Der 61-jährige Arbeitslose erhielt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes durch das Jobcenter, u.a. Energie- und Heizungskosten. Sein Eigenheim verfügte über eine Wohnfläche von 129 qm. Im März 2017 gelang es dem Mann, eine geringfügige Beschäftigung als Kraftfahrer bzw. Lagerhelfer aufzunehmen. Dennoch blieb er im Leistungsbezug des Jobcenters.
Im April 2017 zeigte sich, dass das Dach seines Hauses reparaturbedürftig war. Die Übernahme von Sanierungskosten lehnte das Jobcenter ab. Der Betroffene ließ die Reparatur selbst durchführen und forderte die Kosten in Höhe von knapp 600,- € vom Jobcenter zurück.
Das Jobcenter lehnte ab
Das Wohneigentum des Mannes sei zu groß und sei deshalb nicht angemessen. Mit der Dachreparatur würde unangemessener Wohnraum gefördert, das lasse das Gesetz nicht zu. Sozialgericht und Landessozialgericht teilten diese Auffassung.
Thomas Kohlrausch vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH gelang es, die Richter:innen beim Bundessozialgericht (BSG) von seiner Rechtsansicht zu überzeugen. Die gesetzlichen Grundvoraussetzungen habe der Kläger erfüllt, so das BSG. Ob er auch hilfebedürftig war, konnte das BSG allerdings nicht abschließend beurteilen.
§ 9 SGB II regelt die Hilfebedürftigkeit
Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere zu berücksichtigendem Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Dabei kommt es unter anderem darauf an, ob vorhandener Wohnraum verwertet werden muss, d.h. zu vermieten oder zu verkaufen ist.
Das LSG habe ausdrücklich offengelassen, ob das vom Kläger bewohnte Hausgrundstück verwertbar ist. Über weitere Vermögenswerte habe es nichts mitgeteilt. Damit könne nicht abschließend geklärt werden, ob der Kläger Anspruch auf ALG II habe. Das Verfahren wurde daher an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen, damit die nötigen Feststellungen dort gemacht werden – allerdings nicht ohne dem Instanzgericht genaue Vorgaben hinsichtlich seiner anstehenden Entscheidung zu machen.
Über die Verwertbarkeit ist eine Prognose anzustellen
Das LSG habe bei der Prüfung, ob einzusetzendes Vermögen die Hilfebedürftigkeit des Klägers beseitige, zunächst über die Verwertbarkeit des Hausgrundstücks und ggf. weiterer Vermögensgegenstände zu entscheiden. Soweit die tatsächliche Verwertbarkeit in Betracht komme, müsse für den jeweiligen Vermögensgegenstand in absehbarer Zeit ein Käufer zu finden oder eine andere Verwertungsmöglichkeit realisierbar sein. Ein Aspekt der tatsächlichen Verwertbarkeit sei die für sie benötigte Zeit, hinsichtlich der eine Prognose aufgestellt werden müsse. Die Prognose umfasse dabei den konkreten Einzelfall und den bevorstehenden Bewilligungszeitraum.
Nicht als Vermögen berücksichtigen dürfe das Jobcenter ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe. Bei einer unangemessenen Größe des Hausgrundstücks sei zu beurteilen, ob seine Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Bei einer Verwertbarkeit des Hausgrundstücks, seien vom gesamten verwertbaren Vermögen Freibeträge abzusetzen.
Angemessener Wohnraum ist kein zu berücksichtigendes Vermögen
§ 12 SGB II regelt, wann kein Vermögen zu berücksichtigen ist. Dort heißt es:
„Nicht zu berücksichtigen sind (…) ein selbst genutztes Hausgrundstück mit einer Wohnfläche von bis zu 140 Quadratmetern oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung von bis zu 130 Quadratmetern; bewohnen mehr als vier Personen das Hausgrundstück beziehungsweise die Eigentumswohnung, erhöht sich die maßgebende Wohnfläche um jeweils 20 Quadratmeter für jede weitere Person; höhere Wohnflächen sind anzuerkennen, sofern die Berücksichtigung als Vermögen eine besondere Härte bedeuten würde, (…)“
Nach dem Gesetzeswortlaut bezieht sich die Angemessenheit nur auf die Größe des Hausgrundstücks. Auf andere wertbildende Faktoren (etwa die Grundstücksgröße) stellt die Vorschrift nicht ab. Bei einem selbst genutzten Hausgrundstück sei maßgeblich auf die (Wohn-)Fläche des Hauses abzustellen. Denn § 12 SGB II bezwecke nicht den Schutz der Immobilie als Vermögensgegenstand, sondern den Erhalt des Wohnraums zur Erfüllung des Grundbedürfnisses "Wohnen" und als räumlicher Lebensmittelpunkt. Für einen Ein-Personen-Haushalt werde von einer im angemessenen Wohnfläche von 90 qm ausgegangen.
An dieser Stelle verweist das BSG auf § 22 SGB II
Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll, erläutert das BSG.
Dieser Wortlaut gebe vor, dass es sich bei dem Wohneigentum um geschütztes Vermögen in Form eines angemessen großen Hausgrundstücks handeln muss. Die Voraussetzungen dafür sind nach den Feststellungen des LSG zwar nicht gegeben. § 22 SGB II müsse jedoch hinsichtlich des Bedarfes ausgelegt werden. Die Beschränkung des Anspruchs nur auf Kosten für Wohneigentum mit angemessener Wohnfläche führe zu einer planwidrigen Gesetzeslücke.
Tatsächliche Aufwendungen dürfen nicht außer Betracht bleiben
Eine planwidrige Regelungslücke liegt aus Sicht des BSG vor, weil der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die von einer Vorschrift eigentlich erfasst sein sollten.
§ 22 Abs. 1 SGB II lautet:
„Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“
Diese Vorschrift solle eine spezielle Form des Regelfalls der Anerkennung der Bedarfen für Unterkunft regeln. Es handele sich um den Bedarf von Eigentümern, der mit dem Erhalt der selbstbewohnten Immobilie durch Instandhaltungs- oder Reparaturarbeiten verbunden sei.
Vor dem 1.1.2011 wäre es bei Bewohnern von selbst genutzten Eigenheimen für die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht entscheidend gewesen, ob das Hausgrundstück als solches dem Verwertungsschutz unterfiel. Das gelte allgemein weiter. Lediglich die Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur behandele das Gesetz anders.
Bestimmte Aufwendungen sind nicht an die Angemessenheit gebunden
Laufende und einmalige Aufwendungen im Zusammenhang mit der Nutzung als Unterkunft (z.B. Zinsen für einen Immobilienkredit, Abfallgebühren, Zahlungen an den Wasserversorger, Kosten für die Bevorratung mit Heizmaterial) würden unabhängig davon berücksichtigt, ob ein selbst genutztes Hausgrundstück angemessen groß ist. Für die Sonderregelung der Fälle, in denen Aufwendungen für Reparatur und Instandhaltung bei selbst genutztem Wohneigentum als Bedarfe anerkannt werden könnten, sei der Gesetzgeber gefordert gewesen, eine Grenze zwischen Werterhaltung einerseits und Wertsteigerung im Sinne von Vermögensbildung andererseits zu ziehen.
Im Gesetzgebungsverfahren habe man insoweit den Gedanken formuliert, Voraussetzung der Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen für Reparatur und Instandhaltung sei, dass diese nicht zu einer Verbesserung des Standards des selbst genutzten Wohneigentums führen dürften. Zugleich habe der Gesetzgeber den „Werterhalt" durch Instandhaltung oder Reparatur auf diejenigen Hausgrundstücke oder Eigentumswohnungen begrenzen wollen, die auch dem Vermögensschutz des SGB II unterfallen bzw. die nicht als Vermögen bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen sind.
In § 22 SGB II geht es nicht um die Hilfebedürftigkeit
§ 22 SGB II, der Ausnahmen von der Verwertbarkeit des Vermögens regele, sei im Gesetz bei den Vorschriften zur Bestimmung des Leistungsanspruchs angesiedelt und damit einhergehend den Bedarfen zugeordnet. Es gehe damit nicht um die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit. Bestehe Hilfebedürftigkeit, sei Leistungsberechtigten, egal ob Mietern oder Eigentümern, im Grundsatz dieselben Mittel zur Deckung ihrer Bedarfe zur Verfügung zu stellen.
Im Hinblick auf die angemessene Höhe der unterkunftsbezogenen Aufwendungen müssten diese insoweit gleich behandelt werden. Auch bei Eigentümern selbst bewohnter Immobilien mit oder ohne Vermögensschutz gehe es um den Erhalt der Unterkunft bzw. den Erhalt deren Bewohnbarkeit durch Anerkennung der hierdurch hervorgerufenen Bedarfe.
Zudem stehe die Angemessenheit der Unterkunftsbedarfe in keiner zwingenden Beziehung zur Angemessenheit der als Vermögen schützenswerten Wohnfläche, entschied das BSG. Die Anerkennung von Unterkunftsaufwendungen erfolgt demnach grundsätzlich unabhängig von der Wohnfläche, solange die Grenze der Angemessenheit für diese Aufwendungen selbst nicht überschritten wird. Die Nutzung eines geschützten Eigenheims zu Wohnzwecken wirkt sich aus Sicht des BSG damit nicht auf die Höhe der zu übernehmenden Unterkunftskosten aus.
ALG II sichert das Grundbedürfnis „Wohnen“
§ 12 SGB II solle nur verhindern, dass ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung veräußert werden müssten, bevor Grundsicherungsleistungen gewährt würden und stelle damit eine rein vermögensrechtliche Schutzvorschrift gegenüber dem Wunsch des Jobcenters auf Verwertung dar.
Sinn und Zweck der Regelung gebieten es, die Anerkennung von Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur auch bei selbst genutztem, wenn auch unangemessen großem Wohneigentum, zu erfassen – so das BSG weiter. ALG II bzw. Sozialgeld sicherten das Grundbedürfnis „Wohnen" jeder leistungsberechtigten Person nach Maßgabe des § 22 SGB II. Maßstab einer Berücksichtigung von Aufwendungen als Bedarf sei deren Angemessenheit. Anzuknüpfen sei auch bei Hauseigentümern an das Ziel des Gesetzgebers, die Beibehaltung der Unterkunft zu ermöglichen, so lange dies zulasten der Allgemeinheit mit vertretbaren Kosten (angemessene Kosten der Unterkunft) verbunden sei.
Der Umzug muss nicht kostengünstiger als die Reparatur sein
Das Kriterium der Kosten belege, dass es bei der Bemessung des Bedarfs nicht auf den Grund für fehlende Verpflichtung zur Verwertung selbst bewohnten Wohneigentums ankomme, um Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Anderenfalls wären wegen eines erforderlichen Umzuges in eine andere, angemessene Wohnung möglicherweise höhere Kosten zu übernehmen, obwohl die Unbewohnbarkeit der eigenen Wohnung vermeidbar gewesen wäre.
Letztlich finde über die Angemessenheit der Aufwendungen eine Deckelung statt. Ein gegebenenfalls hervorgerufener Aufbau von Vermögen in nennenswertem Umfang sei begrenzt. Der Gesetzgeber habe neben dem qualitativen Merkmal der Unabweisbarkeit der Aufwendung einen besonderen Berechnungsmechanismus für die Angemessenheit in § 22 SGB II eingeführt. Damit sei den Bedenken des Sozialgerichts und ihm folgend des LSG Rechnung getragen, mit der Größe des Wohneigentums stiegen auch Anzahl und Umfang des Reparatur- und lnstandhaltungsbedarfs.
Das sagen wir dazu:
Das Verfahren wurde vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH geführt. Daniel Schuch aus Stralsund, der als Trainee im Centrum arbeitete, hatte sowohl die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht als auch die Revisionsbegründung erarbeitet. Vom LSG war nämlich der weitere Rechtsweg zum BSG nicht zugelassen worden. Schön, dass sich dann Thomas Kohlrausch im Termin zur mündlichen Verhandlung im Wesentlichen durchsetzte.
Einschränkend merkt er dazu an:
„Das Verfahren zeigt auch die (menschlichen) Tücken im Sozialrecht auf. Trotz jahrelangen Leistungsbezugs ohne Rücksicht auf die Größe des Hauses und ohne Kostensenkungsaufforderungen bei jeder Weiterbewilligung zeigt sich das Jobcenter bei einem geringfügigen Betrag für die Dachreparatur kleinlich – als ob es sagen wollte: jetzt haben wir dich.“
Obwohl die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen hinsichtlich der Angemessenheit der Wohnfläche überhaupt nicht im Streit standen, habe das BSG moniert, dass das LSG diese nicht prüfte. Ohne selbst durchzuentscheiden habe es den Rechtsstreit zurückverwiesen.
Wohl wahr – denn was soll das LSG Durchgreifendes feststellen, wenn es nur auf die Angemessenheit der Aufwendungen ankommen soll, unabhängig davon, ob der Wohnraum selbst angemessen ist.
Das sagen wir dazu