Copyright by  Станислав Гончарук/Fotolia
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Die heute gesetzlich Krankenversicherte war früher ein Mann.
Ein Arzt attestierte der Versicherten zunächst die Transsexualität. Darauf bescheinigte die Hausärztin der Versicherten, dass sie sehr stark darunter leide, ihre neue Rolle als Frau zu bewältigen.
Auch müsse die Versicherte sich am Nachmittag stets ein zweites Mal rasieren und ein neues Camouflage-Make-Up auftragen.
Der Hautarzt bestätigte der Versicherten weiterhin, dass sie im Gesicht an einem ausgeprägten Haarwuchs vom männlichen Typ leide. Ein Hautarzt solle die Barthaare entfernen. Jede Behandlung dauere 30 Minuten. Und man könne erst nach 30 Behandlungstagen sagen, zu welchem Zeitpunkt die Enthaarung erreicht sei.
Der Hautarzt stellte zudem fest, dass die Gebührensätze für Kassenärzte eine solche Behandlung überhaupt nicht vorsehe. Er müsse deshalb bei der gesetzlichen Krankenkasse beantragen, nach der Gebührenordnung der Ärzte für Privatversicherte abrechnen zu dürfen.
Er werde nach dieser Gebührenordnung 33 € für die Behandlung erhalten.
 
Die Behandlung durch den Hautarzt führte dazu, dass sich das entzündliche Hautbild der Krankenversicherten deutlich verschlechterte. Dies attestierte der Hautarzt auch. Die Krankenkasse bewilligte deshalb zur Entfernung der Barthaare eine Laserepilation. Diese entfernte aber nicht die grauen und weißen Barthaare.
 

Die verzweifelte Versicherte stellte einen weiteren Antrag

Sie legte nun ein Bild der Barthaarpartie ihres Gesichtes vor, das belegt, dass die Nadelepilation, die von einer qualifizierten Kosmetikerin / Elektrologistin durchgeführt wird, nicht zu entzündlichen Hautreaktionen führt.
 
Die Versicherte beantragte darauf bei ihrer Krankenkasse, dass diese die Kosten für die Entfernung ihrer Barthaare mittels einer Nadelepilationsbehandlung durch eine qualifizierte Kosmetikerin / Elektrologistin übernimmt.
 
Die Krankenkasse lehnte den Antrag mit Bescheid ab, diese Behandlungskosten einer Kosmetikerin zu übernehmen.
 

Die Versicherte legte Widerspruch ein

Sie habe nur Ärzte in weiter entfernten Orten gefunden, die die gewünschte Behandlung durchführen. Dies sei ihr nicht zuzumuten. Es liege ein Systemversagen vor. Sie habe daher einen Anspruch auf Zustimmung zur Behandlung durch eine Elektrologistin. Und zwar auch, obwohl diese nicht zu den Leistungserbringern der Krankenkassen gehöre.  
 
Die Krankenkasse wies den Widerspruch zurück. Wegen des Arztvorbehaltes dürfe sie die Kosten für die gewünschte Behandlung nicht übernehmen.
 

Hiergegen erhob die Krankenversicherte Klage vor dem Sozialgericht.

Die Klägerin vertrat die Ansicht, dass sie grundsätzlich einen Anspruch auf die Durchführung der Epilationsbehandlung durch einen nichtärztlichen Leistungserbringer habe. Denn ihr stehen aufgrund eines Systemversagens keine Ärzte in zumutbarer Entfernung zur Verfügung.
 
Die beklagte Krankenversicherung war der Ansicht, es liege weder eine Ausnahme vom Arztvorbehalt noch ein Systemversagen vor. Vielmehr seien die Ärzte dazu verpflichtet, die Leistung zu erbringen. Denn die Vertragsärzte müssen mit den Krankenkassen dabei zusammen wirken, die ärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen.
 

Das Sozialgericht gab der Klägerin Recht.

Es stellte fest, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Entfernung ihrer Barthaare habe. Diese Barthaare dürften auch medizinische Laien mit einer Nadel epilieren.
 
Denn transsexuelle Versicherte haben einen Anspruch auf Behandlungsmaßnahmen, die zur Geschlechtsangleichung führten, wenn dies medizinisch erforderlich sei. Und wenn sich dadurch der psychische Leidensdruck des Transsexuellen mindere, der dadurch entstehe, dass er sich dem anderen Geschlecht deutlich annähern wolle. Hierzu zählen auch chirurgische Eingriffe in gesunde Organe.
Den Anspruch auf solche Behandlungsmaßnahmen müssen die Sozialgerichte konkretisieren, weil die medizinische Behandlung von Transsexualität nicht näher im fünften Sozialgesetzbuch geregelt sei.
Das Sozialgericht gab weiter an, dass es sich dabei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich anschließe. Denn danach könne Transsexualität ein regelwidriger Zustand mit Krankheitscharakter sein, der medizinisch behandelt werden müsse.
Das Sozialgericht sagte weiter, dass dieser Fall bei der Klägerin vorliege.
Denn aus den Arztbriefen ergebe sich, dass die Klägerin transsexuell ist und es notwendig ist, dass sie ihre Barthaare entfernen lässt.
Weiter stellte das Sozialgericht fest, dass bei der Klägerin ein Fall des Transsexualismus von Mann zu Frau vorliege. In diesem Fall bestehe ausnahmsweise ein regelwidriger Körperzustand, da Frauen in der Regel keinen Bartwuchs haben. Auch lasse sich durch eine Rasur oder ein Make-Up kein vergleichbarer Zustand herstellen. Denn die Klägerin könne nachvollziehbar darlegen, dass der Bartwuchs trotz dieser Maßnahmen erkennbar bleibe. Zur Angleichung an das nunmehr gelebte weibliche Geschlecht sei aber eine Entfernung der Barthaare erforderlich.

Systemmangel bestätigt

Zudem liege ein Systemmangel vor. Deshalb müsse sich die Klägerin nicht durch die Vertragsärzte der beklagen Krankenkasse behandeln lassen.
Denn in der Gebührenordnung für Vertragsärzte sei nur eine 5-minütige Barthaarentfernung mit einer Gebühr von ungefähr 6 € geregelt. Tatsächlich dauere die Entfernung der Barthaare aber 30 Minuten. Bei dieser geringen Vergütung sei es sogar nachvollziehbar, dass ein Vertragsarzt die Barthaare gar nicht entfernen wolle.
Das Sozialgericht folgte dem Bundessozialgericht auch darin, dass eine Gebühr, die für eine bestimmte Leistung gelte, nicht auch für andere Leistungen gilt.
 
In diesem Fall sei es offensichtlich, dass die Gebühr für die 5-minütige Barthaarentfernung nicht auch das Entfernen von Barthaaren bei Transsexuellen, erfasse.
 
Die Beklagte könne deshalb in diesem Fall nicht auf den Ärztevorbehalt von medizinischen Behandlungen verweisen. Auch nicht aus dem Grund der Qualitätssicherung. Denn die Behandlung durch den Arzt führe hier gerade zu einem deutlich verschlechterten und entzündlichen Hautbild. Die Elektrologistin behandle die Klägerin dagegen mit einem wesentlich besseren Ergebnis, weil die Haut der Klägerin sich nicht entzünden würde.
 
Deshalb habe die Klägerin auch einen Anspruch darauf, dass ihr die Elektrologistin die Barthaare entferne.
 
Auch für solche Streitigkeiten über die medizinische Behandlung von Transsexuellen übernehmen die Gewerkschaften für ihre Gewerkschaftsmitglieder in der Regel die Kosten.