Tanken auf eigene Gefahr? Copyright by Adobe Stock/ Zsolnai Gergely
Tanken auf eigene Gefahr? Copyright by Adobe Stock/ Zsolnai Gergely

Es ist etwas, was jedem passieren kann: Anja A. wollte sich nach der Arbeit mit ihrem Auto auf den Weg nach Hause machen. Als sie losfuhr, stellte sie fest, dass die Tankanzeige auf Reserve stand. Also fuhr sie zu der nächsten Tankstelle und tankte. Auf dem Weg zur Kasse rutschte sie auf einer Benzinlache aus und stürzte. Es stellte sich heraus, dass der rechte Fußknöchel gebrochen war.


 

Ist Tanken eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit?

Anja A. war der Meinung, dass die gesetzliche Unfallversicherung den Unfall als Wegeunfall anerkennen müsse. Schließlich war sie auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, so dass sie unter dem gesetzlichen Versicherungsschutz stand. Die Reservetankfüllung reichte nicht aus, um nach Hause zu kommen, so dass das Tanken unbedingt erforderlich war.
 
Das Sozialgericht und später das Landessozialgericht vertraten jedoch dazu eine andere Auffassung. Der Unfall habe sich zwar auf den Weg von der Arbeit nach Hause ereignet. Anja A. sei aber nicht mit dem Fahrzeug verunglückt, sondern habe ihre Fahrt unterbrochen, um zu tanken. Das Tanken selbst sei eine sogenannte eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die mit der Arbeit in keinem Zusammenhang stünde. Daher könne der Unfall von Anja A. nicht als Wegeunfall anerkannt werden.
 

Nur der direkte Weg von oder zu der Arbeit ist unfallversichert

Anschließend hatte sich das Bundessozialgericht mit diesem Thema zu befassen. Anja A. war aber auch da nicht erfolgreich. Das Bundessozialgericht wies in seiner Entscheidung vom Mai 2020 darauf hin, dass nur der direkte Weg von der Wohnung zu der Arbeitsstelle und zurück von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst sei. Anja A habe den Weg nach Hause unterbrochen, um zu tanken. Damit sei sie vom direkten Weg abgewichen. Das sei durch die gesetzliche Unfallversicherung nicht mehr gedeckt.
 

Ältere Rechtsprechung zu dem sogenannten „Nachtanken“ gilt nicht mehr

Nach der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wäre das „Nachtanken“ unter Umständen vom gesetzlichen Versicherungsschutz erfasst worden. Das Bundessozialgericht hat jetzt aber klargestellt, dass diese Rechtsprechung nicht mehr herangezogen werden könne, da sie auf einer älteren gesetzlichen Regelung, nämlich der Reichsversicherungsordnung, beruhte. Die derzeit geltende gesetzliche Regelung würde jedoch ausdrücklich nur diejenigen Unfälle als Wegeunfall anerkennen, die sich auf dem direkten Weg von oder zu der Arbeit ereigneten. Wenn der/die Betroffene diesen Weg wegen Tankens unterbreche, würde das auf seiner/ihrer eigenen subjektiven Entscheidung beruhen, sodass sie von dem Versicherungsschutz nicht mehr erfasst sei. Das sei auch dann der Fall, wenn nachgetankt werden müsse, weil der Kraftstoffvorrat nicht mehr ausreiche. Andernfalls würde nach Auffassung des Bundessozialgerichts der „vorausschauende Autofahrer“ gegenüber demjenigen benachteiligt werden, der nachlässiger wäre
 
 
Ergebnis:  der Unfall von Anja A. wurde nicht als Wegeunfall anerkannt, so dass die Berufsgenossenschaft dafür nicht einzustehen hatte.
 
Hier geht es zu dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2020-B 2 U 9/18 R

Das sagen wir dazu:

Man wird sich nach dieser Entscheidung darauf einstellen müssen, dass das Bundessozialgericht die sogenannten Wegeunfälle restriktiver handhaben wird. Anders ist der Hinweis im Urteil, dass die gesetzliche Regelung, die sich mit dem Wegeunfall befasst, als absolute Ausnahmeregelung zu sehen sei, nicht zu verstehen.

Das Tanken auf dem Weg von und zu der Arbeit fällt somit nicht unter dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Das Bundessozialgericht hat dabei offengelassen, ob das anders zu werten sei, wenn besondere Umstände vorlägen. Als Beispiel wird erwähnt, dass der/die Betroffene einen unvorhergesehenen größeren Umweg machen müsse und deshalb nachtanken müsse. Auch Benzindiebstahl wird als unvorhergesehener Umstand genannt. Hierzu wird es in Zukunft sicherlich noch weitere Entscheidungen des Bundessozialgerichts geben.

Lesen Sie hierzu auch:

Versicherter Wegeunfall nach Besuch bei der Freundin?

Rechtliche Grundlagen

Gesetzliche Unfallversicherung/Sozialgesetzbuch VII

§ 8 Arbeitsunfall
(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.
(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.