Personenschäden: Gesetzliche Unfallversicherung.Nur in gesetzlich geregeltem Umfang. Nur in seltenen Ausnahmefällen muss Arbeitgeber zusätzlich etwa ein Schmerzensgeld zahlen. © Adobe Stock-Andre
Personenschäden: Gesetzliche Unfallversicherung.Nur in gesetzlich geregeltem Umfang. Nur in seltenen Ausnahmefällen muss Arbeitgeber zusätzlich etwa ein Schmerzensgeld zahlen. © Adobe Stock-Andre

Die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) führte das Deutsche Reich im Rahmen der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung durch das Unfallversicherungsgesetz vom Juli 1884 ein. Zunächst galt es nur für bestimmte Beschäftigungsgruppen und auch nur für Beschäftigte, deren Einkommen 2.000,00 Reichsmark im Jahr nicht überstieg. Das durchschnittliche Jahreseinkommen lag damals bei etwa 500,00 Reichsmark.


Heute sind im Grunde alle abhängig Beschäftigten gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten versichert. Eine Ausnahme bilden Beamt*innen, die allerdings durch das Dienstunfallrecht vergleichbar geschützt sind. Den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung genießen auch weitere Menschen, wie etwa Schüler*innen allgemein- und berufsbildender Schulen beim Besuch schulischer Veranstaltungen, Kinder beim Besuch von Kindertageseinrichtungen, Zeuginnen und Zeugen, Hausgewerbetreibende und viele mehr.

Die GUV soll vor allem Prävention betreiben und mit dafür sorgen, Arbeitsunfälle zu vermeiden

Träger der GUV in Deutschland sind die Berufsgenossenschaften, diverse Unfallkassen des Bundes und der Länder sowie die Gemeindeunfallversicherungsverbände. Einzige Finanzierungsgrundlage sind Beiträge an die GUV. Sie werden im Wege der Umlage von den Unternehmen bzw. den Arbeitgeber*innen erhoben und berechnen sich nach dem Finanzbedarf des abgelaufenen Kalenderjahres, den Arbeitsentgelten und den Gefahrenklassen. Diese berücksichtigen die unterschiedlichen Unfallgefahren in den Gewerbezweigen.


Zwar soll die GUV vor allem Prävention betreiben und mit dafür sorgen, Arbeitsunfälle zu vermeiden. Sie ist aber auch eine Versicherung, die Arbeitgeber*innen davon freihält, für Folgen von Arbeitsunfällen zu haften. Das 7. Sozialgesetzbuch (SGB VII) regelt das in den §§ 104 und 105: Arbeitgeber*innen sind zum Ersatz des Personenschadens, der durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde, nur verpflichtet, wenn sie ihn vorsätzlich herbeigeführt haben. Auch die Haftung anderer im Betrieb tätiger Personen (die „Erfüllungsgehilfen“ des Arbeitgebers) ist entsprechend beschränkt.

Als ein Bauhelfer die Verschalung einer Betontreppe entfernte, stürzte die diese in sich zusammen und verletzte ihn schwer

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) hat kürzlich noch einmal bestätigt, dass ein Arbeitgeber für Personenschäden durch einen Arbeitsunfall nur in Ausnahmefällen haftet.


Es geht um einen Bauhelfer, der Opfer eines schweren Arbeitsunfalls auf der Baustelle wurde, auf die er für seinen Arbeitgeber beschäftigt war. An fraglichen Tag waren neben ihm noch zwei weitere Mitarbeiter sowie sein Sohn und sein Schwiegersohn auf jener Baustelle tätig. Als er die Verschalung einer Betontreppe einschließlich der Stützen entfernte, stürzte diese in sich zusammen und begrub ihn unter sich. Der Bauhelfer erlitt schwerste Verletzungen und musste sich mehrfach in vollstationäre Behandlung begeben. Er leidet weiterhin unter massiven Folgen des Arbeitsunfalles.
In einer Stellungnahme des Amtes für Arbeitsschutz heißt es, dass die Betontreppe nach der entsprechenden DIN-Norm nicht vor Ablauf einer Frist von 20 Tagen hätte ausgeschalt werden dürfen. In einem Bericht der Bezirksregierung heißt es zudem, dass der Arbeitgeber den Grundpflichten nach dem Arbeitsschutzgesetz nicht nachgekommen ist. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Arbeitgeber aufgrund fahrlässiger Körperverletzung stellte die Staatsanwaltschaft wegen geringer Schuld ein.

Der Bauhelfer wirft dem Arbeitgeber vor, dass er drei ungelernte Arbeitnehmer, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, mit den Arbeiten betraut hatte

Der Bauhelfer verlangte von seinem Arbeitgeber, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf den Unfall zurückzuführen sind, insoweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Zudem wollte er ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 40.000,00 EUR.


Der Bauhelfer wirft dem Arbeitgeber vor, dass er drei ungelernte Arbeitnehmer, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, mit den Arbeiten betraut hatte. Zudem rügt er, dass weder ein Vorarbeiter noch ein Bauleiter die Arbeiten überwacht hätten. Außerdem habe ein Dolmetscher für Arbeitsanweisungen und Sicherheitsvorschriften gefehlt. Darüber hinaus habe niemand dem Bauhelfer erklärt, dass die Betontreppe weder ausgehärtet noch deren Statik in Ordnung gewesen ist.


Da der Arbeitgeber freiwillig nicht zu Entschädigungsleistungen bereit war, verklagte der Bauhelfer ihn vor dem Arbeitsgericht, das seine Klage jedoch abwies. Das LAG wies jetzt seine Berufung zurück.

Hintergrund des Haftungsprivilegs zugunsten des Arbeitgebers ist, dass bei einem Arbeitsunfall die gesetzliche Unfallversicherung eintritt

Das LAG stellt zunächst klar, dass der Arbeitgeber dem geschädigten Arbeitnehmer gegenüber gemäß § 278 Satz 1 BGB für schuldhaft begangene Rechtsverletzungen hafte, die für ihn als Erfüllungsgehilfen eingesetzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte begingen. Zugleich weist das Gericht aber darauf hin, dass die Haftung bei einem Arbeitsunfall dann ausgeschlossen sei, wenn der Arbeitgeber oder sein Erfüllungsgehilfe ihn nicht vorsätzlich herbeigeführt hätten.


Hintergrund des Haftungsprivilegs zugunsten des Arbeitgebers gegenüber dem Schadensersatzverlangen eines Beschäftigten sei, so das LAG in seiner Begründung, dass bei einem Arbeitsunfall die gesetzliche Unfallversicherung eintrete. In diese müssten die Unternehmer Beiträge zahlen. Dafür seien sie in der Regel im Gegenzug - außer, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeiführten - von der Haftung befreit.

Die Haftung hinsichtlich des Ersatzes von Personenschäden ist bei Arbeitsunfällen insgesamt beschränkt

Die gesetzliche Unfallversicherung verlagere den Schadensausgleich bei Arbeitsunfällen aus dem individualrechtlichen in den sozialrechtlichen Bereich. Die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers für fahrlässiges Verhalten bei Personenschäden gegenüber dem Arbeitnehmer werde durch die öffentlich-rechtliche Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst. Mit dieser Ablösung einher gehe eine entsprechende Haftungsfreistellung aller Betriebsangehörigen bei Betriebsunfällen.


Das Gericht wies darauf hin, dass die Haftung hinsichtlich des Ersatzes von Personenschäden insgesamt beschränkt sei. Ein Personenschaden sei der Schaden, den der Verletzte in seiner körperlichen oder seelischen Unversehrtheit erleide und der zu einer zivilrechtlichen Entschädigungspflicht führe. Gleichzeitig müsse ein Gesundheitsschaden als ein den Versicherungsfall konstituierendes Merkmal eingetreten sein. Mit anderen Worten: ohne Personenschaden liegt auch kein Arbeitsunfall im rechtlichen Sinne vor.

Die Rechtsprechung verlangt bei Schadensersatz den "doppelten Vorsatz"

Der Arbeitgeber oder einer seiner „Erfüllungsgehilfen“ haften selbst dann nicht, wenn sie ein bestimmtes Handeln gewollt und gebilligt haben, das für den Unfall ursächlich gewesen ist. Das erklärte das LAG ausdrücklich und verwies insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.


Das BAG verlangt bei Schadensersatz vielmehr einen "doppelten Vorsatz": der Vorsatz des Schädigers müsse nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Anders gesagt: der Arbeitgeber oder sein Erfüllungsgehilfe müssen nicht nur vorsätzlich gegen Arbeitsschutzvorschriften oder Unfallverhütungsvorschriften verstoßen haben, sondern auch Personenschäden insoweit zumindest billigend in Kauf genommen haben.

Der Arbeitgeber oder sein Erfüllungsgehilfe müssen die Schädigung des Bauhelfers vorausgesehen und in Kauf genommen haben

Wenn ein Vorarbeiter oder Bauleiter -wie im vorliegenden Fall - ungelernte Arbeitnehmer ohne Überwachung durch Facharbeiter zu Arbeiten einteile, handele er noch nicht vorsätzlich hinsichtlich des Verletzungserfolges, meint das LAG. Als der Arbeitgeber die Arbeiten einteilte müsse er es vielmehr für möglich gehalten haben, dass die Arbeitnehmer sich durch Arbeiten selber gefährdeten und dass es zu einem Unfall kommen könne. Das aber müsste der/die verletzte Beschäftigte darlegen und voll beweisen.


Die zahlreichen Verstöße gegen Arbeitsschutz- oder Unfallverhütungsvorschriften, die der Bauhelfer seinem Arbeitgeber und seinen Vorgesetzten vorwerfe, würden für eine Haftung nicht ausreichen. Dadurch allein sei nämlich nicht nachgewiesen, dass der Arbeitgeber die Schädigung des Bauhelfers vorausgesehen und dies in Kauf genommen habe.

Es reicht nicht, wenn der Arbeitgeber meint, es werde schon „nichts passieren“

Vorsätzlichen Verhaltens sei in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit nicht bereits anzunehmen, wenn der Schaden lediglich für möglich gehalten werde oder wenn es dem Betreffenden gleichgültig sei, ob ein derartiger Erfolg eintrete ("...es wird schon nichts passieren"). Bedingter Vorsatz liege vielmehr nur vor, wenn der möglicherweise eintretende Personenschaden für den Fall seines Eintritts auch gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen werde.
Der geschädigte Bauhelfer hat nach Auffassung des LAG Köln keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Arbeitgeber oder einer seiner Erfüllungsgehilfen ihn verletzen wollte oder jedenfalls die Schädigung gebilligt hat.

Hier geht es zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln:

Rechtliche Grundlagen

§§ 104, 105 Sozialgesetzbuch VII

Rechtsgrundlagen:

§ 104 Sozialgesetzbuch VII
Beschränkung der Haftung der Unternehmer
(1) Unternehmer sind den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Ein Forderungsübergang nach § 116 des Zehnten Buches findet nicht statt.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Personen, die als Leibesfrucht durch einen Versicherungsfall im Sinne des § 12 geschädigt worden sind.
(3) Die nach Absatz 1 oder 2 verbleibenden Ersatzansprüche vermindern sich um die Leistungen, die Berechtigte nach Gesetz oder Satzung infolge des Versicherungsfalls erhalten.

§ 105 Sozialgesetzbuch VII
Beschränkung der Haftung anderer im Betrieb tätiger Personen
(1) Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, sind diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Satz 1 gilt entsprechend bei der Schädigung von Personen, die für denselben Betrieb tätig und nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 versicherungsfrei sind. 3§ 104 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn nicht versicherte Unternehmer geschädigt worden sind. Soweit nach Satz 1 eine Haftung ausgeschlossen ist, werden die Unternehmer wie Versicherte, die einen Versicherungsfall erlitten haben, behandelt, es sei denn, eine Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Unternehmer ist zivilrechtlich ausgeschlossen. Für die Berechnung von Geldleistungen gilt der Mindestjahresarbeitsverdienst als Jahresarbeitsverdienst. Geldleistungen werden jedoch nur bis zur Höhe eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs erbracht.