Der Kampf durch die Instanzen kann sich lohnen!
Der Kampf durch die Instanzen kann sich lohnen!

Bei dem Berufungsverfahren ging es um die Frage, in welchem Umfang die Sehbehinderung des Kollegen auf die Berufskrankheit „Grauer Star durch Wärmestrahlung“ zurückzuführen ist.

Berufliche Belastung des Kollegen

Der Kollege hat von 1984 bis September 1987 als Gussputzer und Gussschweißer gearbeitet. Ab Oktober 1987 war er nur noch als Gussschweißer beschäftigt. Bis zu seinem Ausscheiden im Mai 2012 war er in erheblichem Umfang der Strahlung sowohl von ultraviolettem als auch von Infrarotlicht ausgesetzt.

Gesundheitliche Folgen nach Auffassung der Berufsgenossenschaft

Aufgrund der Strahlenbelastung entwickelte sich beim Kollegen an beiden Augen ein Grauer Star durch Wärmestrahlung mit - so steht es im Bescheid der Berufsgenossenschaft zu lesen - „leichter Sehminderung“.

Tatsächliche Beeinträchtigung beim Kollegen

Im Jahr 2006 traten beim Kollegen zum ersten Mal Sehprobleme auf, die sich in der folgenden Zeit verschlimmerten. Dies führte dazu, dass sich der Kollege 2010 dazu entschloss, sich an beiden Augen neue, künstliche Linsen einsetzen zu lassen. Durch die Linsenimplantation verbesserte sich die Sehfähigkeit des Kollegen zunächst auf ein annähernd normales Maß. Aber ab Anfang 2012 trat eine Verschlechterung ein, die langsam zu einer faktische Erblindung des Kollegen führte.

Gutachten 1

Unter dem 22.02.2013 erstellte Prof. Dr. Triebig ein Gutachten, in dem er ausführt, nach der Einsetzung der künstlichen Linsen sei die Sehleistung nahezu normal gewesen. Die danach eingetretene Verschlechterung sei deshalb allein auf eine andere Ursache zurückzuführen. Diese bestehe in der Zuckerkrankheit des Kollegen, die für eine diabetische Netzhautschädigung verantwortlich sei. Schließlich treten nach 20-jähriger Zuckerkrankheit bei etwa 90 % der Patienten Netzhautveränderungen unterschiedlichen Ausmaßes auf.

Gutachten 2

Auch Prof. Dr. Gümbel geht in seinem Gutachten vom 01.12.2013 davon aus, dass nur der Graue Star berufsbedingt ist. Die weiteren Folgen schiebt auch Prof. Dr. Gümbel auf eine diabetische Netzhautschädigung sowie auf eine Membranbildung im Bereich des Gelben Flecks auf der Netzhaut, die ausschließlich altersbedingt sei.

Entscheidung der Berufsgenossenschaft

Mit Bescheid vom 14.01.2015 erkannte die Berufsgenossenschaft die Berufskrankheit „Grauer Star durch Wärmestrahlung“ an. Ein Verletztenrente lehnte sie aber ab. Der Graue Star habe nur zu einer „leichten Sehminderung“ geführt. Die inzwischen tatsächlich vorhandene faktische Blindheit sei allein darauf zurückzuführen, dass der Kollege zuckerkrank ist.

Entscheidung des Sozialgerichts

Das Sozialgericht Ulm hielt eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich, da der Rechtsstreit nach Auffassung der Richter*innen „keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist“. Sie folgten den Gutachten 1 und 2 und wiesen die Klage ab.

Gutachten 3

Die Wende im Berufungsverfahren leitete der behandelnde Augenarzt des Kollegen, Dr. Topalidis ein. Nachdem er zunächst ebenfalls die Zuckerkrankheit für die Sehprobleme des Kollegen verantwortlich gemacht hatte, wies er am 10.11.2014 darauf hin, dass die operative Linsenentfernung ein negativer Katalysator für die Verschlechterung der Netzhautsituation sein könne.

Vorgehen des Landessozialgerichts

Das Landessozialgericht Baden- Württemberg hielt im Gegensatz zum Sozialgericht Ulm des Sachverhalt keineswegs für einfach oder auch nur abschließend geklärt. Deshalb beauftragte das Berufungsgericht Frau Dr. Dr. Beisel, ein weiteres, viertes Gutachten zu erstellen.

Gutachten 4

Frau Dr. Dr. Beisel stellte in ihrem Gutachten vom 11.05.2016 auf einen Gesichtspunkt ab, den weder Prof. Dr. Triebig noch Prof. Dr. Gümbel in ihren Gutachten auch nur erwähnten. Der Kollege hat nämlich nach dem zunächst durchaus erfolgreichen Einsetzen der künstlichen Linsen weiter als Schweißer gearbeitet. Weil aber die künstlichen Linsen gegen Wärme-, Ultraviolett- und Infrarotstrahlung weit weniger gut schützen als natürliche Linsen, hat sich beim Kollegen beidseitig ein Maculaödem gebildet, das letztlich die Verschlechterung des Sehfähigkeit ab Anfang 2012 verursachte. Trotz der bestehenden Zuckerkrankheit war die Sehfähigkeit des Kollegen unmittelbar nach dem Linsenaustausch annähernd normal. Erst als er mit den deutlich weniger schützenden Kunstlinsen weiterarbeitete, führte die Strahlung zum Ödem und infolgedessen zur Verschlechterung der Sehfähigkeit.

Entscheidung des Landessozialgerichts

Das Berufungsgericht wies zunächst darauf hin, dass nach dem Sozialgesetzbuch VII auch diejenigen Gesundheitsschäden Folgen der Berufskrankheit sein können, die infolge der Durchführung einer Heilbehandlung wegen des „Grauen Stars durch Wärmestrahlung“ entstehen. Im Fall es Kollegen liege ein solcher Folgeschaden vor, weil die Verschlechterung der Sehleistung erst infolge der Maculaödeme eingetreten sei. Dafür spreche vor allem, dass trotz bestehender Zuckerkrankheit noch nach den Operationen im Jahr 2010 eine nahezu normale Sehfähigkeit bestanden habe.Das Berufungsgericht folgte damit Frau Dr. Dr. Beisel und hob den Bescheid der Berufsgenossenschaft sowie den Gerichtsbescheid auf. Gleichzeitig verurteilte es die Berufsgenossenschaft, dem Kollegen eine Verletztenrente nach einer gestaffelten Minderung der Erwerbsfähigkeit zu bezahlen. Aufgrund der faktischen Blindheit des Kollegen ist ihm aufgrund des Urteils ab dem 01.09.2012 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. zu gewähren.

Das vollständige Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25.07.2016, Az.: L 1 U 4714/14 gibt es hier zum nachlesen.

Das sagen wir dazu:

Der Fall des Kollegen ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. 

  • Zum einen zeigt er, dass sich die Hartnäckigkeit des Kollegen und seiner Prozessvertreterin von der DGB-Rechtsschutz GmbH letztlich ausgezahlt hat.
  • Zum anderen wirft er die Frage auf, wie es Prof. R. Triebig und Prof. Dr. Gümbel - zwei Heroen der medizinischen Begutachtung - passieren konnte, entscheidungserhebliche Fragen nicht einmal zu stellen, geschweige denn, sie zu beantworten. Dies sollten die Gerichte bei ihren Überlegungen berücksichtigen, welche Ärzte sie zukünftig beauftragen, Gutachten zu erstellen.