Die Operationen der Verschleißschäden hatte in diesem Fall negative Folgen, die der Berufsgenossenschaft zuzurechnen sind. Copyright by Adobe Stock/Tobilander
Die Operationen der Verschleißschäden hatte in diesem Fall negative Folgen, die der Berufsgenossenschaft zuzurechnen sind. Copyright by Adobe Stock/Tobilander

Neumanns langes Leiden begann harmlos. Er hatte bei dem Unfall nur eine Zerrung erlitten. Die Beschwerden blieben aber, ambulant wurden MRT und CT-Aufnahmen erstellt. Nach diversen längeren Behandlungen gingen die Ärzte von Schädigungen im Handgelenk mit Instabilität aus.
 
Wegen anhaltender Beschwerden stellte sich Neumann in einer weiteren BG-Klinik vor. Die Ärzte dort werteten die Befunde wie die Ärzte zuvor und wollten „mal reingucken“, also eine diagnostische Arthroskopie durchführen. Mittlerweile waren zwei Jahre seit dem Unfall vergangen und man drückte sich nach dem Eingriff vage aus. Da auch Verschleißerscheinungen vorlagen, wurde kein Unfallzusammenhang festgestellt, dieser nur für möglich gehalten.
 

Anderer Arzt - andere Bewertung

Ein Gutachter der Berufsgenossenschaft wertet die alten Bilder anders. Der Unfallhergang sei überhaupt nicht geeignet gewesen, zu diesen Schäden zu führen. Tatsächlich bestand eine Arthrose mit deutlich degenerativer Veränderung.
Üblicherweise teilt dann die Berufsgenossenschaft allen Beteiligten mit, dass die Behandlung jetzt zu Lasten der Krankenkasse und nicht mehr über die Berufsgenossenschaft erfolgt. Dies unterblieb. Neumann ging es schlechter als vor der Arthroskopie und die Klinik operierte ein weiteres Mal. Diese Operation war handwerklich “Murks“. Es verblieben Einschränkungen und Schmerzen aufgrund der Operation, die auch nicht durch eine dritte Operation geheilt wurden.
 
Der Arzt, der dann für die BG bewerten sollte, ob Unfallfolgen verblieben sind, kannte sich auch juristisch aus. Sein Ergebnis lautete: Von Anfang an lag nur eine Zerrung vor mit einem schicksalhaften Verlauf. Es sei ein harmloses Ereignis gewesen, die Operationen der Verschleißschäden habe negative Folgen verursacht, und diese seien der Berufsgenossenschaft zuzurechnen.
Er bewertete die Folgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 %. Danach müsste die Berufsgenossenschaft Neumann eine Verletztenrente zahlen.
 

Nur Zerrung als Unfallfolge anerkannt

Die Berufsgenossenschaft ermittelte und ermittelte und ermittelte. Es wurden sogar die operierenden Ärzte gefragt, ob sie Neumann nicht vor der OP darauf aufmerksam gemacht hätten, dass die OPs nicht aufgrund der Unfallfolgen nötig waren. Neumann selbst sagt, es wäre immer nur um den Unfall gegangen. Die Ärzte verwiesen lediglich auf das, was zu den Behandlungen protokolliert war.
 
Die Berufsgenossenschaft entschied schließlich, die Arthrosen seien nicht durch den Unfall entstanden und lehnte es auch ab, die OP-Folgen als Unfallfolgen zu sehen. Mittlerweile waren schon fast vier Jahre vergangen.
 

Lange Verfahrensdauer durch formularmäßiges Vorgehen

Das Klageverfahren vor dem Sozialgericht begann im Mai 2018. Wie häufig bei untypischen Sachverhalten sind standarisierte Formulare nicht hilfreich. Es erging eine Beweisanordnung, d.h. das Gericht wollte den Sachverhalt erneut gutachterlich aufklären. Es tat dies jedoch ohne den Gutachter auf die Besonderheiten des Falles hinzuweisen oder diesbezügliche Fragen zu stellen.
 
Es kam wie es kommen musste, der Gutachter kam zu dem Ergebnis, Unfallfolge sei nur eine Zerrung gewesen. Auch das Gericht griff wieder zum Formular und fragte aufgrund des negativen Gutachtens, ob die Klage zurückgenommen wird.
 
Alle begutachtenden Ärzte gingen im Nachhinein nur von einer Zerrung aus. Die gutachtlichen Stellungnahmen krankten aber daran, dass die Rechtsfrage zuvor nicht geklärt war:  Wie kam es zu den Operationen oder hatte man Neumann sogar darauf aufmerksam gemacht, dass weitere Eingriffe nicht unfallbedingt seien? Die Berufsgenossenschaft hatte ohne Ergebnis bei den Operateuren nachgefragt. Neumann schwört, dass nie die Rede davon war, die Operation seien nicht aufgrund des Arbeitsunfalls erfolgt.
So verwunderte es nicht, dass Äußerungen zur entscheidenden Zusammenhangsfrage durch den Sachverständigen im Gutachten gar nicht vorkamen.
 

Gutachter wird nochmals beauftragt

Der Sachverständige wurde dann vom Sozialgericht ergänzend beauftragt. Dabei wurde ihm vorgegeben, dass er seine Einschätzung so abgeben solle, als seien die Operationen unfallbedingt gewesen, und er sollte dann die verbliebenen Schäden bewerten. Der ergänzenden Stellungnahme war an mehreren Stellen deutlich anzumerken, dass der Arzt sich durch die Juristen gegängelt fühlte.
So verwunderte es Neumann nicht, dass die OP-Folgen deutlich verharmlost wurden und keine rentenberechtigte Minderung der Erwerbsfähigkeit herauskam. Dabei muss er sich seit den Operationen mit einem deutlich geringer bezahlten Jobs begnügen und hat immer noch erhebliche Beschwerden.
 

Sozialgerichtstermin unter Pandemiebedingung

Ein Sozialgerichtstermin wurde wegen Erkrankung des vorsitzenden Richters aufgehoben und erst etwa ein Jahr später in der Pandemiezeit im Februar 2020 nachgeholt. Die Verhandlung war ungewöhnlich. Alle trugen Masken und saßen weit auseinander, offene Fenster und furchtbar laut brummende Geräte, die die eventuelle Viruslast dämmen sollen. Die bekannten Argumente wurden daher sehr lautstark ausgetauscht. Brillen beschlugen, und die älteren Beisitzer des Gerichts griffen sich immer wieder an die Ohren, um den Vortrag zu verstehen. Ob bei einer Verhandlung unter normalen Bedingungen, das Ergebnis anders gewesen wäre, bleibt offen.
 

Sozialgericht gibt jeder Seite ein bisschen Recht

Schon die Nachfragen an den Gutachter ließen vermuten, dass das Gericht neben der Zerrung mittelbare Unfallfolgen annahm. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Behandler und Operateure bei allen drei Operationen davon ausgingen, Unfallfolgen zu behandeln. Selbst in den Abrechnungen sei das durch die Diagnoseschlüssel so codiert. Die vermurkste zweite Operation habe die dritte erforderlich gemacht, damit sei auch die dritte als mittelbare Unfallfolge zu bewerten.
 
Hinsichtlich der Unfallfolgen ist das Gericht allerdings dem gerichtlichen Gutachter gefolgt, der nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10% annahm. Daher bekam Neumann keine Rente zugesprochen.
 

Berufung läuft

Neumann konnte damit nicht zufrieden sein. Weitergehende Einschränkungen wie Psyche und Armbeschwerden hätten berücksichtigt werden müssen.
 
Er klagt zudem noch auf Schadensersatz gegen die Klinik wegen der verpatzten Operation. Da sind sich die Gutachter einig, dass diese handwerklich nicht richtig ausgeführt war. Trotzdem hat er auch sieben Jahre nach dem Unfall bisher kein Geld erhalten.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Vordrucke, Textbausteine - das alles hilft die tägliche Arbeit zu bewältigen. Ärgerlich ist, wenn nur danach verfahren wird, obwohl das Atypische von Anfang an vom medizinischen Gutachter der Berufsgenossenschaft erkannt und medizinisch und juristisch vorausschauend bewertet wurde.

Bleibt für Neumann zu hoffen, dass auch dessen Einschätzung von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20% im Berufungsverfahren erreicht wird. Nur dann würde er eine Rente von der Berufsgenossenschaft bekommen.

Rechtliche Grundlagen

§ 11 SGB VII (Gesetzliche Unfallversicherung) Mittelbare Folgen eines Versicherungsfalls
(1) Folgen eines Versicherungsfalls sind auch Gesundheitsschäden oder der Tod von Versicherten infolge
1. Durchführung einer Heilbehandlung, von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder einer Maßnahme nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung,
2. der Wiederherstellung oder Erneuerung eines Hilfsmittels,
3. der zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordneten Untersuchung
einschließlich der dazu notwendigen Wege.
(2) …

Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2018, B 2 U 16/17 R
Leitsatz: Gesundheitsschäden aufgrund einer ärztlichen Behandlung sind auch dann mittelbare Unfallfolgen, wenn die Heilbehandlung zwar objektiv der Behebung eines anlagebedingten Leidens dient, der Verletzte aufgrund des Verhaltens eines Durchgangsarztes jedoch den Eindruck haben durfte, die Behandlung solle zur Behebung der durch einen Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsschäden durchgeführt werden.