Unfallversicherungsschutz für Arbeitsplatzbewerberin bei Sturz im Hochteillager? © Adobe Stock - Von industrieblick
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Die arbeitsuchende Klägerin absolvierte bei einem Unternehmen ein unentgeltliches eintägiges Praktikum auf der Grundlage einer "Kennenlern-/Praktikums-Vereinbarung".

Während des Praktikums fanden unter anderem Gespräche, eine Betriebsführung und ein fachlicher Austausch mit der IT-Abteilung statt. Zum Abschluss besichtigte man das Hochregallager. Hierbei stürzte die Klägerin und brach sich den rechten Oberarm. Bei der zuständigen Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BG) beantragte sie die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, der erfolglos blieb.

Tatsacheninstanzen bestätigen Rechtsauffassung der beklagten BG

Negativ verlief auch das Widerspruchsverfahren, woraufhin die Klägerin Klage beim Sozialgericht Augsburg erhob. Die wurde mit Urteil vom 15. Mai 2018 abgewiesen. Gegen diese Entscheidung legte sie Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) ein. Mit Urteil vom 28. Juli 2020 wies das LSG die Berufung zurück.

LSG lässt Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu

Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ das LSG die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zu. Durch die Revision, so das LSG, könne höchstrichterlich geklärt werden, ob eine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert vorliegt, wenn ein "Kennenlern-Tag" für den Arbeitgeber aufgrund der verbesserten Personalauswahl wirtschaftlich einen Nutzen hat, obwohl der Bewerber keine Tätigkeit von wirtschaftlichen Wert erbringt.

Angesichts der auch vom BSG betonten zunehmenden Bedeutung von Probearbeitstagen und Einfühlungsverhältnissen und der Tatsache, dass sich die Bewerber vorwiegend im Interesse des Arbeitgebers, also in dessen Risikosphäre, aufhalten, kommt dieser Rechtsfrage eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zu.

Erfolgreiche Revision

Anders als die beklagte Holz- und Metall BG und die Vorinstanzen hat das BSG festgestellt, dass die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalles Teilnehmerin einer Unternehmensbesichtigung. Nach der Satzung der beklagten BG sind Teilnehmer einer Unternehmensbesichtigung - im Unterschied zu Satzungen anderer Unfallversicherungsträger - unfallversichert. Das eigene - unversicherte - Interesse der Klägerin am Kennenlernen des potenziellen zukünftigen Arbeitgebers steht dem Unfallversicherungsschutz kraft Satzung hier nicht entgegen. Die Satzungsregelung der Beklagten ist nicht auf Personen beschränkt, deren Aufenthalt im Unternehmen ausschließlich der Besichtigung dient. Unternehmer sollen vielmehr umfassend von Haftungsrisiken befreit werden, die durch erhöhte Gefahren bei Unternehmensbesuchen entstehen können

Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundessozialgerichts vom 31. März 2022:

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist begrüßenswert. Ob sie bei vergleichbaren Unfallgeschehen herangezogen werden kann, um Unfälle im Rahmen einer Betriebsbesichtigung als Arbeitsunfälle anerkannt zu bekommen, bleibt abzuwarten. Denn die Satzungen der Berufsgenossenschaften sind nicht einheitlich. Kraft Gesetzes gilt der Versicherungsschutz nur für Beschäftigte und Lernende. Unter diesen Personenkreis fiel die Klägerin in dem vom BSG entschiedenen Fall ersichtlich nicht. Dass es dennoch zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls kam, ergibt sich aus § 52 der Satzung der Berufsgenossenschaft Holz und Metall. Danach gilt der Versicherungsschutz auch für nicht im Unternehmen beschäftigte Personen, die als Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Besichtigungen des Unternehmens, die Stätte des Unternehmens im Auftrag oder mit Zustimmung des Unternehmens aufsuchen.

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus SGB VII und der Satzung der BG Holz und Metall

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung -

§ 8 Arbeitsunfall (idF des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254)

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.


§ 2 Versicherung kraft Gesetzes (idF des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254)

(1) Kraft Gesetzes sind versichert,

1. Beschäftigte,

2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,

...

14. Personen, die

a) nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,

...
(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. ...

§ 3 Versicherung kraft Satzung (idF des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254)

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf
...

2. Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; ...

Satzung der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (einschließlich 5. Satzungsnachtrag vom 20.11.2014)

§ 52 Versicherung nicht im Unternehmen beschäftigter Personen

(1) Personen, die nicht im Unternehmen beschäftigt sind, aber
...
b) als Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Besichtigungen des Unternehmens,
...
f) als Praktikantinnen und Praktikanten,
...

die Stätte des Unternehmens im Auftrag oder mit Zustimmung des Unternehmens aufsuchen oder auf ihr verkehren, sind während ihres Aufenthalts auf der Stätte des Unternehmens gegen die ihnen hierbei zustoßenden Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beitragsfrei versichert, soweit sie nicht schon nach anderen Vorschriften versichert sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII).