Weil tanken teuer ist, lohnt es sich um einen höheren Fahrtkostenbeihilfe des Jobcenters zu streiten. © Adobe Stock: Maridav
Weil tanken teuer ist, lohnt es sich um einen höheren Fahrtkostenbeihilfe des Jobcenters zu streiten. © Adobe Stock: Maridav

Die Entfernung war groß, es wird den Arbeitslosen aus Nordrhein-Westfahlen aber gefreut haben, als er ab Juni 2022 einen Arbeitsplatz in Hessen fand. Für die täglichen Pendelfahrten beantragte er beim Jobcenter eine Fahrtkostenbeihilfe. Diese bewilligte ihm die Behörde für den Monat Juni 2022 in Höhe von 200 Euro aus dem Vermittlungsbudget. Mehr sollte es nicht sein. Tatsächlich wandte der Mann über 600 Euro auf.

 

Behörde sieht keinen Ausnahmefall

 

Das Jobcenter zog sich auf die geltenden „Ermessensleitenden Weisungen“ für Pendelfahrten zurück und blieb bei seiner Entscheidung. Die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle betrage 48 km. Unter Zugrundelegung eines Betrages von 0,20 Euro pro Entfernungskilometer ergebe sich ein Betrag von 19,20 Euro pro Arbeitstag. Allein für Juni 2022 sei eine Förderung möglich. Ab Juli 2022 stehe das zu erwartende Einkommen einer Fahrtkostenbeihilfe entgegen. Ein „begründeter Ausnahmefall, bei dem eine weitergehende Förderung gewährt wird“, lag aus Sicht des Jobcenters nicht vor.

 

Martina Reinschmidt aus dem DGB Rechtsschutzbüro Siegen vertrat den Betroffenen im anschließenden Rechtsmittelverfahren. In ihrer Klageschrift beanstandeten sie die Höhe der bewilligten Leistung und wiesen darauf hin, der Beklagte habe bei seiner Entscheidung kein Ermessen ausgeübt. Die ermessensleitende Richtlinie müsse ihrerseits auf einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung beruhen und der Beklagte hätte eine Einzelfallprüfung vorzunehmen gehabt.

 

Gericht fordert Begründung

 

Das Sozialgericht gab den Prozessvertreter:innen recht. Gemäß § 16 SGB II i.V.m. § 44 SGB III können Ausbildungssuchende, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende und Arbeitslose bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung aus dem Vermittlungsbudget gefördert werden. Voraussetzung dafür ist, dass diese für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Die Förderung umfasst die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. Der Leistungsträger hat dabei im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens über den Umfang der zu erbringenden Leistungen zu entscheiden, erläutert das Gericht.

 

Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss grundsätzlich die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Bei der Beurteilung, ob eine Ermessensentscheidung rechtmäßig getroffen wurde, kommt es entscheidend auf diese Begründung an. Aus der Begründung muss sich ergeben, dass tatsächlich Ermessen ausgeübt wurde.

 

Der Einzelfall ist maßgeblich

 

Das erfordert eine auf den Einzelfall bezogene Darlegung. Diese muss die Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen ebenso wie die Überlegungen mit tragender Bedeutung beinhalten. Dabei steht es der Verwaltung grundsätzlich frei, Entscheidungsmaßstäbe durch ermessensleitende Weisungen zu erlassen, um eine einheitlichen Ausübung des Ermessens zu gewährleisten, so das Sozialgericht. Derartige Vorschriften hätten zwar nur verwaltungsinterne Bedeutung. Sie bewirkten aber eine Selbstbindung der Verwaltung und begründen damit einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Die ermessensleitenden Weisungen müssten dem Leistungsträger dabei genug Raum für die Ausübung von Ermessen belassen.

 

Gerichte können die Ausübung von Ermessen nur eingeschränkt dahingehend überprüfen, ob die Behörde ihr Ermessen gar nicht ausgeübt oder im Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat. Das nennt man „Ermessensnichtgebrauch“. Eine „Ermessensunterschreitung oder –überschreitung“ liegt vor, wenn die Behörde ihr Ermessen zu eng oder zu weit ausgelegt hat. Daneben gibt es noch den „Ermessenfehlgebrauch“, womit die Anwendung sachfremder Erwägungen gemeint ist.

 

Behörde übte kein Ermessen aus

 

Ermessenslenkende Weisungen einer Behörde sind gerichtlich überprüfbar. Sie müssen sachliche Differenzierungskriterien enthalten und mit der gesetzlich erteilten Ermächtigung zur Ausübung von Ermessen übereinstimmen. Ob das in diesem Verfahren zutrifft, kann nach den Ausführungen des Sozialgerichts dahinstehen, denn der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht, überhaupt Ermessen ausgeübt zu haben. Damit liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor.

 

Der Beklagte habe dem Kläger Leistungen aus dem Vermittlungsbudget für Pendelfahrten in Höhe von 200 Euro zuerkannt. Der Leistungsumfang entsprach dem nach den ermessenslenkenden Weisungen anzuerkennenden Maximalwert. Allein dies entpflichtete den Beklagten nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht, seine Erwägungen zur Förderungshöhe umfassend darzulegen. Nur bei einer solchen konkreten Darlegung der Ermessengründe sei erkennbar, ob der Beklagte auch Erwägungen, die einen Ausnahmefall begründen könnten, berücksichtigt habe. Nicht ausreichend sei der allgemeine Hinweis auf die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Dies stelle lediglich eine Leerformel dar.

 

Eine Dokumentation fehlt

 

Aus welchen Gründen dem Kläger keine höheren Leistungen im Einzelfall gewährt wurden, habe der Beklagten weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid dargelegt. Eine im Einzelfall höhere Leistung sei jedoch durchaus denkbar. Die Weisung stelle nur eine Orientierungshilfe dar, von der im Einzelfall abgewichen werden könne. Die Rechtsprechung habe dazu rechtliche Anforderungen entwickelt.

 

Die Weisung enthalte auch den Hinweis, dass getroffene Entscheidungen zu dokumentieren sind. Der Beklagte sei deshalb verpflichtet, den Einzelfall des Klägers zu prüfen und entsprechende Erwägungen darzulegen. Das gelte auch im Hinblick darauf, ob ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

 

Zwar habe der Beklagte im Bescheid in einem Satz angemerkt, ein Ausnahmefall liege nicht vor. Das stelle aber bloß die Wiedergabe einer behördlichen Weisung dar und keine Ermessensausübung, so die Richter:innen.

 

Nachschieben von Gründen ausgeschlossen

 

Nachträglich könne der Beklagte eine Begründung nicht vornehmen. Zwar sei eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nichtig machen, unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Das Nachschieben von Ermessenserwägungen sei jedoch dann nicht mehr möglich, wenn von vornherein Ermessen nicht (erkennbar) ausgeübt worden sei.

 

So war es hier und deshalb hob das Gericht den angefochtenen Bescheid auf. Es verpflichtete das Jobcenter, dem Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. Der fiel dann anders aus. Das Jobcenter erhöhte den Leistungsbetrag antragsgemäß. Nur über die Dauer der Zahlung blieb man sich weiter uneins.