Der 1939 geborene Ehemann der Klägerin war seit Oktober 2013 in einem Seniorenzentrum als Selbstzahler untergebracht. Die Klägerin beantragte bei dem beklagten Landkreis die Gewährung von Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII.
Der Beklagte lehnte die begehrte Zahlung von Leistungen für die Zeit von Oktober 2015 bis Januar 2016 ab. Er begründete dies damit, dass die Eheleute über ein Vermögen in Höhe von insgesamt 11.270,61 Euro verfügen.
Der Beklagte ermittelte die Höhe des Vermögens des Ehepaars. Dabei berücksichtigte er den Rückkaufwert der Sterbegeldversicherungen der Eheleute in Höhe von 5.398,43 Euro. Da die Versicherungen jederzeit kündbar seien, seien sie sofort verwertbar. Gegen diese Entscheidung erhob die Ehefrau Klage beim Sozialgericht (SG) Gießen.
Das SG Gießen folgte der Auffassung des Beklagten nicht. Denn, so die Gießener Sozialrichter*innen, die Sterbegeldversicherung sei unter bestimmten Voraussetzungen als Mittel der Alterssicherung zu qualifizieren. Damit komme eine Verwertung nicht in Betracht.
Vorsorge für eine angemessene Bestattung, die den persönlichen Vorstellungen entspricht, ist zu respektieren
Das Gericht wies darauf hin, dass es sich bei § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII lediglich um ein Regelbeispiel handele, sodass die Härteklausel auch in anderen Fällen Anwendung finden könne. Grundsätzlich erfordere die Annahme eines Härtefalls eine angemessene, an den Umständen des Einzelfalles ausgerichtete, besondere Belastung. Die Verwertung eines Vermögens zur Bestattungsvorsorge erweise sich generell als Härtefall. Das Sozialhilferecht müsse dem Einzelnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es sei besonderen Bedürfnissen jenseits von Luxus Rechnung zu tragen. Die Vorsorge für eine angemessene Bestattung, die den persönlichen Vorstellungen entspreche, sei daher zu respektieren. Dies gelte umso mehr, als die Mittel für die Bestattungsvorsorge nicht für die Bedarfsdeckung zu Lebzeiten verwendet werden. Denn die finanzielle Vorsorge für den eigenen Todesfall und der Wille, Begräbnis und Grabstätte nach eigenen Vorstellungen auszugestalten, betreffen nicht unmittelbar die Lebensführung.
Das Gericht wies darauf hin, dass es sich bei § 90 Abs.3 Satz 2 Sozialgesetzbuch XII.
Zweckbindung des Vermögens muss rechtssicher feststellbar sein
Bei der Bestattungsvorsorge handele sich um ein höchstpersönliches Anliegen, das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt sei. Eine Härte stelle die Verwertung des Vermögens, das für die Bestattung gedacht war, aber nur dar, wenn diese strikt zweckgebunden sei. Die Zweckbindung müsse sich rechtssicher feststellen lassen. Das heißt, das Ansparen auf einem gewöhnlichen Konto reiche dafür nicht aus. Sterbegeldversicherungen und Verträge zur Bestattungsvorsorge sowie Treuhandverträge genügten aber dem Grundsatz der strikten Zweckbindung.
Das Urteil des Sozialgerichts Gießen ist hier nachzulesen.
Für Interessierte:
„Pflegebedürftige muss Bestattungsvorsorgevertrag rückgängig machen“
Rechtliche Grundlagen
§ 90 Sozialgesetzbuch XII - Einzusetzendes Vermögen
(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen.
(2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung
1.
eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
2.
eines nach § 10a oder Abschnitt XI des Einkommensteuergesetzes geförderten Altersvorsorgevermögens im Sinne des § 92 des Einkommensteuergesetzes; dies gilt auch für das in der Auszahlungsphase insgesamt zur Verfügung stehende Kapital, soweit die Auszahlung als monatliche oder als sonstige regelmäßige Leistung im Sinne von § 82 Absatz 5 Satz 3 erfolgt; für diese Auszahlungen ist § 82 Absatz 4 und 5 anzuwenden,
3.
eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken behinderter (§ 53 Abs. 1 Satz 1 und § 72) oder pflegebedürftiger Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,
4.
eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
5.
von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
6.
von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
7.
von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
8.
eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
9.
kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen.
(3) Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.