Folgen eines Streits unter Kollegen können als Arbeitsunfall anzuerkennen sein.
Folgen eines Streits unter Kollegen können als Arbeitsunfall anzuerkennen sein.


Wird ein Arbeitnehmer auf dem Heimweg von der Arbeit von einem Arbeitskollegen zusammengeschlagen, kann er einen Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls haben. Dies hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden.

Streit begann im Firmentransporter

Der Kläger fuhr nach dem Einsatz auf einer Baustelle den mit mehreren verschwitzten Kollegen besetzten Firmentransporter der Arbeitgeberin zurück. Zwischen ihm und einem Kollegen kam es zum Streit, ob man wegen der „schlechten Luft“ die Fenster öffnen oder besser die Zugluft vermeiden solle. 

Bei dem Streit fielen auch beleidigende Worte. Der Kollege öffnete mehrmals ein Fenster um Frischluft in den muffigen Transporter zu lassen. Als dieser Kollege vom Kläger abgesetzt wurde, eskalierte die Situation, als der Kollege die Beifahrertüren öffnete und der Kläger ausstieg, um diese wieder zu schließen. Der für die „Frischluftzufuhr“ verantwortlich zeichnende Kollege griff dann den Kläger an und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Dieser ging daraufhin zu Boden. 

Obwohl der Kläger schon am Boden lag, trat sein Kollege ihm mit einem Stahlkappenschuh gegen den Kopf Der Kläger erlitt eine Schädelprellung sowie Hautabschürfungen am Außenknöchel und Daumen rechts. Das Amtsgericht Göppingen verurteilte den Täter wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe.

Sozialgericht: Streit ist auf konfliktaffine Persönlichkeiten zurückzuführen

Die Berufsgenossenschaft (BG) hörte den Arbeitnehmer mit dem von ihr für solche Fälle entwickelten „Fragebogen Streit“ an. Nach Auswertung dieser Bögen lehnte sie gegenüber dem Kläger die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. 

Die BG stellte sich auf den Standpunkt, der Streit sei nicht aus betrieblichen Gründen, sondern aus persönlichen beziehungsweise kulturellen Differenzen eskaliert.

In erster Instanz folgte das Sozialgericht (SG) Ulm der Rechtsauffassung der BG und wies die Klage ab. Begründet wurde die Entscheidung des SG damit, dass die gegen den Kläger gerichtete Straftat des Kollegen nicht wesentlich durch das Zurücklegen des Arbeitsweges bedingt gewesen sei, sondern durch die konfliktaffine Persönlichkeit der beiden Beteiligten.

Direkter Nachhauseweg fällt unter Schutz der gesetzlichen Wegeunfallversicherung

Das Stuttgarter Landessozialgericht (LSG) bewertete die Geschehnisse völlig anders: Die Richter*innen des ersten LSG-Senats hoben das erstinstanzliche Urteil auf und gaben dem Kläger Recht. 

Die BG wurde verpflichtet, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Auch der direkte Nachhauseweg von der Arbeitsstätte zur Wohnung stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Wegeunfallversicherung. Dieser Versicherungsschutz aus der Wegeunfallversicherung sei nicht unterbrochen worden. 

Das versicherte Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte sei die maßgebliche Ursache für die Einwirkungen durch den Täter, der den Kläger durch seine Intervention daran hindern wollte, die Fahrzeugtüren zu schließen, um dann unverzüglich die Fahrt nach Hause fortzusetzen.

Streitthemen waren nicht privater Natur

Nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg lagen die Ursachen des Streits nicht im privaten Bereich begründet, sondern in der versicherten Tätigkeit des Klägers als Fahrer.

Der Kläger und der Kollege hatten zuvor darüber gestritten, ob das Fenster wegen unangenehmer Gerüche durch die verschwitzte Arbeitskleidung geöffnet oder wegen der Erkältungsgefahr durch Zugluft geschlossen gehalten werden sollte und wer dies zu bestimmen habe. 

Außerdem sei der Täter aufgebracht darüber gewesen, dass zunächst ein dritter Kollege und nicht er vom Kläger nach Hause gebracht worden war. In der Straftat wirke der unmittelbar vorangegangene Streit über Themen mit konkretem Bezug zur versicherten Tätigkeit nach.

Ausstieg aus Fahrzeug keine privatwirtschaftliche Tätigkeit

Zwar hatte der Kläger zum Unfallzeitpunkt sein Fahrzeug angehalten und war aus dem Fahrzeug ausgestiegen, aber nur deshalb, um die vom Täter zuvor geöffneten Türen zu schließen, ohne dass er dafür den öffentlichen Verkehrsraum verlassen musste. 

Es handele sich um eine Verrichtung, die notwendig war, damit der restliche Weg zurückgelegt werden konnte, also nicht um eine privatwirtschaftliche Tätigkeit. Der Kläger wollte nur seinen Heimweg fortsetzen und zu diesem Zweck die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs wiederherstellen, indem er versuchte, auch die letzte Fahrzeugtür auf der Beifahrerseite zu schließen, woran der Täter ihn zu hindern suchte, was schließlich in die von diesem begangene Körperverletzung mündete.

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22.11.2017

Rechtliche Grundlagen

Auszug aus § 8 Sozialgesetzbuch (SGB) VI

Auszug aus § 8 Sozialgesetzbuch (SGB) VI
(1)Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
1.das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,...