft Gesetzes grundsätzlich nicht verwehrt wäre. Lesen Sie hierzu auch:

Wer trägt die Kosten für ein Therapiedreirad mit Hilfsmotor?

Rechtliche Grundlagen

§ 13 SGB V

1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.
(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 5 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 4 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.
(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.
(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.
(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.
(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.