Der Schmerz trat plötzlich und stechend im Arm auf: War es ein Unfall? © Adobe Stock: shidlovski
Der Schmerz trat plötzlich und stechend im Arm auf: War es ein Unfall? © Adobe Stock: shidlovski

Beim Herausziehen einer schweren Vorrichtung trat ein stechender Schmerz auf. Später stellten die behandelnden Ärzte fest, dass der Arbeiter einen Abriss der Bizepssehne erlitten hatte. Das ist nicht die Folge eines Arbeitsunfalles, meinte die Berufsgenossenschaft (BG).

 

Der Mann sei schon über 60 Jahre alt und seine Sehnen aufgrund dessen erheblich altersbedingt vorgeschädigt. Der Ablauf des Ereignisses sei außerdem nicht dazu geeignet, einen Bizepssehnenabriss zu verursachen. Die Vorkommnisse am Arbeitsplatz stellten eine Gelegenheitsursache dar. Es handele sich um ein Anlassgeschehen, das jederzeit auch durch eine andere Begebenheit hätte hervorgerufen werden können. Das sei berufsgenossenschaftlich nicht versichert.

 

Widerspruch und Klage folgten

 

Das wollte der Versicherte nicht gelten lassen und beschritt den Rechtsweg. Dabei unterstützten ihn die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Passau. Sie argumentierten dahingehend, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt an einer Presse gearbeitet habe und eine ca. 100 kg schwere Stanzvorrichtung ausbauen musste. Hierbei sei die Stanzvorrichtung aus der Presse herauszuziehen. Aufgrund einer

Unebenheit, die sich offenbar durch die zuletzt ausgeführten Stanzvorgänge am Untergrund bildete, habe sich die Vorrichtung in der Presse verhakt.

 

Zusätzlich zum Kraftaufwand, den er ohnehin schon habe ausüben müssen, sei hierdurch ein plötzlicher Ruck aufgetreten, der ihn reflexartig zum stärkeren „Anreißen" gezwungen habe. Sofort sei ein schnalzendes Geräusch im linken Ellenbogen zu hören gewesen, verbunden mit Schmerzen. Entgegen der Behauptung der Beklagten habe der Kläger den Arm nicht willentlich gesteuert. Die Stanzvorrichtung habe sich verhakt und dadurch sei eine plötzliche Belastung auf die bereits unter großer Kraftanstrengung gespannte Bizepssehne aufgetreten.

 

Es habe sich dabei um ein plötzliches, ungewolltes und unvorhergesehenes Ereignis gehandelt, das zu der willkürlichen körpereigenen Bewegung (Herausziehen) hinzugetreten sei und diese beeinflusst habe.

 

Das erste Klageverfahren endete durch Vergleich

 

Im Klageverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, wonach die BG den ablehnenden Bescheid aufhob und sich bereit erklärte, den medizinischen Sachverhalt noch einmal zu prüfen sowie einen neuen Bescheid zu erteilen. Der sah dann aber nicht besser aus.

 

Es blieb bei der Ablehnung

 

Der Verletzte musste erneut vor Gericht ziehen. Hier gelang seinen Prozessbevollmächtigten aus Passau ein Erfolg. Das Gericht holte medizinische Befunde und Gutachten ein und erkannte das Ereignis als Arbeitsunfall an.

 

Arbeitsunfälle sind nach dem Gesetz von außen auf den Körper wirkende Ereignisse, die zeitlich begrenzt sind und zu einem Gesundheitsschaden führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).

 

Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden gegenüber Gesundheitsbeeinträchtigungen aus innerer, also einer körpereigenen Ursache; nicht geschützt sollen Unfälle sein, die auf Ereignissen beruhen, die aus dem Menschen selbst kommen.

 

Vom Willen gesteuerte Einwirkungen sind keine Unfälle

 

Besteht die Einwirkung auf den*die Versicherte*n in einer vom Willen getragenen und gesteuerten Eigenbewegung, kommt diese nicht von außen. Ein Unfall ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass ein normaler Geschehensablauf plötzlich durch einen ungewollten Vorfall unterbrochen wird. Solange ein*e Versicherte*r in der gewollt herbeigeführten Einwirkung und damit in der Eigenbewegung nicht beeinträchtigt ist, wirkt kein äußeres Ereignis auf den Körper ein.

 

Das Gericht prüfte die unterschiedlichen Berichte zum Hergang des Ereignisses, bei dem der Kläger sich verletzte.

 

Das Gericht ging von folgendem Hergang aus:

 

Der Kläger arbeitete zum Unfallzeitpunkt an einer Presse, in der Metallteile gestanzt werden. Die Stanzvorrichtung war ca. 260 kg schwer. Diese wollte der Kläger aus der Presse ausbauen. Dazu musste er sich über die Stanzvorrichtung (Länge von ca. 70 cm, Breite von 30 cm) beugen, diese mit beiden Händen an den gegenüberliegenden Enden anpacken und dann von der Unterlage der Presse auf einen Gabelstapler ziehen.

 

Aufgrund des Eigengewichts konnte die Stanzverrichtung nicht einfach verschoben werden. Es waren vielmehr wiederkehrende ruckartige Bewegungen mit maximaler Kraft notwendig, um ganz allmählich die schwere Vorrichtung auf den Gabelstapler zu bringen. Bei diesem Vorgang verhakte sich die Vorrichtung aufgrund von Einkerbungen auf der Unterlage, die auf den vom Kläger vorgelegten Fotografien deutlich zu erkennen sind. Es kam zu einem plötzlichen Ruck, der den Kläger reflexartig zum stärkeren „Anreißen" zwang. Hierbei hat der Kläger einen stechenden Schmerz am linken Ellenbogen verspürt und ein schnalzendes Geräusch gehört.

 

Das war ein Arbeitsunfall

 

Der beschriebene Unfallhergang stelle einen geeigneten Unfallmechanismus für eine

traumatische Schädigung an der distalen Bizepssehne dar, so das Gericht. Es müsse davon ausgegangen werden, dass es hierbei zu einer unphysiologischen Belastung der Bizepssehne gekommen sei und der Körper insoweit nicht über ausreichende Sicherungsmechanismen verfüge.

 

Bei dem dargelegten Vorgang des Ziehens der Stanzvorrichtung sei das Ellenbogengelenk leicht gebeugt und die Muskulatur maximal angespannt gewesen. Die zu bewegende Stanzvorrichtung habe an sich zwar kein so hohes Gewicht gehabt. Es seien jedoch immer wiederkehrende ruckartige Bewegungen notwendig gewesen, um die Vorrichtung zu bewegen.

 

Durch das „Hängenbleiben" an der Unebenheit der Unterlage wären zudem unerwartete Widerstände aufgetreten, aufgrund derer unphysiologisch dehnende Kräfte zusätzlich auf die untere Bizepssehne einwirkten. Es sei insgesamt von einem gestörten Bewegungsablauf auszugehen.

 

Das „Losrütteln“ ist ein geeigneter Unfallmechanismus

 

Von einem „geeigneten" Verletzungsmechanismus sei bei jeder unphysiologischen

Belastung der Bizepssehne auszugehen, heißt es im Urteil. Der Kläger weise zwar altersbedingte Vorschäden auf. Die Verschleißerscheinungen der Sehne seien jedoch noch nicht so ausgeprägt und leicht ansprechbar gewesen, dass ein rechtlich erheblicher Vorschaden im Sinne einer Gelegenheitsursache vorgelegen hätte.

 

Der Riss der Bizepssehne sei damit trotz degenerativer Vorschädigung wesentlich ursächlich auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen.

 

Damit ist es aber nicht vorbei. Nun stehen der ursächliche Zusammenhang und daher auch der Arbeitsunfall fest. Die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit und der Unfallrente wird die BG noch zu ermitteln haben. Bleibt zu hoffen, dass es nicht erneut zu einem Prozess kommen muss.