Ein Fahrdienstleiter der DB bekommt keine Leistungen von der Unfallkasse, da er keiner außergewöhnlichen Bedrohung katastrophalen Ausmaßes ausgesetzt war. Copyright by bluedesign /Adobe Stock
Ein Fahrdienstleiter der DB bekommt keine Leistungen von der Unfallkasse, da er keiner außergewöhnlichen Bedrohung katastrophalen Ausmaßes ausgesetzt war. Copyright by bluedesign /Adobe Stock

 Nun muss das Landessozialgericht (LSG) sich nochmal mit dieser Sache beschäftigen. Und das, obwohl sich der Unfall vor mehr als acht Jahren ereignete.
 

Mitarbeiter der Bahn erlebte traumatische Vorfälle

Der damals 49 Jahre alte Fahrdienstleiter ist angestellt bei der DB Netz AG. Ende 2011 sah er vom Stellwerk aus, wie es zu einem Beinahe-Zusammenstoß eines Autos mit einem Zug kam. Verletzte gab es nicht, da der Pkw in der Schranke des Bahnübergangs hängenblieb.
 
Dennoch war das Ereignis für den Bahn-Angestellten psychisch sehr belastend. Auch, weil er schon zuvor traumatische Erlebnisse bei der Arbeit hatte. 2003 gab es einen tödlichen Bahnunfall und 2009 kam es fast zu einem Zusammenstoß zweier Züge.
 

Ereignis wird nicht als Arbeitsunfall anerkannt

Die Unfallkassen Bund und Bahn lehnte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Es habe kein eigentliches Unfallereignis gegeben, welches ursächlich für einen psychischen Gesundheitsschaden sein könnte. Die Situation sei nicht lebensbedrohlich gewesen, sondern der Fahrdienstleiter habe diese lediglich als bedrohlich empfunden.
 
Der Bahn-Angestellte klagte und unterlag beim Sozialgericht Magdeburg. Es habe keine außergewöhnliche Bedrohung katastrophalen Ausmaßes vorgelegen. Deshalb sei das Ereignis nicht geeignet gewesen, die psychische Erkrankung des Klägers zu verursachen.  
 

Berufungsverfahren beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt

Der Kläger legte Berufung beim LSG ein. Hier machte man es sich nicht so leicht wie in der ersten Instanz. Zur Aufklärung wurde ein nervenärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Das LSG stellte dann das Ereignis aus November 2011 als Arbeitsunfall fest. Beim Kläger läge eine mehrdimensionalen psychosomatischen Störung vor.
 
Allerdings machte der Sachverständige die Unfallschäden nur für einige Wochen verantwortlich für die psychische Erkrankung des Klägers. Die voranschreitende psychische Fehlentwicklung sei über diesen Zeitraum hinaus auf unfallfremde Belastungsfaktoren zurück zu führen.
 

Voraussetzungen zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls

Arbeitsunfälle sind die Unfälle, die versicherte Personen infolge einer versicherten Tätigkeit erleiden. Schon hier sind die beteiligten Richter*innen nicht einer Meinung. Nach dem LSG habe sich die Beinahe-Kollision bei der versicherten Tätigkeit als beschäftigter Fahrdienstleiter ereignet.
 
Das Bundessozialgericht (BSG) hingegen bezweifelt schon, ob der Kläger überhaupt eine versicherte Verrichtung ausgeübt hat. Der Kläger habe befürchtet, dass der Zug und der Pkw zusammenstoßen und er das nicht verhindern könne. Es sei zweifelhaft, ob diese bloße Vorstellung als Verhalten und damit als versicherte Tätigkeit aufgefasst werden könne.
 

Unfall im Sinne des § 8 SGB VII

Ein Arbeitsunfall verlangt nach dem Gesetz ein "von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis".
Das LSG bejahte dies. Da der Kläger keine fahrdienstlichen Mittel mehr gehabt habe, um die als sicher vorhergesehene Katastrophe zu verhindern, läge eine betriebsbedingte Einwirkung auf die Psyche des Klägers vor.
 
Das BSG widerspricht hier: Die Machtlosigkeit und Fehlvorstellung des Klägers sei kein von außen auf ihn einwirkendes Ereignis im Sinne eines tatsächlichen, die Dinge verändernden Geschehens.
Passivität sei gerade kein dynamisches Geschehen, das den Lauf der Dinge ändert, und könne schon deshalb kein "Ereignis" sein.
 
Da die bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht ausreichten, um abschließend urteilen zu können, hat das BSG die Sache zurück an das LSG verwiesen.
 
LINKS:
Das Urteil vom Bundessozialgericht liegt noch nicht vor. Hier geht es zur Terminvorschau und dem Terminbericht.

Das sagen wir dazu:

Wer die Begründung des Bundessozialgerichts zu dieser Sache liest, muss sicher erst einmal schlucken. Dem Kläger sollen Leistungen aus der Unfallkasse nicht zustehen, da es nur ein Beinahe-Unfall war? Da der Zug und der Pkw gar nicht ineinander gekracht sind? Da es keine Katastrophe gab und weder er noch andere in Lebensgefahr waren? Das mutet schon seltsam an. Der Menschenverstand sagt uns, dass das nicht richtig sein kann. Der Fahrdienstleiter war im Dienst und hat etwas erlebt, dass ihn nachhaltig psychisch krank gemacht hat.

Das BSG meint, die Gefühle wie Ohnmacht, Hilflosigkeit und Kontrollverlust kämen von innen. Ja, ein Gefühl kommt von innen. Aber diese Gefühle haben eine greifbare äußere Ursache, nämlich die Beobachtung des Beinahe-Unfalls.

Eine Kollision sei nur der Vorstellung des Klägers entsprungen, so das BSG. Aber immerhin räumt man ein, dass es ein - zeitlich begrenztes - von außen den Kläger einwirkendes Ereignis gab. Ein Auto durchbrach die Schranke und bewegte sich auf den Bahnübergang zu. Warum das nicht ausreichen soll, ist schwer zu greifen.

Abzuwarten ist, was letztlich bei dieser Sache herauskommt. Es ist allerdings zu befürchten, dass der Kläger am Ende leer ausgehen wird. Denn selbst wenn ein Arbeitsunfall anerkannt würde, bliebe die schwierige Frage, zu welchen Gesundheitsschäden er geführt hat. Grade bei psychischen Erkrankungen, die häufig sehr komplex sind, also mit verschiedenen Faktoren zu tun haben, sind die Unfallkassen/Berufsgenossenschaften schnell „aus dem Schneider“. Das BSG hält die medizinischen Ermittlungen nicht für ausreichend, so dass das LSG hier sicher noch einmal ein Gutachten einholen wird.

Rechtliche Grundlagen

§ 8 SGB VII Arbeitsunfall
(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, dass die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.
(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.