Ein Arztbesuch kann gefährlich sein, ist aber unter Umständen versichert. Copyright by kianluca/Adobe Stock
Ein Arztbesuch kann gefährlich sein, ist aber unter Umständen versichert. Copyright by kianluca/Adobe Stock

Arztbesuche sind Privatsache. Wenn jemand auf seinen Weg vom oder zum Arzt einen Unfall erleidet, muss die gesetzliche Unfallversicherung deshalb dafür nicht einstehen. Was aber, wenn die Betroffene von ihrer Krankenkasse gebeten wurde, von ihrem Arzt Unterlagen abzuholen?

Über solch einen Fall hatte das Sächsische Landessozialgericht zu entscheiden.

Botin im Auftrag der Krankenkasse

Erika M. ist schon seit längerer Zeit arbeitsunfähig. Ihr Arbeitgeber will das überprüfen lassen. Er wendet sich daher Erika M.`s  Krankenkasse, die wiederum den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (kurz MDK) einschaltet. Erika M. soll dort begutachtet werden. Dies ist der gesetzlich vorgegebenen Weg, wenn ein Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit seines/seiner Beschäftigten anzweifelt und daher überprüfen lassen will.

Erika M. erhält ein Schreiben ihrer Krankenkasse, aus dem hervorgeht, dass eine Begutachtung durchgeführt werden soll. Außerdem enthält das Schreiben den Passus: „Lassen Sie bitte die Anlage dieses Schreibens von Ihrem behandelnden Arzt ausfüllen und bringen Sie diese zur Begutachtung  mit.“

Unfall beim Arztbesuch

Erika M. macht sich also auf den Weg zu ihrer Ärztin und übergibt ihr das Formular. Nachdem sie die Praxis verlassen hat, knickt sie auf dem öffentlichen Gehweg mit ihrem linken Fuß um. Dabei zieht sie sich eine Außenknöchelfraktur zu und wird mit einem Gips versorgt. Außerdem ist sie für mehrere Wochen arbeitsunfähig krank.

Erika M. möchte, dass dieser Unfall als Arbeitsunfall von der Berufsgenossenschaft anerkannt wird. Diese lehnt den Antrag jedoch ab. Erika M. sei keine versicherte Person im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gewesen. Das sei nur dann der Fall, wenn sie eine öffentliche Aufgabe für das Gemeinwohl wahrgenommen oder von einer Behörde zur Unterstützung eine Diensthandlung herangezogen worden sei. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Erika sei nicht verpflichtet gewesen, die Unterlagen bei ihrem Arzt abzugeben. Wege im Zusammenhang mit der Besorgung eines Krankenscheines seien dem persönlichen und damit unversicherten Lebensbereich zuzuordnen.

Wann wird man zur „Unterstützung einer Diensthandlung“ herangezogen?

Das wollte Erika M.  nicht hinnehmen. Schließlich hatte sie die medizinische Untersuchung ja selbst nicht veranlasst und die Unterlagen nur deshalb abgegeben, weil sie von ihrer Krankenkasse hierzu gebeten wurde. Warum sollte sie daher auf den Unfallfolgen sitzen bleiben? Mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH Chemnitz geht sie gegen den ablehnenden Bescheid der Berufsgenossenschaft vor und ist nicht nur in der ersten, sondern auch in der zweiten Instanz erfolgreich.

Das Sächsische Landessozialgericht stellt in seinem Urteil vom November 2019 nämlich folgendes fest:
Nach den gesetzlichen Regelungen der Unfallversicherung fallen Personen, die von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung eine Diensthandlung herangezogen werden, unter den gesetzlichen Schutz der Unfallversicherung. Die Krankenkasse der Klägerin sei eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie habe die Klägerin auch zur Unterstützung einer Diensthandlung „herangezogen“. Denn sie hat Erika M.  angeschrieben und sie gebeten, bei der Beschaffung der notwendigen Unterlagen für den medizinischen Dienst behilflich zu sein. Die Klägerin sei zwar nicht verpflichtet gewesen, dieser Bitte nachzukommen. Dass sie das freiwillig getan habe, schließe den Versicherungsschutz aber nicht aus. Denn das Wort „heranziehen “ bedeute nicht, dass der Betroffene verpflichtet sein muss, solch eine Hilfeleistung vorzunehmen.

Sächsisches Landessozialgericht: öffentliches Interesse lag vor

Das Landessozialgericht weist außerdem darauf hin, dass Krankenkassen gesetzliche Aufgaben zu erfüllen haben. Also habe Erika M.  im öffentlichen Interesse gehandelt, als sie die Unterlagen im Auftrag ihrer Krankenkasse ihrer Ärztin übergeben habe. Die Berufsgenossenschaft muss daher Erika M.´s Unfall als Arbeitsunfall anerkennen.

Hier geht es zur Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21.November 2019


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Das sagen wir dazu:

Die Klägerin Erika M. hatte Glück im Unglück: Sie konnte nachweisen, dass sie ihre Ärztin auf Aufforderung ihrer Krankenkasse aufgesucht hatte. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte das Verfahren höchstwahrscheinlich anders geendet. Denn wer einen Arzt oder auch eine Behörde aufsucht, handelt in der Regel stets in eigenem wirtschaftlichen Interesse, so das Bundessozialgericht. Nur wenn der/die Betroffene von der Krankenkasse oder einem anderen Sozialversicherungsträger (zum Beispiel dem Arbeitsamt) ausdrücklich aufgefordert wird, sich irgendwohin zu begeben, besteht Versicherungsschutz.
In diesem Fall kommt noch dazu, dass es eigentlich Aufgabe der Krankenkasse gewesen wäre, sich die notwendigen Unterlagen zu besorgen. Wer sich also von einer Behörde einspannen lässt, um Botendienste für sie zu besorgen, sollte das entweder ablehnen oder sich von ihr schriftlich bestätigen lassen, dass er/sie auf ihre Aufforderung handelt.