Übermut tut selten gut!? Copyright by Adobe Stock/FrederickS
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Ein Arbeitsunfall setzt voraus, dass das, was man zur Zeit des Unfalls getan hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Neumann fuhr vom Büro zu einer Baustelle, als er stürzte. Das allein reicht aber im komplizierten Unfallrecht nicht aus.
 

Berufsgenossenschaft verneint einen Arbeitsunfall

Neumann hat bei der Berufsgenossenschaft beantragt, den Sturz mit dem Motorrad als Arbeitsunfall anzuerkennen. Das wurde abgelehnt. Nach erfolglosem Widerspruch klagte er vor dem zuständigen Sozialgericht.
 
Ein klassischer Unfall auf einer Dienstfahrt fällt unter den Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaft. Das ist keine Frage. Doch hier gab es unterschiedliche Angaben zum Unfallhergang. Ohne Zweifel war die Straße leer und trocken.
 

Streitiger Unfallhergang  - Wheely oder Fahrfehler?

Neumann selbst gab in der Unfallanzeige an, er sei beim Schaltvorgang mit der linken Hand von der Kupplung abgerutscht, das Vorderrad habe sich gehoben und beim Aufsetzen sei er gestürzt.
Im ersten Arztbericht dem sog. Durchgangsarztbericht wurde vermerkt: ...Motorrad hochgezogen, außer Kontrolle geraten und gestürzt gegen Betonpfeiler.
 
Der Unfall wurde durch die Polizei aufgenommen. Mehrere Fußgänger hatten den Unfall gesehen.
Sie gaben als Zeugen gegenüber der Polizei an, Neumann habe stark beschleunigt und das Vorderrad zu einem Wheely hochgerissen. Er sei ein Stück auf dem Hinterrad gefahren und sei beim Aufsetzten des Vorderrads ins Schleudern geraten und gestürzt.
 

Neumann beharrt auf Fahrfehler, BG unterstellt Spaß am Risiko

Die Berufsgenossenschaft befragte die Fußgänger noch schriftlich und sie bestätigten das Hochreißen des Vorderrads und eine Hinterradfahrt von etwa 20 bis 30 Metern. Sie nahm deshalb an, dass bei dem Fahren mit dem Motorrad die Motivation zu einem riskanten Fahrspaß im Vordergrund und der eigentliche betriebliche Arbeitsauftrag im Hintergrund stand. Die Fahrt sei nicht davon geprägt gewesen, der versicherten Tätigkeit als Bauleiter nachzugehen, sondern von eigenwirtschaftlichen Interessen wie Übermut und Leichtsinn. Das Fahrmanöver habe in keinem inneren Zusammenhang zu seiner versicherten beruflichen Tätigkeit gestanden.
 
Neumann widersprach: Sein Motorrad sei eine Rennmaschine, die er erst seit kurzem habe. Er sei grundsätzlich ein besonnener Verkehrsteilnehmer und habe die Maschine zum Unfallzeitpunkt erst 200 km gefahren. Das Fahren auf dem Hinterrad sei nur aufgrund seines Fahrfehlers, des Verschaltens, entstanden und nicht aus Lust am Risiko. Daher sei der Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.
 

Ist der Unfall „infolge“ der Arbeitstätigkeit entstanden?

Das Sozialgericht hat die Zeugen angehört, um sich ein eigens Bild zu machen.
Eine Zeugin bestätigte eine starke Beschleunigung. Ob Neumann absichtlich auf dem Hinterrad fuhr, konnte sie nicht einschätzen, es habe auf sie aber einen sicheren Eindruck gemacht. Ein Schlingern sei erst beim Aufsetzen eingetreten.
Die nächste Zeugin meinte, es habe insgesamt nicht sicher ausgesehen, erst sei das Vorderrad nur kurz hochgezogen worden, dann nochmal etwas länger.
 
Für die Frage eines Arbeitsunfalles musste das Gericht unter anderem prüfen, ob Neumann überhaupt eine versicherte Tätigkeit nach objektiven Umständen und seiner Handlungstendenz verrichtet hat. Tatsachen, die das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegen, konnten die Richter*innen hier nicht finden. 

Leitsatz und Begründung des Gerichts

Dass der Unfall auf dem Dienstweg geschah, reicht nicht aus. Um als Arbeitsunfall anerkannt zu werden, muss sich eine Gefahr verwirklichen, gegen die der Versicherungstatbestand schützen soll. Auch das Gericht sagt, dass dies normalerweise erfüllt ist. Die unversicherten Mitursachen müssen aber im Einzelfall mitbewertet werden. Und die stehen hier durch Neumanns Wheely im Vordergrund.

 
„Das Fahren eines Motorrads auf dem Hinterrad, ein Wheely, stellt eine unversicherte konkurrierende Ursache dar, wobei die Beweggründe, insbesondere ein Imponiergehabe oder leichtsinniger Übermut den ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit soweit in den Hintergrund drängen, dass allein rechtlich-wesentlich die eigenwirtschaftliche Motivation und nicht die versicherte Wirkursache dem Unfallgeschehen sein wesentliches Gepräge gibt.“
 

Bewertung der Zeugenaussagen

Durch Fehler passieren Unfälle. Das Gericht hat hier nachvollziehbar begründet, dass nicht jedes verkehrswidrige Verhalten den Unfallschutz kostet, hier aber der Leichtsinn nichts mit der Arbeit zu tun hatte.
 
Gerade die Zeugenberichte direkt am Unfallort hat das Gericht für wesentlich angesehen. Denn die erfolgten unmittelbar und häufig unbeeinflusst von versicherungsrechtlichen Überlegungen. Das Gericht ging daher davon aus, dass Neumann absichtlich einen Wheely machte.
Die leichten Abweichungen bei den Zeugenaussagen seien durch den relativ langen Zeitablauf erklärbar. Die Behauptung des Verschaltens von Neumann wertet das Gericht als Schutzbehauptung.
Hätte Neumann z.B. riskant überholt, um schneller zur Arbeit zu kommen, dann könnte die Motivation noch sein, die versicherte Tätigkeit schneller zu verrichten. Ein Imponiergehabe sei aber kein verkehrswidriges Verhalten, das noch unter den Schutzzweck fallen könnte.