Lärm wird störend oft empfunden, weil er mit Geräusch verbunden. Frei nach Wilhelm Busch. Lärm kann aber auch sogar krank machen: ständige laute Geräusche belasten Menschen psychisch und körperlich. Gleichwohl lehnen die Berufsgenossenschaften es oft ab, Entschädigungen zu zahlen, obwohl ein/e Betroffene*r lange Zeit an seinen Arbeitsplätzen Lärm ausgesetzt war. So wie bei einem Beschäftigten eines „Heli-Service", der als „Bodenabfertiger“ längere Zeit dem Lärm von startenden und landenden Hubschraubern ausgesetzt war. Dabei soll er nach seinen Angaben lediglich einen untauglichen Hörschutz getragen haben.


Er leidet nunmehr an einen extremen Tinnitus (Ohrgeräusch) beidseits. Die Berufsgenossenschaft lehnte wegen fehlender arbeitstechnischer und medizinischer Voraussetzungen es indessen ab, bei ihm eine Berufskrankheit anzuerkennen.

Lärmschwerhörigkeit ist auf der Liste der Berufskrankheiten erfasst

Zunächst eine kurze Ausführung zu wichtigen Voraussetzungen, unter denen eine Schwerhörigkeit überhaupt eine Chance hat, dass die gesetzliche Unfallversicherung eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anerkennt.


Lärmschwerhörigkeit ist auf der Liste der Berufskrankheiten als Nummer 2301 erfasst. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gibt es einen ärztlichen Sachverständigenbeirat, der in einem Merkblatt darüber herausgibt, unter welchen Bedingungen nach Stand der Wissenschaft permanenter Lärm die Hörfähigkeit gefährdet. Der DGUV, der Dachverband der gesetzlichen Unfallversicherung, gibt zudem Empfehlungen für Sachverständige heraus, die Lärmschwerhörigkeit beurteilen müssen. Das sind die sogenannten „Königsteiner Empfehlungen“, in der aktuellen Fassung vom Dezember 2020.

Ein Rechtssekretär des DGB Rechtsschutz war maßgeblich am Diskurs über die Voraussetzungen einer Entschädigung von Lärmschäden beteiligt

Insgesamt ist die Beurteilung von Hörschäden sehr komplex. Zum Verständnis reicht aber ein kurzer Einblick in die Voraussetzungen, die Merkblatt und „Königsteiner Empfehlungen“ beschreiben. Die Empfehlungen sind letztlich das Ergebnis von wissenschaftlichen Studien, die aber auch durch Diskussionen Impulse bekamen, an denen sich insbesondere in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auch Jurist*innen aus der sozialrechtlichen Praxis beteiligt haben. Sehr viel beigetragen hat etwa der Kollege Werner Schimanski, damals Rechtsschutzsekretär des DGB, Büro Bremen.


Wird der Mensch mit Lärm über einem bestimmten Pegel dauerhaft beschallt, werden Haarzellen im sogenannten „Corti-Organ“ zerstört. Das ist ein Bereich in der Cochlea („Schnecke“) des Innenohrs, der gleichsam an der Schnittstelle zwischen Nervensignalen und mechanischen Schwingungen sitzt, die das Trommelfell überträgt.

Lärm kann die Haarzellen im Innenohr schädigen

Die Haarzellen sind Rezeptoren, die mechanische Schwingungen in Nervenreize übersetzen. Nach ganz herrschender Meinung unter den Fachärzten schädigt Lärm die Haarzellen ab einem Schalldruckpegel von 85 Dezibel, wenn er über mehrere Jahre auf das Ohr einwirkt. In der Praxis wird der Schalldruckpegel am Arbeitsplatz durch eine technische Messvorrichtung bestimmt, bei der man einen Filter (A) vorschaltet. Dadurch will man die Anatomie des menschlichen Ohres simulieren. Die Berichte der berufsgenossenschaftlichen Präventionsdienste geben die Höhe des Lärms deshalb in der Einheit „dB(A)“ an.


Es gibt evidente Studien, nach denen fünf Prozent der Personen, die zehn Jahre lang täglich acht Stunden einem Schallpegel von 90 dB(A) ausgesetzt waren, durchschnittlich eine Minderung der Hörfähigkeit um 30 dB(A) haben. Aber auch ein Einzel-Spitzen-Schalldruckpegel von mehr als 150 bis 165 dB(C) kann einen Hörschaden bewirken.

Typisch für Lärmschwerhörigkeit: die sogenannte „C5-Senke“

Wichtig in Zusammenhang mit Lärmschäden ist noch, dass die Wissenschaft herausgefunden hat, dass der Schaden in einem Bereich beginnt, der etwa 4000 Hz entspricht und sich von dort ausbreitet. Deshalb ist der Hörverlust bei einer Lärmschwerhörigkeit auch nicht gleichförmig, sondern im Bereich von 4000 Hz am größten. Bei der Untersuchung zeigt sich im sogenannten „Tonaudiogramm“ eine Kurve, die in genau diesem Bereich eine Delle hat, die sogenannte „C5-Senke“. Hat ein Tonaudiogramm nicht diese Form, verneinen Sachverständige einen lärmbedingte Hörschaden.


Eine Verletztenrente muss die gesetzliche Unfallversicherung nur leisten, wenn durch den Lärm die Erwerbsfähigkeit mindestens um 20 Prozent herabgesunken ist. Dabei darf man nicht Hörverlust und Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) miteinander verwechseln. Letztere ist denknotwendig viel niedriger als der Hörverlust. Trotzdem müssen die Sachverständigen zunächst diesen berechnen.

Permanenter Lärm kann auch einen Tinnitus als Begleitschaden einer Lärmschwerhörigkeit verursachen

Die wichtigste Grundlage ist insoweit der sprachaudiometrische Befund. Der dazu nötige Sprachtest wird über Kopfhörer mithilfe der Zahlwörter und der Einsilber des sogenannten „Freiburger Tests“ durchgeführt. Ausgewertet wird das insoweit erstellte Sprachaudiogramm nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen: dreimal Verständnisquote bei 60dB plus zweimal Verständnisquote bei 80 dB plus einmal Verständnisquote bei 100 dB. Die Werte muss man addieren und durch zwei teilen. Dann kann selbst ein Laie in einer Tabelle mithilfe des Hörverlustes für Zahlen und den berechneten Wert den Hörverlust ermitteln (Tabelle von Boeninghaus und Röser) und mithilfe einer weiteren Tabelle die MdE (Tabelle von Feldmann). Bei einem Hörverlust auf beiden Ohren von 30 Prozent beträgt die MdE zum Beispiel 15 Prozent.


Permanenter Lärm kann auch ein chronisches Geräusch (Pfeifen, summen oder zischen - Tinnitus) in den Ohren bewirken. Nach den Königssteiner Empfehlungen wird ein solcher „Begleit-Tinnitus“ mit einer MdE bis zehn Prozent berücksichtigt, allerdings im Sinne einer integrierenden MdE-Bewertung und nicht durch eine einfache Addition. Höher ist die MdE bei einem Tinnitus nur, wenn er für eine weitere Krankheit wie eine Depression verantwortlich ist.

Beim „Bodenabfertiger“ lag kein messbarer Hörverlust vor

Jetzt zurück zu unserem Bodenabfertiger beim „Heli-Dienst“. Die BG geht nach den Ermittlungen ihres Präventionsdienstes davon aus, dass zwar eine Lärmbelastung vorgelegen habe, allerdings lediglich von dreizehn Monaten, was nicht ausreichend für die Verursachung einer Lärmschwerhörigkeit sei. Zudem liege bei dem Beschäftigten kein messbarer Hörverlust vor, den man auf Lärmeinwirkung zurückführen könne.


Nachdem der Kläger mit einem Widerspruch gegen die Entscheidung der BG keinen Erfolg hatte, erhob er Klage, die das Sozialgericht aber mit Gerichtsbescheid abwies. Dagegen hat er Berufung eingelegt. Ergänzend zu seinem Vorbringen trug er beim LSG vor, dass es in den letzten Tagen seiner Tätigkeit bei seinem alten Arbeitgeber zu einem Zwischenfall gekommen sei: er habe bei einem Helikopter wie üblich den Startvorgang überwacht. Der Pilot habe es möglicherweise sehr eilig gehabt. Dieser sei - als der Kläger noch in unmittelbarer Nähe des Hubschraubers gewesen sei, - sehr eilig gestartet und habe den Hubschrauber auf der Stelle gedreht. Dadurch hätten die Getriebe noch mehr aufgeheult, während der Kläger dem Lärm unmittelbar ausgesetzt gewesen sei.

Weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen sind beim Kläger gegeben, sagt das LSG

Üblicherweise hätten die Piloten mit diesen Manövern gewartet, bis er sich etwas aus dem Bereich des Helikopters habe entfernen können. Die angenommenen Lärmbelastungen seien von der BG nicht ausreichend ermittelt worden. Der Lärm eines startenden Helikopters ergebe sich aus der Leistung der Triebwerke und der Länge und der Art der Rotorblätter. Zudem sei die Belastung auch abhängig von der genauen Position des Betroffenen und den Manövern. Es gebe sehr unterschiedlich große Helikopter, so dass ein Standardwert nicht ermittelt werden könne. Das LSG wies die Berufung jetzt zurück. Weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen seien beim Kläger gegeben, so das Gericht. Der Kläger sei ausweislich der Ermittlungsergebnisse des Präventionsdienstes der Beklagten bei der Firma N. Service lediglich in einem Zeitraum vom 1. Juni 2016 bis 31. Juli 2017, also einem Zeitraum von rund 14 Monaten, tätig und dabei einem Tages-Lärmexpositionspegel von 90 bis 92 dB(A) ausgesetzt gewesen. Ein derart kurzer Zeitraum reiche jedoch für die Anerkennung einer BK-Nr. 2301 nicht aus, denn vorausgesetzt werde eine Dauerlärmexposition von 85 db(A) über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Eine Lärmschwerhörigkeit entwickelt sich nämlich nur bei einer ausreichend hohen und ausreichend langen Lärmbelastung.Das LSG konnte zudem nicht feststellen, dass der Kläger Einwirkungen von Einzel-Spitzen-Schalldruckpegel von mehr als 150 bis 165 dB(C) ausgesetzt gewesen sei, die grundsätzlich ebenfalls zu einer Lärmschädigung im Sinne der BK- Nr. 2301 führen könnten. Da ein Tinnitus lärmbedingt nur als „Begleittinnitus“ eines Innenohrhörschadens auftritt, konnte das LSG zu keinem anderen Ergebnis kommen.


Hier geht es zum Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen: (PDF)