Sozialgericht Dortmund: Bei einem Impfschaden infolge einer betrieblich veranlassten Grippeschutzimpfung handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall. Ein Entschädigungsanspruch gegenüber der Berufsgenossenschaft besteht somit nicht.


In seiner Entscheidung vom 05.08.2014 kam die 36. Kammer des Sozialgerichts (SG) Dortmund zu dem Ergebnis, dass ein Impfschaden infolge einer Grippeschutzimpfung nicht bereits deshalb als Arbeitsunfall zu entschädigen sei, weil die Impfung auf Veranlassung des Arbeitgebers durch den Betriebsarzt erfolgt.


Infolge einer betriebsärztlichen Grippeschutzimpfung erkrankte die Klägerin an einem Guillian-Barré -Syndrom. Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine Erkrankung der Nervenbahnen, die vom Rückenmark zu den Muskeln oder anderen Organen bzw. von Haut und Organen zum Rückenmark ziehen. Am stärksten sind dabei in der Regel die längsten Nervenbahnen, die zum Bein ziehen, betroffen. Lähmungen und Gefühlsstörungen sind die häufigsten Symptome, aber auch andere Funktionen können betroffen sein.


Bei der Klägerin, die in einem Bochumer Museum mit Publikumsverkehr arbeitet, blieb eine Restsymptomatik zurück und wurde vom zuständigen Landschaftsverband als Impfschaden der Grippeschutzimpfung anerkannt. Sie verklagte die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft auf Anerkennung eines Arbeitsunfalles, weil ihr die betriebsärztliche Impfung von ihrem Arbeitgeber empfohlen wurde. Die Klägerin folgte der Empfehlung ihres Arbeitgebers um sich, im Hinblick auf den Publikumsverkehr im Museum, vor einer Ansteckungsgefahr zu schützen und unterzog sich der Schutzimpfung durch den Betriebsarzt.


Die Abweisung der Klage begründete das SG Dortmund damit, dass die Anerkennung eines Arbeitsunfalles nur in Betracht komme, wenn die mit der Tätigkeit verbundene Gefährdung eine Grippeschutzimpfung über die allgemeine Gesundheitsfürsorge hinaus erforderlich mache. Dies aber sei bei der Klägerin im Museum nicht der Fall gewesen. Zwar habe sie Kontakt zu Besuchergruppen gehabt. Die Ansteckungsgefahr sei aber nicht größer gewesen als an anderen Arbeitsplätzen mit Kontakt zu Kollegen und Publikum oder im privaten Bereich z.B. beim Einkaufen. Die Entscheidung des SG Dortmund wurde rechtskräftig nachdem die Klägerin eine gegen das Dortmunder Urteil eingelegte Berufung zurücknahm.

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz: Bei einem Impfschaden infolge einer betrieblich veranlassten Schweinegrippe-Schutzimpfung handelt es sich um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall.

Dass eine betrieblich veranlasste Impfung zu einem Impfschaden führen kann und dieser als ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall zu bewerten ist, hat das LSG Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung vom 08.12.2014 deutlich gemacht und die Berufung der Unfallkasse Rheinland-Pfalz (Beklagte) gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 21.03.2013, AZ: S 10 U 48/11 zurückgewiesen. Eine von der Beklagten beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) gegen die Entscheidung des LAG wurde durch Beschluss vom 19.04.2015, Az: B 2 U 7/15 B als unzulässig verworfen.


Bereits im März 2013 entschieden die Richter der 10. Kammer des SG Mainz, dass eine 53-jährige Krankenschwester einen Anspruch auf Entschädigung gegenüber der zuständigen Unfallkasse hat. Die Klägerin hatte im Pandemiejahr 2009 an der von ihrem Arbeitgeber empfohlenen Impfung gegen das Schweinegrippe-Virus H1N1 teilgenommen. Nach der betrieblich veranlassten Schutzimpfung erkrankte sie an einem Herzbeutelerguss und einer Nervenentzündung, was dazu führte dass ihr eine Tätigkeit als Krankenschwester nicht mehr möglich ist. Dieser Auffassung schloss sich das LSG an und bestätigte das Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls, hervorgerufen durch eine betrieblich veranlasste Schutzimpfung.

Anmerkung:

In beiden hier zur Diskussion stehenden „Impfschadensfällen“ kam es zu den Schutzimpfungen auf Veranlassung der Arbeitgeber.


Nach Ansicht des SG Dortmund könne der Impfschaden nur dann als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn die mit der Tätigkeit der Klägerin verbundene Gefährdung eine Grippeschutzimpfung über die allgemeine Gesundheitsfürsorge hinaus erforderlich gemacht hätte. Hiervon aber, so das Gericht, sei jedoch nicht auszugehen. Denn der Kontakt zu Besuchergruppen und die damit verbundene Gefahr, an einer Virusgrippe zu erkranken sei nicht größer gewesen als an anderen Arbeitsplätzen, die mit Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen oder Kunden verbunden sind. Folglich habe die Klägerin keinen Anspruch darauf, den Impfschaden als Berufsunfall anerkannt zu bekommen.


Die Richter*innen des SG Mainz und in der Folge das LSG Rheinland-Pfalz indes bewerteten den Impfschaden, den eine Krankenschwester erlitt als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall. Hintergrund mag hierfür die 2009 häufiger aufgetretene sogenannte Schweinegrippe gewesen sein.


In beiden Fällen handelte es sich nicht um Pflichtimpfungen, wie diese zum Beispiel für im Gesundheitswesen tätige Arbeitnehmer*innen verbindlich vorgeschrieben sind. 


Da die Grippe- so wie auch die Schweinegrippeschutzimpfungen auf Veranlassung und Kosten der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer*innen vorgenommen wurde, spricht so gut wie alles dafür, dass es sich hierbei nicht um eine arbeitgeberseitige Wohltat handelte. Durch die Impfungen sollte vielmehr möglichen grippalen Erkrankungen Beschäftigter vorgebeugt werden. Wenn dies so ist, wovon der Autor ausgeht, dann kam es zu den Impfungen im überwiegenden Interesse der Arbeitgeber. 


Wird hierbei ein Impfschaden verursacht, dann kann nicht erkannt werden, warum ein bei einer arbeitgeberseitig veranlassten betriebsärztlichen Grippeschutzimpfung auftretender massiver Impfschaden, der eine Erkrankung der Nervenbahnen, die vom Rückenmark zu den Muskeln oder anderen Organen ausgehen, mit sich brachte, nicht von einem Arbeitsunfall auszugehen ist, während der nicht weniger schwere Impfschaden bei einer Krankenschwester, die sich einer arbeitgeberseitig veranlassten Schweinegrippe-Schutzimpfung unterzog, als entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall anzuerkennen ist.


Werden Arbeitnehmer*innen im Rahmen von betrieblich veranlassten Schutzimpfungen Impfschäden zugefügt, so sind diese als Arbeitsunfälle anzuerkennen, da die Impfungen im so gut wie ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers erfolgen. Geschieht dies nicht, so darf man sich nicht wundern, wenn Arbeitnehmer*innen Abstand davon nehmen, an arbeitgeberseitig veranlassten Impfungen teilzunehmen, bei denen es sich nicht um Pflichtimpfungen handelt, um nicht eines lieben Tages in die Liste der Impfgeschädigten aufgenommen und mit ihren gesundheitlichen Problemen allein gelassen zu werden.


Impfungen sind rechtlich gesehen Körperverletzungen i.S. des § 223 StGB: Es wird die schützende Haut verletzt, es werden vorsätzlich Krankheitserreger (oder Teile von ihnen) in einen gesunden Organismus eingebracht. Auch werden heute immer noch Nervengifte (Quecksilber, Aluminiumverbindungen) und allergene Substanzen (z. B. Fremdeiweiße) in einen gesunden Organismus eingebracht.

 

Schutzimpfungen, wie z.B. Grippe- oder Schweinegrippeimpfungen, sind in Deutschland grundsätzlich freiwillig. Da Impfungen einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit im Sinne des Artikels 2 Grundgesetz (GG) darstellen, zu dem der/die Geimpfte vorher die Zustimmung erteilen muss, sollten Arbeitnehmer*innen, die angehalten werden, sich einer arbeitgeberseitig veranlassten Impfung zu unterziehen, abklären, ob im Falle eines, wenn auch selten auftretenden, Impfschadens, entschädigungspflichtige Leistungen zu erwarten sind. Ist dies nicht der Fall, so sollte gut überlegt werden, ob man sich einer arbeitgeberseitig veranlassten Schutzimpfung unterzieht.

 

Dass Grippe-Schutzimpfungen anerkanntermaßen Impfschäden verursachen können ist auch dem Gesetzgeber nicht unbekannt. Denn wenn die Influenza-Schutzimpfung von der obersten Gesundheitsbehörde eines Bundeslandes öffentlich empfohlen und in deren Bereich vorgenommen worden ist, haben Geimpfte, die einen Impfschaden erleiden, einen Versorgungsanspruch gemäß §§ 51,52 Bundesseuchengesetz.


Warum durch freiwillige Impfungen hervor gerufene Impfschäden, für die keine öffentliche Empfehlung vorliegt, aber arbeitgeberseitig veranlasst und somit gewollt werden, grundsätzlich keine entschädigungspflichtigen Leistungen gewährt werden, erscheint mir eine berechtigte Frage. 

Hier kommen Sie direkt zum vollständigen Urteil des SG Dortmund vom 05.08.2014, Az: S 36 U 818/12

Hier kommen Sie direkt zum vollständigen Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 08.12.12014, Az: L 2 U 99/13

Rechtliche Grundlagen

§§ 51+52 (Bundes-Seuchengesetz) Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen

Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz)

§ 51 [1] [Versorgung nach BVG bei Impfschaden]

(1) 1Wer durch eine Impfung, die
1.gesetzlich vorgeschrieben oder
2.auf Grund dieses Gesetzes angeordnet oder
3.von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder
4.auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
einen Impfschaden erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes,[2] soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. 2Satz 1 Nr. 4 gilt nur für Personen, die zum Zwecke der Wiedereinreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft wurden und die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet haben oder nur vorübergehend aus beruflichen Gründen oder zum Zwecke der Ausbildung aufgegeben haben, sowie deren Angehörige, die mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft leben. 3Als Angehörige gelten die in § 205 Abs. 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung genannten Personen.
(2) 1Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer als Deutscher außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden durch eine Impfung erlitten hat, zu der er auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 (RGBl. S. 31) bei einem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes verpflichtet gewesen wäre. 2Die Versorgung wird nur gewährt, wenn der Geschädigte
1.nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft werden konnte,
2.von einem Arzt geimpft worden ist,
3.zur Zeit der Impfung in häuslicher Gemeinschaft mit einem Elternteil oder einem Sorgeberechtigten gelebt hat, der sich zur Zeit der Impfung aus beruflichen Gründen oder zur Ausbildung nicht nur vorübergehend außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufgehalten hat.
(3) 1Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden erlitten hat infolge einer Pockenimpfung auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 (RGBl. S. 31) oder infolge einer Pockenimpfung, die in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes bezeichneten Gebieten, in der Deutschen Demokratischen Republik oder in Berlin (Ost) gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund eines Gesetzes angeordnet worden ist, soweit nicht auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften Entschädigung gewährt wird. 2Ansprüche nach Satz 1 kann nur geltend machen, wer
1.als Deutscher bis zum 8. Mai 1945,
2.als Berechtigter nach den §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes oder des § 1 des Flüchtlingshilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Mai 1971 (BGBl. I S. 681), zuletzt geändert durch Artikel 3b des Gesetzes vom 24. Juli 1992 (BGBl. I S. 1389),
3.als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes oder
4.im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 94 des Bundesvertriebenengesetzes in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung
seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes genommen hat oder nimmt.
(4) Die Hinterbliebenen eines Impfgeschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.

§ 52 [1] [Begriff und Kausalzusammenhang des Impfschadens]

(1) 1Ein Impfschaden ist ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. 2Ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit lebenden Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person durch diese Erreger einen Gesundheitsschaden erleidet. 3Als Impfschaden gilt ferner eine gesundheitliche Schädigung, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f oder des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist. 4Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Satzes 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz infolge eines Impfschadens im Sinne des § 51 Abs. 1 oder eines Unfalls im Sinne des Satzes 3 gleich.
(2) 1Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. 2Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Impfung anerkannt werden. 3Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden. 4Eine Anerkennung nach den Sätzen 1 und 2 und hierauf beruhende Verwaltungsakte können mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn unzweifelhaft feststeht, daß der Gesundheitsschaden nicht Folge einer Impfung ist; erbrachte Leistungen sind nicht zu erstatten.