Arbeitgeber hat zu wenig Gehalt gezahlt

Es kommt häufig vor, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen um die korrekte Höhe der Vergütung streiten. Oft wird ein solcher Streit vor Gericht ausgetragen, das Verfahren kann viele Monate dauern und auf diese Weise läuft eine große Summe an Differenzen auf. 

Beispiel:

Frau Schmidt soll laut Arbeitsvertrag ein Grundgehalt von 2.000 Euro erhalten, zuzüglich einer Zulage von 200 Euro. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten widerruft der Arbeitgeber die Zulage und stellt die Zahlung ab Januar 2014 ein. Frau Schmidt klagt die Differenzen vor dem Arbeitsgericht ein und bekommt Recht. Das Urteil wird im Oktober 2014 verkündet. Inzwischen hat der Arbeitgeber aber ein Insolvenzverfahren beantragt, das am 31. Dezember 2014 eröffnet wird. Frau Schmidt hat ihr Grundgehalt bis einschließlich Oktober 2014 erhalten.

Die Agentur für Arbeit bewilligt Insolvenzgeld nur auf der Basis des vom Arbeitgeber abgerechneten Gehaltes 

Die Agentur für Arbeit zahlt das Insolvenzgeld zum einen nur für die Monate November und Dezember 2014, da Frau Schmidt für Oktober 2014 Gehalt bekommen hat. Zum anderen errechnet die Agentur für Arbeit das Gehalt auf der Grundlage der vom Arbeitgeber anerkannten Bruttovergütung von 2.000 Euro.

Frau Schmidt kann sich nun fragen: Lohnt sich ein Widerspruch? Ist es möglich, dass das Insolvenzgeld in zu geringer Höhe bewilligt wurde?

Insolvenzgeld falsch berechnet

Wir können Frau Schmidts Frage mit einem klaren Ja! beantworten. Ein solcher Bescheid wäre in zwei Punkten rechtsfehlerhaft. Der erste Punkt ist offensichtlich: das Insolvenzgeld ist auf Basis der ausgefallenen Gesamtvergütung zu berechnen, also auf Basis von 2.200 Euro.

Der zweite Punkt ist weniger offenkundig. Anstelle der für Oktober gezahlten Vergütung sind außerdem die Differenzen der Vormonate als Insolvenzgeld anzuerkennen! Warum?

Europäisches Recht beachten

Für die Antwort müssen wir auf eine europäische Richtlinie zurückgreifen, auf die Richtlinie 80/987/EWG zur Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihrer Arbeitgeber (EWGRL 80/987, Abl L 283, 23).

Auf Basis dieser Richtlinie hat zunächst der Europäische Gerichtshof (EuGH) und im Anschluss das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. Die Zahlungen, die der Arbeitgeber im Bezugszeitraum des Insolvenzgeldes (also hier für Oktober bis Dezember 2014) geleistet hat, sind vorrangig auf vorher entstandene Ansprüche (also hier die Ansprüche auf die Zulage im Zeitraum Januar bis September 2014) anzurechnen.

Widerspruch gegen Insolvenzgeld-Bescheid lohnt sich

Für Frau Schmidts Fall bedeutet das:

Die vom Gericht bestätigte Differenz für die Monate Januar bis September 2014, also für neun Monate, beträgt 1.800 Euro. Das ist weniger, als die für Oktober 2014 tatsächlich gezahlte Vergütung von 2.000 Euro. Gemäß der Rechtsprechung von EuGH und BSG sind also 1.800 Euro auf die älteren Ansprüche (Zulage für Januar bis September in Höhe von jeweils 200 Euro) anzurechnen. Hinzu kommen die Differenzen für Oktober bis Dezember von insgesamt 600 Euro. Frau Schmidt hat also noch Anspruch auf weiteres Insolvenzgeld auf Basis von 2.400 Euro brutto!

Diese Rechtsprechung gilt allerdings nur für die Fälle, bei denen der Arbeitgeber die Vergütung für den regulären Insolvenzgeldzeitraum ganz oder teilweise gezahlt hat. Wenn der Lohn für die letzten drei Monate komplett offen ist (und als Insolvenzgeld bewilligt wird), können die Differenzen für die Zeit davor nur als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet werden.

Rechtsrat beim DGB Rechtsschutz einholen

Leider ergibt sich dieser Anspruch nicht direkt aus dem Gesetz, er basiert vielmehr auf der Rechtsprechung. In der Praxis bedeutet das, dass sowohl die zuständigen Arbeitsagenturen als auch die Insolvenzverwalter, die die Höhe des ausgefallenen Arbeitsentgelts bescheinigen, diese Grundsätze oft nicht beachten. Desto wichtiger ist es daher, bei den Rechtssekretären und Rechtssekretärinnen der DGB Rechtsschutz GmbH fachkundigen Rat einzuholen und Widerspruch gegen den Insolvenzgeldbescheid einzulegen.

Die in Bezug genommen Entscheidungen vom Europäischen Gerichtshof und dem Bundessozialgericht können Sie im Volltext hier nachlesen:

EuGH, Urteil vom 14.7.1998, C-125/97 

Bundessozialgericht, Urteil vom 25.6.2002, B 11 AL 90/01 R

Die Richtlinie 80/987/EWG zur Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihrer Arbeitgeber (EWGRL 80/987, Abl L 283, 23) kann hier eingesehen werden.