Vieles ist in der „Corona-Zeit“ anders. Das gilt auch für die Schule und das Lernen. Copyright by Adobe Stock/thayra83
Vieles ist in der „Corona-Zeit“ anders. Das gilt auch für die Schule und das Lernen. Copyright by Adobe Stock/thayra83

Eine Schülerin, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II
(so genanntes Hartz IV) bekommt, beantragte beim Jobcenter Ende Januar 2020 einen internetfähigen Computer. Sie geht in die 8. Klasse eines Gymnasiums. Die Schulleitung hatte bestätigt, dass der Computer für die Hausaufgaben benötigt wird.  
 
Das Jobcenter lehnte den Antrag ab. Auch das Sozialgericht Gelsenkirchen verneinte einen Anspruch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Die Schülerin hatte neben einer Klage auch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Denn sie benötigt das technische Lernmittel sofort und nicht in ein bis zwei Jahren. So lange kann ein sozialgerichtliches Verfahren dauern. Deshalb folgte der Gang zur nächsten gerichtlichen Instanz.
 

Mehrbedarf für Bildung und Teilhabe

Die Leistungen nach dem SGB II bestehen aus den Unterkunftskosten und dem Regelbedarf. Der Regelbedarf soll alle Kosten des täglichen Lebens decken. Dazu zählt auch der Bedarf für Bildung.

Sehr begrenzt können die Jobcenter Mehrbedarfe bewilligen, wenn Kosten entstehen, die vom Regelbedarf nicht gedeckt sind. Allerdings nur, wenn ein Bedarf im Einzelfall unabweisbar ist. Das ist nach dem Gesetz so, wenn es nicht möglich ist, die benötigte Summe einzusparen und auch Dritte nicht einspringen können.
 

Ist ein internetfähiges Endgerät für die Schülerin unerlässlich?

Das Landessozialgericht (LSG) in Nordrhein-Westfalen verpflichtete das Jobcenter auch nicht zur Zahlung. Allerdings nur, da es ein Eilverfahren war. Ein Gericht kann eine vorläufige Entscheidung treffen, wenn nach erster Prüfung das Recht auf Seiten des Klagenden und das Ganze besonders dringend ist. Hier hatte die Schülerin in der Zwischenzeit über private Spenden von der Schule einen Laptop erhalten.
 
Das LSG erkannte aber vom Grundsatz her die Kosten (etwa 150 €) für ein internetfähiges Tablet als unabweisbaren Mehrbedarf an. Im Regelbedarf sei eine solche Anschaffung für den pandemiebedingten Schulunterricht nicht erhalten. Der Wegfall des normalen Präsenzunterrichts mache die Anschaffung aber erforderlich. 

Das sagen wir dazu:

„Pandemiegerechter Mehrbedarf“ klingt schon schlimm. Noch schlimmer ist, dass zwei gerichtliche Instanzen erforderlich sind, um auf ausreichende Lebensnähe und soziale Verantwortung zu stoßen.
Jedem, der nur im Ansatz mitbekommt, was Schüler*innen (und ihren Eltern) seit Mitte März abverlangt wird, ist bewusst, dass Lernen ohne Technik derzeit völlig unmöglich ist. Die Aufgaben kommen über das Internet und werden auch auf diesem Wege bei den Lehrern wieder abgegeben. Es finden Video-Konferenzen statt, sämtliche Kommunikation läuft über Internet-Plattformen. Eine E-Mail-Adresse und ein Smartphone sind nicht ausreichend.

Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht

Wenn man diejenigen Schüler*innen, die zu Hause keinen PC, Laptop oder kein Tablet haben, weil die Eltern nicht über ein ausreichendes Einkommen verfügen, ihrem Schicksal überlässt, versagt der Sozialstatt an dieser Stelle.  

Aber auch völlig unabhängig von Corona, Schulschließungen und Homeschooling ist ein internetfähiger Computer zumindest ab der Mittelstufe unerlässlich für das Lernen. Der Pressemitteilung des LSG ist zu entnehmen, dass PC, Laptop und Tablets derzeit in NRW keine zugelassenen Lernmittel sind. Deshalb unterscheidet das LSG zwischen Präsenzunterricht und pandemiebedingtem Unterricht.  

Vor oder während Corona: abgehängt werden nicht unbedingt die, die nicht lernen wollen. Viele, die lernen möchten, um eine Chance auf einen auskömmlichen Job zu haben, bleiben auf der Strecke.

Das Gericht unterscheidet zwischen der Pandemie-Lage und der „Normalität“

Deshalb ist es bedauerlich, wenn in der Pressemitteilung des Gerichts zu lesen ist, die Anschaffung eines internetfähigen Endgeräts sei erst mit den Schulschließungen erforderlich geworden.
Das technische Equipment war auch schon zuvor unerlässlich. Wer eine solche Anschaffung aus eigenen Mitteln nicht leisten kann, sollte Unterstützung erhalten. Entweder über den Weg des sozialrechtlichen Mehrbedarfs oder über die Schulen, die Endgeräte zur Verfügung stellen.
Ganz sicher ändert die schrittweise Öffnung der Schulen erstmal gar nichts. Noch ist nicht einmal absehbar, wann eine Rückkehr zum 100%igen Präsenzunterricht möglich sein wird.

Hoffentlich stimmen die Meldungen, wonach die Corona-Pandemie die Digitalisierung – auch an Schulen – vorantreibt.

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus § 21 SGB II

§ 21 SGB II Mehrbedarfe
(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind
(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.