Wenn der Arbeitsort in der Wohnung ist kann Unfallversicherungsschutz bestehen. Copyright by 9nong/fotolia.
Wenn der Arbeitsort in der Wohnung ist kann Unfallversicherungsschutz bestehen. Copyright by 9nong/fotolia.

Zwischen der Klägerin und der Berufsgenossenschaft (BG) Handel und Warenlogistik besteht Streit darüber, ob die Klägerin bei einem Sturz auf der häuslichen Kellertreppe auf dem Weg zum "Homeoffice" einen Arbeitsunfall erlitten hat. Hierbei zog sich die Klägerin Verletzungen im Wirbelsäulenbereich zu.
 

Sozialgericht erkennt Arbeitsunfall an

Die BG lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Auf Treppen zwischen privat und geschäftlich genutzten Räumen bestehe kein Versicherungsschutz. Das Sozialgericht (SG) hat festgestellt, dass ein Arbeitsunfall vorliege. Die Klägerin habe die Treppe betrieblich genutzt. Denn in ihrem Fall sei die Treppe ein Betriebsweg. Diesen Weg habe die Klägerin auch aus betrieblichen Gründen zurückgelegt.
 

Landessozialgericht kippt erstinstanzliche Entscheidung

Das Landessozialgericht (LSG) schloss sich der erstinstanzlichen Entscheidung nicht an. Es wies die Klage ab. Begründet hat das Berufungsgerichts die Entscheidung damit, dass die Klägerin bei ihrem Unfall nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Revision beim Bundessozialgericht ein.
 

Bundessozialgericht sorgt für Klarheit

In seiner Entscheidung vom 27.11.2018 kam das Bundessozialgericht (BSG) zu dem Ergebnis, dass die Klägerin beim Herabsteigen der Kellertreppe auf dem Weg zu ihrem „Homeoffice“ einen Unfall erlitt. Die Richter*innen sind der Ansicht, dass der Weg der  Klägerin zur Zeit des Unfalls in einem sachlichen Zusammenhang zu ihrer versicherten Tätigkeit stand. Deshalb befand sie sich auf einem versicherten Betriebsweg. Sie wollte weisungsgemäß mit dem Geschäftsführer der Unternehmerin telefonieren.
 
Entgegen der Auffassung des LSG scheitert die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht daran, dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin ereignete. Denn bei Beschäftigten mit Heimarbeitsplatz, so das BSG, greift die an der Außentür des Wohnhauses orientierte Grenzziehung für Betriebswege nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden und wenn der Betriebsweg in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird.
 

Unfallschutz bei Wohnung als vereinbarter Arbeitsort

Nach dem Arbeitsvertrag sollte die Klägerin in ihrer Wohnung arbeiten.
Maßgebend für die Bejahung des Unfallversicherungsschutzes, so das BSG, ist dann nicht die objektive Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts innerhalb des Hauses, sondern die durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigte Handlungstendenz der Klägerin, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen.
 
Das Telefonat mit dem Geschäftsführer gehörte zu den Aufgaben der Klägerin, die im Interesse des Unternehmens standen. Der Weg zum Homeoffice, von wo aus das Telefongespräch geführt werden sollte, fällt somit unter dem gesetzliche Versicherungsschutz.
 

Maßgebend weiterhin Umstände des Einzelfalls

Nach wie vor sind stets die gesamten Umstände des Einzelfalles bei Arbeitsunfällen von Arbeitnehmer*innen zu berücksichtigen, wenn sie zuhause arbeiten.
 
Anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen über Zeit, Ort etc. des Unfallgeschehens konnte das Bundessozialgericht abschließend über die Revision der Klägerin befinden. Da die Begehung der Kellertreppe Voraussetzung war um das Telefongespräch mit dem Geschäftsführer zu führen, war die Entscheidung des LSG aufzuheben und das Unfallgeschehen als Arbeitsunfall anzuerkennen.
 
 
Hier finden Sie den Terminbericht des Bundessozialgerichts vom 27.11.2018:
 
Für Interessierte:
 
Bundessozialgericht zu Arbeitsunfällen im „Homeoffice"
Sind Routinegänge wie der Weg zur Toilette oder Kantine versichert?

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 27.11.2018 zum Thema „Unfallversicherungsschutz bei Tätigkeiten im Homeoffice“ ist begrüßenswert.

Erstmalig wird hierdurch höchstrichterlich anerkannt, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Unfallversicherungsschutz auch für Arbeitnehmer*innen gegeben sein kann, wenn diese ihre beruflichen Tätigkeit in den eigenen vier Wänden versehen.

Bisher war nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass für dienstliche Tätigkeiten im häuslichen Bereich kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht. Denn, so das BSG, Risiken, die in seiner privaten Wohnung auftreten, hat der Arbeitnehmer selbst zu tragen. Dies ergebe sich daraus, dass der Arbeitgeber, anders als in betrieblichen Räumen, keine  Möglichkeit habe, präventive Maßnahmen zu ergreifen, die Gefahren vermindern. Wegen einer sachgerechten Risikoverteilung verbleibe das Unfallrisiko, das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgeht, beim Arbeitnehmer (Siehe hierzu beispielhaft: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.07.2016, Az: B 2 U 5/15R).

Diese bisherige recht restriktive Rechtsprechung des BSG zum Thema „Unfallversicherungsschutz im Homeoffice“, scheint durch die neue Entscheidung in eine Richtung zu gehen, die Arbeitnehmer*innen im Homeoffice einen vergleichbaren Schutz bietet, wie Arbeitnehmer*innen in Betrieben.

Rechtliche Grundlagen

§ 8 Abs 1 S 1; § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII und § 163 SGG

§ 8 Abs 1 S 1 Sozialgesetz Buch (SGB) VII - Arbeitsunfall -

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.



§ 2 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII - Versicherung kraft Gesetzes -

(1) Kraft Gesetzes sind versichert
1.
Beschäftigte,



§ 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

Sozialgerichtsgesetz (SGG)
§ 163
Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden.