Im Fall eines Alarms muss es im Krankenhaus schnell gehen. Schlecht zu hören kann dann Menschenleben gefährden. © Adobe Stock: gpointstudio
Im Fall eines Alarms muss es im Krankenhaus schnell gehen. Schlecht zu hören kann dann Menschenleben gefährden. © Adobe Stock: gpointstudio

Schon 2011 hatte die Klägerin erstmals die Übernahme der Kosten für Hörgeräte beantragt. Sie arbeitete seit vielen Jahren im Bereich der neurologischen Frührehabilitation schwerst schädel-hirngeschädigter Patienten und war auf spezielle Hörgeräte angewiesen.

         

         

Nach längerem Rechtsstreit einigte sie sich mit der Krankenkasse. Die Kasse übernahm die Gesamtkosten mit der knappen Begründung, sie habe ein vertragswidriges Verhalten des Hörgeräteakustikers festgestellt.

 

2019 benötigte die Betroffene neue Hörgeräte

 

Die Klägerin entschied sich nach Rücksprache mit ihrem Hörgeräteakustiker im Jahr 2019 für ein Modell zu einem Preis von rund 3.000 €. Ihren Antrag auf Übernahme der Kosten richtete der Hörgeräteakustiker an die Krankenkasse und wies darauf hin, dass der Arbeitsplatz der Betroffenen eine besonders gute Hörfähigkeit erfordere.

 

Die Klägerin selbst erklärte auf einem vom Akustiker vorgelegten Formular, es sei ihr ausdrücklicher Wunsch, keine aufzahlungsfreie Hörgeräteversorgung zu erproben.

 

Die Krankenkasse zahlte nur den Festbetrag für beide Hörgeräte und wies ergänzend darauf hin, die Klägerin habe nicht nachvollziehbar dargelegt, warum ihre berufliche Tätigkeit eine höherwertige Hörgeräteversorgung erforderlich mache. Angesichts dessen sei ihr Antrag an die Deutsche Rentenversicherung weitergeleitet worden. Eine abschließende Prüfung erfolge von dort. Etwaige Mehrkosten für die Geräte habe sie gegenüber der Rentenversicherung geltend zu machen.

 

Die Rentenversicherung lehnte ebenfalls ab

 

Die Rentenversicherung berief sich darauf, eine spezifische berufsbedingte Notwendigkeit für eine höherwertige Versorgung sei nicht erkennbar.

 

Vertreten durch Robert Witt vom DGB Rechtsschutzbüro Oldenburg beschritt die Klägerin den Rechtsweg. Gegen den ablehnenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung erhob sie Klage und forderte einen weiteren Betrag in Höhe von 1.400 € ein - ein sehr emotional geführtes Verfahren bis hin zur mündlichen Verhandlung mit bemerkenswerten Äußerungen des Gerichts zum Outsourcen von Leistungen der Krankenversicherung, wie uns der Prozessbevollmächtigte erläutert.

 

Das Sozialgericht Oldenburg wies die Klage gegen die Rentenversicherung ab. Die Beklagte sei nicht zuständig.

 

Das Sozialgericht lud im Verfahren auch die Krankenkasse bei. Die Klägerin habe ihren Antrag zunächst an diese gerichtet, so das Sozialgericht. Die Beigeladene könne sich ihrer Zuständigkeit nicht dadurch entziehen, dass sie den Antrag der Klägerin an die Rentenversicherung abgebe.

 

Die Krankenkasse bleibt zuständig

 

Zwar müsse der zuerst angegangene Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen feststellen, ob er zuständig sei und den Antrag gegebenenfalls an den zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten. Die Beigeladene habe den Antrag der Klägerin jedoch in zwei Teile aufgespalten, einmal gerichtet auf die Bewilligung des Festbetrages und daneben gerichtet auf die Gewährung einer darüber hinausgehenden „Premiumversorgung“.

 

Bei einer Hörgeräteversorgung komme eine Aufspaltung in zwei separate Leistungsanträge nicht in Betracht. Die Entscheidung über die „Premiumversorgung“ dürfe die Kasse nicht an die Rentenversicherung abgeben und selbst nur über die Zahlung des Festbetrages entscheiden. Es handele sich um einen einheitlichen Leistungsantrag, den der Hörgeräteakustiker an die beigeladene Krankenkasse gerichtet hatte.

 

Die Krankenkasse sei damit zuständig geworden und auch geblieben.

 

Die Vorgaben im Krankenversicherungsrecht ergeben sich aus § 33 SGB V

 

§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V regelt im Krankenversicherungsrecht die Ausstattung mit Hörgeräten. Danach besteht ein Anspruch auf Versorgung mit solchen Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.

 

Dabei gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits auch unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritts. Die Krankenversicherung muss hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen eröffnen. Dazu muss sie die nach dem Stand der Hörgerätetechnik jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung stellen. Das kann auch die Versorgung mit digitalen Geräten einschließen. Limitiert ist die Leistungspflicht durch festgelegte Festbeträge, die grundsätzlich auch bei der Versorgung mit Hörgeräten zu beachten sind.

 

Im Rentenversicherungsrecht steht die Teilhabe am Arbeitsleben im Vordergrund

 

Auch aus dem Rentenrecht kann eine Versorgung mit Hörgeräten resultieren. Rentenversicherungsträger erbringen Teilhabeleistungen, um den Auswirkungen einer Krankheit oder körperlichen, geistigen sowie seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken bzw. diese zu überwinden. Leistungen zur Teilhabe sollen außerdem Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit oder ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verhindern bzw. erwerbsgeminderte Versicherte dauerhaft in das Erwerbsleben integrieren.

 

Dabei sei auf die konkret ausgeübte Beschäftigung und nicht die generelle Erwerbsfähigkeit abzustellen, so das Sozialgericht. Das Gesetz sehe ausdrücklich auch die Übernahme von Kosten für Hilfsmittel vor, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich seien.

 

Das Gericht sah diese Voraussetzungen als gegeben an. Die bei der Klägerin bestehende Hörminderung lasse sich nach dem Ergebnis der Messungen durch Festbetragsgeräte nicht mehr kompensieren. Allerdings ergebe sich aus § 33 SGB V selbst keine allgemeine Notwendigkeit für eine höherwertige Hörgeräteversorgung.

 

Die Klägerin war besonders beruflich betroffen

 

Diese Notwendigkeit folge aber aus den Schilderungen der Klägerin im Verfahren, wonach deren Arbeit spezielle berufliche Anforderungen an das Hörvermögen stelle.

 

Die Hauptaufgabe der Klägerin sei die intensivmedizinische Versorgung schwerst schädel-hirn-geschädigter Patienten im Rahmen der Frührehabilitation. Die Patienten seien massiv eingeschränkt und müssten permanent maschinell überwacht werden. Neben den Betriebsgeräuschen produzierten die Gerätschaften im Notfall jeweils eigene akustische Alarme, die die Klägerin wahrnehmen und richtig zuordnen müsse. Im Fall der verzögerten Reaktion drohe in manchen Fällen eine unmittelbar lebensbedrohliche Situation.

 

Die Klägerin müsse auch in der Lage sein, Atemprobleme bei Patienten mit Luftröhrenschnitt richtig akustisch zu erfassen; denn diese Patienten könnten sich selbständig nicht äußern. Anschaulich habe die Klägerin beschrieben, dass die sprachliche Kommunikation mit Patienten, die über viele Wochen oder sogar Monate mit einem Zugang zur Luftröhre versorgt gewesen seien, nur sehr langsam und leise erfolge.

 

Angesichts dessen wäre es weder für die Klägerin selbst noch für deren pflegebedürftige Patienten hinnehmbar, ein zuverlässiges und richtiges Verstehen nicht zu gewährleisten. Die von der Klägerin beschafften Hörhilfen hätten nach deren plausiblen Schilderungen den ruhigsten Klang, ein gutes Tragegefühl und ein sehr gutes Sprachverständnis in allen Situationen auch bei Hintergrundgeräuschen. Gegenüber teureren Geräten bestehe das beste Preis-Leistung-Verhältnis.

 

Die Klägerin musste kein Festbetragsgerät testen

 

Die Versorgung mit Festbetragsgeräten komme für die Klägerin nicht in Betracht. Unerheblich sei dabei, dass die Klägerin kein zuzahlungsfreies Gerät getestet habe.

 

Das Bundessozialgericht (BSG) habe in der Vergangenheit bereits deutliche Worte dafür gefunden, dass Krankenkassen im allgemeinen die ihnen selbst obliegende Entscheidung auf die Hörgeräteakustiker verlagere und damit ihre Pflicht zur Prüfung des Einzelfass verletzten.

 

Das BSG nenne das ein regelrechtes „Outsourcen“. Die Krankenkassen und die Leistungserbringer praktizierten das faktisch mit kompletten Versorgungsverträgen. Über die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entscheide dabei der Hörgeräteakustiker.

 

Indem sich Sozialversicherungsträger der ihnen obliegenden Verpflichtung entziehen, müssen sie sich bezüglich der Frage, inwieweit eine höherwertige Versorgung erforderlich sei, mangels eigener Hilfsmittel medizinischer Untersuchung faktisch auf das Beratungsgebaren und die Bewertung des Akustikers verlassen. Diesem hätten sie die Beurteilungskompetenz zugewiesen.

 

Einwände führen nicht weiter

 

Deshalb könnten Krankenkassen beim Kostenerstattungsanspruch auch nicht einwenden, dass die von dem Akustiker empfohlene Versorgung nicht notwendig sei. Der Akustiker stehe auf Grund der Versorgungsverträge im Lager der Krankenkasse.

 

Das gelte im Fall der Klägerin umso mehr, als die Beigeladene schon beim Antrag vom Akustiker über den für notwendig gehaltenen hohen Kostenrahmen unterrichtet worden war. Eigene Anstrengungen habe sie nicht unternommen, sondern im Gegenteil ungeprüft die Angabe eines berufsbedingten Mehrbedarfs übernommen und als nicht nachvollziehbar abgelegt.

 

Dass die Klägerin eine Erklärung zu den Mehrkosten unterschrieben habe, sei zu deren Nachteil nicht verwertbar. Es handelt sich dabei um eine vorformulierte Klausel, die aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Bundesinnung für Hörgeräteakustiker und den Ersatzkassen verwandt worden sei. Damit könne der Hörgeräteakustiker eine frühzeitige Erstattung des Festbetrages erreichen. Dass Versicherte überhaupt ein Bewusstsein für mögliche rechtliche Folgen einer Mehrkostenerklärung hätten, sei wohl kaum anzunehmen.

 

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Oldenburg.