Der 62- jährige rheinland-pfälzische Gärtner hatte viele Jahre mit starker beruflicher Belastung hinter sich. Das Kreuz schmerzte und die Schultern ließen sich nicht mehr so gut bewegen. Dann kam ein Unfall hinzu.
Der Mann war bei seiner Arbeit damit beschäftigt, Bäume von einem LKW abzuladen. Dabei löste sich ein Baum und fiel ihm auf die Schulter. Die Arbeit musste er wegen großer Schmerzen sofort beenden. Das war der Beginn einer langen Odyssee zu vielen Ärzten.
Die Untersuchungen ergaben verschiedene Diagnosen
Das Schultergelenk sei nicht gebrochen, hieß es nach dem ersten Röntgen. Es sei nur eine Prellung aufgetreten. Ein späteres MRT zeigte einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule. Auch von einer degenerativ bedingten Teilruptur der Supraspinatussehne, einer Sehne an der Schulter, war die Rede. Diese bestätigte sich später auch bei einer Arthroskopie.
Während des Verfahrens gab der Betroffene an, beim Abladen sei einer der großen Bäume ins Rollen gekommen und mit dem großen Wurzelballen auf dem Boden aufgeschlagen. Der Baum sei dann zurückgeschnellt und ihm mit dem Stamm auf den Arm geschlagen. Der Schlag habe ihn mit dem Kreuz auf den Boden geworfen.
Die Berufsgenossenschaft (BG) erkannte den Unfall, der nur zu einer Prellung des Schultergelenks geführt habe, an – mehr nicht. Der Riss der Sehne sei auf einen altersbedingt vorbestehenden Strukturschaden zurückzuführen.
Kompetente Unterstützung im Rechtsmittelverfahren führte zum Erfolg
Unterstützt durch die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Mannheim erhob der Mann Widerspruch und später auch Klage beim Sozialgericht. Zwischenzeitlich musste ihm ein künstliches Schultergelenk implantiert werden.
Die BG befragte im Vorverfahren mehrere Beratungsärzte, die den Zusammenhang der Schulterverletzung mit dem Unfall ablehnten. Das Sozialgericht holte weitere Gutachten ein. Die Sachverständigen kamen zu anderen Ergebnissen. Die BG änderte ihre Meinung hierdurch nicht. Sie verwies auf den Erstbefund.
Für eine Verletzung der Rotatorenmanschette, also den Sehnenapparat um das Schultergelenk, gebe es keine Hinweise. Schon der Hergang des Unfalls schließe diese Art der Verletzung aus. Es müsse ein seitlicher Anprall auf das Schultergelenk angenommen werden. Der Beratungsarzt habe bestätigt, dass ein solcher Ablauf eine traumatische Verletzung der Rotatorenmanschette nicht hervorrufen könne. Im Übrigen hätten die Gutachter allesamt auch Vorschäden im Gelenk festgestellt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Literatur sind klar
Deshalb werde seitens der BG daran festgehalten, dass die vom Gericht eingeholten Gutachten wesentliche Tatsachen bzw. Indizien ignorierten. Sie beruhten auf einer „sehr eigenwilligen Interpretation" und eine „literaturkonforme Beurteilung anhand des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes" sei nicht erkennbar.
Der orthopädische Gutachter habe den Versuch unternommen, „einen geeigneten Unfallhergang zu konstruieren". Nach den Angaben des Klägers und den Ermittlungen zum Unfallhergang müsse von einem Direktanprall ausgegangen werden. Hypothetische Überlegungen zum Unfallhergang könnten den Kausalzusammenhang nicht begründen.
Das Gericht musste entscheiden
Das Gericht verurteilte die Beklagte, die gesamten gesundheitlichen Störungen im Bereich der linken Schulter als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen und dem Kläger die Kosten für die angefallenen Heilbehandlungsmaßnahmen zu erstatten.
Aufgrund der aktenkundigen Befundunterlagen stehe fest, dass beim Kläger ein Schultergelenkersatz mit Bewegungseinschränkung und Kraftminderung sowie eine Muskelminderung im Schultergelenk vorliege.
Als Folge eines Arbeitsunfalls könnten solche Gesundheitsschäden anerkannt werden, die auf dem Unfallgeschehen beruhten. Um diesen Kausalzusammenhang beurteilen zu können, sei im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung die „Theorie von der wesentlichen Bedingung" maßgeblich. Erforderlich sei hiernach, dass das Unfallgeschehen wesentlich zu dem Eintritt des „Erfolges“ – hier des Gesundheitsschadens - beigetragen habe.
Dabei gelten Besonderheiten
Der sozialrechtlichen „Theorie von der wesentlichen Bedingung" liege die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungslehre zugrunde, so das Sozialgericht. Hiernach sei ein Ereignis für einen „Erfolg" immer dann kausal, wenn es nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der „Erfolg" entfiele.
Da diese Betrachtung jedoch letztlich zu uferlosen Ergebnissen führe und somit für die praktische Rechtsanwendung ungeeignet sei, müsse in einem zweiten Prüfungsschritt eine Unterscheidung zwischen solchen Ursachen getroffen werden, die rechtlich für den „Erfolg" verantwortlich gemacht werden könnten und solchen, die für den „Erfolgseintritt" bei wertender Betrachtung unerheblich seien.
Nur solche Gesundheitsschäden könnten deshalb als Folge eines Arbeitsunfalles berücksichtigt werden, die in rechtlich wesentlicher Weise auf das in Rede stehende Ereignis zurückzuführen seien. Sämtliche Ursachen (Bedingungen), welche den Gesundheitsschaden ausgelöst haben könnten, müssten dabei gegenübergestellt werden. Je nach ihrer Bedeutung für den „Erfolgseintritt" sei danach eine Gewichtung vorzunehmen.
Das Ergebnis einer Abwägung zählt
Die Kausalität sei zu bejahen, wenn im Rahmen dieser Abwägung dem Unfallgeschehen die wesentliche Bedeutung für die Verursachung bzw. Verschlimmerung des Gesundheitsschadens zukomme.
„Wesentlich" dürfe dabei nicht mit „gleichwertig" oder „annähernd gleichwertig" gleichgesetzt werden. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache könne für den „Erfolg" rechtlich wesentlich sein, solange andere Ursachen ihrerseits keine überragende Bedeutung hätten.
Die unfallversicherungsrechtliche Kausalität sei gegeben, wenn entweder auf der einen Seite dem Unfallereignis neben anderen, in Betracht zu ziehenden Ursachen überragende Bedeutung zukomme. Sie liege aber auch dann vor, wenn die nicht versicherten Bedingungen keine überragende Bedeutung hätten.
Der Vollbeweis ist nicht nötig
Zugunsten der Versicherten müsse dieser Kausalzusammenhang nicht voll bewiesen sein. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit reiche aus. Dies sei immer, aber auch nur dann der Fall, wenn die Gesichtspunkte, die für die Kausalität sprächen gegenüber den Gesichtspunkten, die gegen die Kausalität sprächen, überwiegen.
Im Fall des Klägers stehe fest, dass diesem der Stamm eines Baumes von oben auf die Schulter prallte. Es sei auszuschließen, dass der Kläger sich bei dem dann folgenden Sturz auf das Gesäß mit dem nach hinten ausgestreckten Arm abgefangen bzw. unerwartet die auf ihn stürzende Last mit ausgestreckten Arm aufgefangen habe.
Die medizinische Literatur beschreibt geeignete Unfallhergänge
Der dargestellte Unfallablauf entspreche vordergründig nicht der unfallmedizinischen
Lehrmeinung zu den geeigneten Unfallabläufen bei Schädigung der Rotatorenmanschette. Dort heiße es ausdrücklich, dass eine derartige Verletzung durch eine direkte Krafteinwirkung immer auch andere Strukturen der Schulter wie Haut, Unterbau, Muskulatur, Kapsel-Band-Apparat etc. betreffe und dass eine direkte Krafteinwirkung von oben nicht zu einer isolierten Verletzung der geschützten in der Tiefe liegenden Sehne führen könnte.
Nur abrupte und passiv erzwungene Bewegungen des Armes nach hinten seien regelmäßig geeignet, eine traumatische Ruptur der Rotatorenmanschette auszulösen. Beispielhaft verweise die wissenschaftliche Lehrmeinung auf das ungeplante Auffangen eines schweren, stürzenden Gegenstandes oder das plötzliche Rückwärtsreißen bzw. Heranführen des Armes durch eine Gewalteinwirkung.
Das Gericht erkannte dennoch einen geeigneten Unfallhergang
Der Gutachter habe einen äußerst schweren Unfall angenommen. Es sei durchaus naheliegend, dass es durch den von oben auf die linke Schulter prallenden Baumstamm zu einer massiven Gewalteinwirkung gekommen sei. Mit lebenspraktischer Erfahrung nehme das Gericht an, dass hierdurch eine passive Bewegung des linken Armes nach hinten unten erzwungen worden sei.
Dafür spreche ein Bluterguss, den der Durchgangsarzt festgestellt habe. Der Baumstamm müsse den Arm ruckartig nach hinten bewegt haben. Weil alles so schnell gegangen sei, habe der Kläger dazu keine näheren Angaben machen können.
Altersbedingter Verschleiß ist nicht immer ein Ausschlusskriterium
Die vorbestehenden und im Röntgenbefund ersichtlichen Verschleißerscheinungen des Schultergelenks hätten keine ausschlaggebende Bedeutung. In seinem Alter sei es beim Kläger nur normal, auch an degenerativen Veränderungen zu leiden. Dass es vor dem Unfall keine Beschwerden gegeben habe, müsse das Gericht berücksichtigen. Auch der frühere MRT-Befund zeige, dass die Sehne anfangs noch normal dargestellt gewesen sei. Größere Degenerationserscheinungen hätten sich auch in den ersten Befunden der Muskulatur zeigen müssen, wolle man auf eine schwere Degeneration schließen.
Nun muss die BG zahlen. Die Feststellung weiterer Unfallfolgen wird zu einer höheren Unfallrente führen. Auch sämtliche Heilbehandlungskosten sind von ihr zu übernehmen. Weil die jeweilige Höhe noch kein Streitgegenstand im Verfahren war, wird die BG hierüber noch gesondert entscheiden müssen.
Rechtliche Grundlagen
§ 8 Abs. 1 SGB VII
(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.
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