Objektive Beurteilungen durch Gutachten nach Aktenlage?
Objektive Beurteilungen durch Gutachten nach Aktenlage?

 

Berufsgenossenschaft bestreitet Zusammenhang mit Schadstoffeinwirkungen


In dem vom Karlsruher Sozialgericht (SG) entschiedenen Fall lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) die Anerkennung einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung als Berufskrankheit (BK) der Nr. 4302 mit der Begründung ab, die Klägerin erfülle weder die erforderlichen arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen.

Auch sei sie bei den im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit als Energie-Anlagenelektronikerin verrichteten Lötarbeiten keinen ausreichenden Schadstoffbelastungen durch Blei- und Zinnverbindungen ausgesetzt gewesen, die geeignet gewesen wären, eine Atemwegserkrankung zu verursachen.

Nach der Stellungnahme ihres Präventionsdienstes habe die Schadstoffbelastung in der Raumluft deutlich unter den gültigen Grenzwerten gelegen. Außerdem habe kein Zwang zur Unterlassung der versicherten Tätigkeit bestanden.
 

Bei der gesetzlichen Definition "im Allgemeinen", kein Ausschluss von Einzelfällen


Die gegen die BG erhobene Klage hatte Erfolg: Entscheidungsgrundlage war das Gutachten eines Arbeitsmediziners und Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde. Die Richter*innen der 1. Kammer des SG Karlsruhe kamen aufgrund dieses Gutachtens zu dem Ergebnis, dass arbeitsbedingte Atemwegserkrankungen auch durch toxisch-irritative Schadstoffe im Niedrigkonzentrationsbereich verursacht werden können.

Nach der gesetzlichen Definition, so das Gericht, gebe der Arbeitsplatzgrenzwert allein an, bis zu welcher Konzentration eine Gesundheitsgefahr für Versicherte "im Allgemeinen" nicht bestehe. Dies aber schließe schädliche Auswirkungen im Einzelfall nicht von vornherein aus. Auch beinhalte Lötrauch ein sehr komplexes Gemisch von Schadstoffen, aus dem nicht selten Summationseffekte der Gefahrstoffe resultierten. Schlussendlich setze auch der Tatbestand der streitigen BK keine Mindestbelastungsdosis voraus.

Die Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten basierten nicht auf konkreten Schadstoffmessungen am Arbeitsplatz der Klägerin. In seiner Stellungnahme habe der Präventionsdienst zudem allein auf einzelne Schadstoffe abgestellt. Dies aber hat das Gericht nicht überzeugen können.

Voraussetzungen für Berufskrankheit erfüllt


Auch erfülle die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen der streitigen BK. Insbesondere, so die Karlsruher Sozialrichter*innen, bestehe mit Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ihrer schwergradigen Lungenerkrankung und den beruflichen Schadstoffeinwirkungen.

Dies ergebe sich daraus, dass der Sachverständige alle im konkreten Fall in Betracht kommenden unversicherten Konkurrenzursachen mit überzeugender Begründung ausgeschlossen habe.

Letztendlich bejahte das Gericht auch den Zwang zur Aufgabe der versicherten Tätigkeit, weil die Klägerin nach einem für den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erstellten Gutachten selbst leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch weniger als drei Stunden täglich verrichten könne.


Hier geht es zum vollständigen Urteil des SG Karlsruhe vom 14.12.2016:


Praxistipp:

Hier geht es zum Merkblatt zur BK Nr. 4302:

Das sagen wir dazu:

Unabhängige Gutachter der Berufsgenossenschaften?


Objektive Beurteilungen durch die für die Berufsgenossenschaften (BG) tätigen Gutachter*innen, die überwiegend allein anhand der Aktenlage erfolgen, sind kaum leistbar.

Auch stellt sich die Frage nach der Neutralität der für die BG tätigen Gutachter*innen und ärztlichen Berater*innen. Dies vor allem deshalb, da sie Aufträge von immer denselben Auftraggebern bekommen und dafür auch bezahlt werden.

Voraussetzung für eine sachgerechte Schadenregulierung sind objektive und neutrale Gutachten. Dies aber setzt eine Unabhängigkeit der Gutachter*innen voraus, die aber zu bezweifeln ist. Denn, wer wirtschaftlich von seinen Auftraggebern abhängig ist, der wird kaum in der Lage sein, objektive und unabhängige Gutachten erstellen.

Es kann nicht verwundern, dass im Hinblick auf die Abhängigkeit der für die Berufsgenossenschaften tätigen Gutachter*innen/ärztlichen Berater*innen einem schnell das Sprichwort

"Wes Brot ich ess des Lied ich sing"


in den Kopf kommt.
 

Begrüßenswerte Entscheidung des SG Karlsruhe!

 
Die Entscheidung des SG Karlsruhe ist mehr als erfreulich. Nachdem das Gericht zunächst Auskünfte der die Klägerin behandelnden Ärzte einholte, die dafür sprachen, dass eine Berufskrankheit vorliegen könnte, hat im Auftrag des erkennenden Gerichts von Amts ein Internist und Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde sowie Arbeitsmedizin ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet.
 
Hier dürfte es sich um einen Gutachter gehandelt haben, der frei von welchen Verbindungen auch immer zur beklagten Berufsgenossenschaft gewesen sein dürfte.

Rechtliche Grundlagen

Was bedeutet MAK – Wert?

Die Abkürzung steht für Maximale Arbeitsplatz-Konzentration. Es handelt es sich um einen Grenzwert, der für die Arbeitswelt, d.h. für den berufsmäßigen Umgang mit Schadstoffen gilt. Wenn man von einem gesunden Erwachsenen mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden ausgeht, so gibt der MAK-Wert die höchst zulässige Konzentration eines bestimmten gesundheitsgefährdenden Stoffes für einen 8-Stunden-Aufenthalt in derart belasteter Luft an.