Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Copyright by Adobe Stock/ Victor
Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Copyright by Adobe Stock/ Victor

Neumanns Sohn Hardy ist schon von Kind an ein Träumerle. Neumanns Befürchtungen bewahrheiten sich: die Arbeitswelt nimmt darauf keine Rücksicht. Nach ein paar Versuchen in Leiharbeitsfirmen bezieht Hardy jetzt seit mehreren Jahren Arbeitslosengeld II.
 
Das Jobcenter gewährte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes dabei in der Vergangenheit immer für ein Jahr. Dies ist der Regelfall.
 

Abweichende Bewilligung für ein halbes Jahr

Dann aber, durch einen Wechsel des Sachbearbeiters oder aus sonstigen Gründen, wurde von der Behörde nur ein Bescheid für sechs Monate erstellt.
 
Nach Ablauf der sechs Monate blieb das Geld aus. Erst fast vier Monate später, als es mangels Kontodeckung Rückbuchungen gab, sei ihm das aufgefallen, so Hardy.
Seine Sachbearbeiterin habe ihn dann auf den Bescheid hingewiesen. Da er keinen neuen Antrag gestellt habe, könne man für die Lücke auch nicht nachträglich bewilligen. Ein Antrag für die Vergangenheit sei nicht möglich.
 

Erneute Leistungsgewährung ab Antragsmonat

Auf den sofortigen Antrag erfolgte die erneute Gewährung der Leistungen. Die Behörde hat dabei richtigerweise den gestellten Antrag auf den ersten des laufenden Monats zurückwirken lassen.
 
Es blieb für Hardy eine Lücke von drei Monaten.
 

Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X

Hardy stellte daraufhin den Antrag, den alten Bescheid zu überprüfen. Diese Möglichkeit eines Überprüfungsantrags besteht in vielen Rechtsgebieten, soweit sich später, also nach Ablauf der Monatsfrist für den Rechtsbehelf, ein Fehler bei Erlass eines Bescheids ergibt.  
 
Beim Arbeitslosengeld II muss dies innerhalb eines Jahres geschehen.
 
Die Behörde muss dann neu prüfen, ob sie das Recht richtig angewendet hat.
 
Hardy begründete seinen Antrag damit, dass er durch die verkürzte Bewilligung Nachteile gehabt habe. Da er weiter Einladungen vom Jobcenter bekommen hatte, sei ihm die kürzere Dauer zunächst nicht aufgefallen.
 

Argumentation der Behörde

Es läge im Verantwortungsbereich von Hardy, wenn er es versäume, einen Weiterbewilligungsantrag rechtzeitig zu stellen. Der umstrittene Bescheid weise eindeutig und deutlich die Laufzeit aus.
Durch die Stellung seines Überprüfungsantrags könne er nicht einen rechtzeitigen Antrag fingieren.
 
Das Jobcenter lehnte den Antrag ab und wies den folgenden Widerspruch ab. So kam es zur Klage beim Sozialgericht.
 

Darstellung von Hardy

Im Klageverfahren drückt sich Hardy konkreter aus. Er habe den streitigen Bescheid gar nicht bekommen. Erst bei dem Gespräch mit der Sachbearbeiterin habe diese ihn auf den alten Bescheid hingewiesen, ihm aber auch keine Kopie ausgehändigt.
Wenn ihm der Bescheid nicht zugegangen sei - die Postzustellung sei in diesem Zeitraum nachweisbar unzuverlässig gewesen - wirke sein ursprünglich gestellter Antrag noch fort.
 
In der Akte der Behörde fand sich ein Gesprächshinweis, nicht aber die Aussage von Hardy wieder, er habe den Bescheid nie erhalten.
 

Skeptischer Richterbrief

Zunächst hat der Richter sehr deutlich gemacht, dass er Hardys Ausführungen nicht glaubt, sondern diese als Schutzbehauptung ansieht. Dies ist nachvollziehbar, denn Hardy schwankte zwischen seinen Behauptungen.
 
Das Gericht ging im Weiteren vom Zugang des Bescheids aus.
 

Warum Hardy doch noch Recht bekam

Das Gericht führt in einem Brief an die Behörde aus, ein Antrag sei nach dem Empfängerhorizont auszulegen. Danach sei bei Hardy davon auszugehen, dass er für den Regelbewilligungszeitraum (1 Jahr) Leistungen haben wollte. Dies entspräche auch der gängigen Praxis der Behörden.
 
Durch den dann erteilten Bescheid, sei der ursprüngliche Antrag nicht verbraucht. Durch die teilweise Gewährung sei nur über das erste halbe Jahr, nicht aber die Leistungen für die weiteren sechs Monate entschieden worden.
Dann müsse man entweder den abgelehnten Überprüfungsbescheid als erstmalige Leistungsablehnung betrachten oder über den weiteren Zeitraum sei noch nicht entschieden.
 
Da der Kläger rechtzeitig den Überprüfungsantrag gestellt hat, führen beide Auslegungen zum gleichen Ergebnis.
 

Zweifel bei der Auslegung gehen zu Lasten der Behörde

Das Gericht merkte nannte noch einen anderen Aspekt an. Bei einer verkürzten Bewilligung bliebe der Empfänger schlicht im Zweifel darüber, ob sein Antrag zum Teil abgelehnt wird. Im Bescheid werde nicht ausdrücklich genannt, ob der Antrag vollständig beschieden wurde.
 
Das Gericht verweist auf eine vorherige Entscheidung des Sozialgericht Aachen vom 23.2.2016 (Az. S 18 SB 1135/15) wonach Zweifel bei der Auslegung eines Bescheides immer zu Lasten der Behörde gingen. Es sei letztlich jeweils das für den Antragsteller und Adressat des Bescheids günstigere Verständnis zugrunde zu legen.
 
Da unabhängig davon, ob man Hardy glaubte oder nicht, letztlich Leistungen zu gewähren sind, hat die Behörde den Anspruch anerkannt. Hardy kriegt eine Nachzahlung von Arbeitslosengeld II für die Lücke von drei Monaten.

Das sagen wir dazu:

Nicht immer geht es so glimpflich aus, wenn man den Sachvortag den eventuell besseren Prozessaussichten anpasst. Sagt man damit die Unwahrheit, kann das auch dazu führen, dass ein Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs erhoben wird. Soweit sollte man es nicht kommen lassen.

Bescheide muss man lesen und schauen, ob sie das enthalten, was man beantragt hat. Bei Abweichungen ist dringend zu raten, Widerspruch oder Einspruch einzulegen. Dann besteht Zeit in Ruhe zu klären, ob bzw. mit welcher Begründung das Verfahren weitergeführt wird.
Wenn die Monatsfrist versäumt ist, hilft oft auch der Überprüfungsantrag nicht weiter.

Rechtliche Grundlagen

§ 44 SGB X (Sozialgesetzbuch 10)

§ 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.