Der Weg zur Arbeit nach einem Arztbesuch ist in der Regel nicht versichert.
Der Weg zur Arbeit nach einem Arztbesuch ist in der Regel nicht versichert.

Mit Urteil vom 05.07.2016 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass ein versicherter Betriebsweg voraussetzt, dass ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird. Hiervon sei jedoch bei einem Weg zur Arbeit nach einem Arztbesuch in der Regel nicht auszugehen.

Eintritt des Versicherungsschutzes setzt Aufenthalt am "dritten Ort" von mindestens zwei Stunden voraus

Nach Auffassung der Richter*innen des Zweiten Senats besteht Unfallversicherungsschutz auf einem Weg von einem anderen Ort als dem Ort der Wohnung zur Arbeitsstätte dann, wenn der Aufenthalt an dem dritten Ort "angemessen" ist und der tatsächliche oder geplante Aufenthalt des Versicherten an diesem sogenannten dritten Ort mindestens zwei Stunden dauert.

Die Arbeitsstelle des Klägers liegt südwestlich von seiner Wohnung. Am Unfalltag fuhr er von seiner Wohnung mit dem Fahrrad nach Norden zu der Praxis seines Hausarztes, von wo er dann zu seiner Arbeitsstelle fahren wollte. Der Kläger unterrichtete seinen Arbeitgeber, dass der Arbeitsbeginn wegen dieses Arzttermins später als üblich sein sollte.

Für Laboruntersuchungen wurde dem Kläger in der Arztpraxis Blut abgenommen. Derartige Untersuchungen erfolgten regelmäßig drei- bis viermal im Jahr. In der Arztpraxis hielt sich der Kläger 40 Minuten auf. Nachdem er die Praxis verließ, fuhr er von der dort weiter in Richtung seiner Arbeitsstelle. Der letzte Teil der Strecke war mit dem üblichen Weg zur Arbeit identisch. Noch bevor er die übliche Wegstrecke zur Arbeit erreicht hatte, stieß er mit einem Kraftfahrzeug zusammen und erlitt Verletzungen. Das Unfallgeschehen ereignete sich einen Kilometer nördlich von seiner Wohnung. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, weil der Kläger am Unfalltag von seinem direkten Weg zur Arbeit abgewichen sei und sich auf einem unversicherten Abweg befunden habe.

Mindestverweildauer von zwei Stunden an dritten Ort nötig

Das Sozialgericht Regensburg wies die Klage des Klägers ab. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers beim Bayerischen Landessozialgericht blieb erfolglos. Begründet wurde dies damit, dass der Kläger keinen versicherten Weg zu seiner Arbeitsstätte zurückgelegt habe.

Auch habe ein lediglich geringfügiger, noch unter Versicherungsschutz stehender Umweg, nicht vorgelegen. Zum Unfallzeitpunkt sei der versicherte Weg des Klägers von seiner Wohnung in Richtung der Arbeitsstätte unterbrochen gewesen. Überdies habe der Kläger angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer in der Arztpraxis auch keinen versicherten Weg zur Arbeitsstätte von einem sogenannten dritten Ort aus zurückgelegt, denn ein versicherter Weg von einem dritten Ort - hier der Arztpraxis - setze nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts voraus, dass der Aufenthalt dort mindestens zwei Stunden dauere.

Dieses zeitliche Kriterium gelte sowohl für einen versicherten Weg von und zu einem dritten Ort, als auch für den Wegfall des Versicherungsschutzes bei Unterbrechung eines versicherten Weges. Wenn jeder kurze, geringfügige Aufenthalt auf dem Weg zur Arbeitsstätte als Ausgangspunkt eines eigenständigen, versicherten Weges Berücksichtigung finden könnte, würde der Versicherungsschutz erheblich erweitert. Im Interesse der Rechtssicherheit sei es geboten, zur Abgrenzung eines versicherten von einem unversicherten Weg eine gewisse Mindestverweildauer an dem sogenannten dritten Ort zu verlangen.

Dies gelte insbesondere, wenn die Angemessenheit der Wegstrecke im Vergleich zur üblichen Wegstrecke nicht als verlässliches Prüfungskriterium angesehen werden könne. Zum anderen würde zu Lasten der Versicherten jede kurze, mehr als geringfügige Unterbrechung des Heimweges von der Arbeit zu privaten Zwecken den Versicherungsschutz trotz späterer Fortsetzung des Weges endgültig entfallen lassen.

Versicherungsschutz nur bei unmittelbarem Betriebsinteresse

Auch beim Bundessozialgericht war der Klage des Klägers kein Erfolg beschieden. Der Zweite Senat wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte die Auffassung des Landessozialgerichts, welches zu Recht entschieden habe, dass der Unfall auf dem Weg von der Arztpraxis zur Arbeitsstätte kein Arbeitsunfall war.

Denn der als Lagerarbeiter tätige und damit als Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VII versicherte Kläger verrichtete unmittelbar vor dem Unfallereignis keine versicherte Tätigkeit.

Beim Überqueren der Straße vor dem Unfallereignis legte der Kläger weder einen versicherten Betriebsweg noch einen versicherten Weg zur Arbeitsstätte zurück.

Die Billigung des Arzttermins durch den Arbeitgeber ist nicht maßgebend

Von einem versicherten Betriebsweg ist dann auszugehen, wenn der Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird. Auf einem solchen Weg befand sich der Kläger unmittelbar vor dem Unfallereignis jedoch nicht.

Das Aufsuchen der Arztpraxis geschah im eigenwirtschaftlichen Interesse um die regelmäßig erforderliche Kontrolle seiner Blutwerte zur Medikamenteneinstellung durchführen zu lassen. Eine arbeitsrechtliche Verpflichtung zur Durchführung der Laboruntersuchungen bestand nicht. Die Billigung des Arbeitgebers begründete eine solche Pflicht nicht.

Da der mit dem Besuch der Arztpraxis verfolgte Zweck ausschließlich dem eigenwirtschaftlichen Interesse des Klägers diente, kann nicht von einer dem Beschäftigungsunternehmen dienenden Tätigkeit ausgegangen werden. Der Kläger befand sich unmittelbar vor dem Unfallereignis auch nicht auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr.1 Sozialgesetzbuch VII versicherten Weg zur Arbeitsstätte. Seine Handlungstendenz war zu diesem Zeitpunkt zwar darauf gerichtet, den Weg von der Arztpraxis zu seiner Arbeitsstätte zurückzulegen, um dort seine versicherte Tätigkeit als Lagerarbeiter aufzunehmen.

Vor dem Unfallereignis bewegte er sich jedoch nicht auf dem unter Versicherungsschutz stehenden direkten Weg zwischen seiner Wohnung, von der er den Weg zunächst angetreten hatte, und dem Ort seiner Tätigkeit, sondern hatte diesen Weg verlassen und unmittelbar vor dem Unfallereignis auch noch nicht wieder erreicht.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Zwei-Stunden-Grenze

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht Unfallversicherungsschutz auf einem Weg von einem anderen Ort als dem Ort der Wohnung zur Arbeitsstätte u.a. dann, wenn der Aufenthalt an dem dritten Ort "angemessen" ist und der tatsächliche oder geplante Aufenthalt des Versicherten an diesem sogenannten dritten Ort mindestens zwei Stunden dauert. An dieser Rechtsprechung hält der Zweite Senat des Bundessozialgerichts fest. Wege, die nicht unmittelbar zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte zurückgelegt werden, sondern aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen oder in eine andere Richtung hin verlassen und dann von einem anderen Ort aus fortgesetzt werden, sind abzugrenzen von versicherten Wegen von einem sogenannten dritten Ort zur Arbeitsstätte.Hierzu dient die durch Richterrecht in die Rechtsprechung eingeflossene Zwei-Stunden-Grenze. Es ist nicht ersichtlich, dass für die erforderliche Abgrenzung ein anderes Kriterium praktikabler oder angemessener wäre. Auch bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese richterrechtliche Grenzziehung.


Auszug aus den Terminmitteilungen des Bundessozialgerichts zum Urteil vom 05.07.2016, Az: B 2 U 16/14 R