Die Begünstigung beim Arbeitslosengeld war von vornherein auf die Monate Mai bis Dezember 2020 befristet. Copyright by Adobe Stock/photoart
Die Begünstigung beim Arbeitslosengeld war von vornherein auf die Monate Mai bis Dezember 2020 befristet. Copyright by Adobe Stock/photoart

Geklagt hat ein arbeitssuchender Mann, dem die Agentur für Arbeit für einen Zeitraum zwischen Januar 2020 und Januar 2021 Arbeitslosengeld bewilligt hatte. Die Dauer des Anspruchs entspricht den gesetzlich vorgesehenen 360 Tagen.
 

Anspruchsdauer soll neu festgesetzt und verlängert werden

Innerhalb dieser Zeit fand der Mann keine neue Arbeit. Er beantragte bei der Arbeitsagentur, die Anspruchsdauer neu festzusetzen. Seinen Antrag stütze er auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt. Die Verhältnisse, die vorlagen, als ihm ursprünglich das Arbeitslosengeld bewilligt wurde, hätten sich nachträglich geändert.
 
Die Agentur für Arbeit lehnte den Antrag ab. Daraufhin versuchte der Mann, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchzusetzen, dass ihm bis Ende April 2021 Arbeitslosengeld weitergezahlt wird.
 
Das gelang beim Sozialgericht Frankfurt nicht. In zweiter Instanz hat nun das Landessozialgericht (LSG) in Hessen entschieden.   
 

Pandemie hat die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt verändert

Wird Arbeitslosengeld für eine bestimmte Dauer bewilligt, liegt ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vor. Ein solcher kann auch rückwirkend aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
 
Die Corona-Pandemie hat die tatsächlichen Verhältnisse geändert. Das stellt auch das LSG nicht in Frage. Wesentlich ist eine Änderung aber nur dann, wenn sie rechtserheblich ist. Das verneinten die Richter*innen beim LSG.
Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld hängt von der Dauer der Vorversicherungszeit und dem Lebensalter ab. Tatsächliche individuelle Vermittlungschancen bleiben ebenso vom Gesetz unberücksichtigt wie die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt. Darauf stellte das LSG ab. Die mit der Corona-Pandemie einhergehende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse sei daher nicht geeignet, als rechtserheblich angesehen zu werden.
 

Sonderreglung als wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse?

Im Mai 2020 trat eine Sonderregelung in Kraft, die auf das Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II) zurückgeht. Es gab damit eine Gesetzesänderung, die die rechtlichen Verhältnisse geändert hat. Auch hier stellte sich die Frage, ob diese Änderung wesentlich war.
 
Das LSG schaute auf den Zweck der Regelung. Der Gesetzgeber verfolgte das Ziel, eine von den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie absehbar besonders betroffene Gruppe von Arbeitslosengeldbeziehern für eine längere Zeit sozial abzusichern. Um das Ziel zu erreichen sollte diese Gruppe noch nicht aus dem Schutz der Arbeitslosenversicherung herausfallen. Dabei war die Begünstigung von vornherein auf die Monate Mai bis Dezember 2020 befristet.
 
Das LSG schaute zudem auf die weitere Entwicklung. Andere befristete Vorschriften, die auf das Sozialschutz-Paket II zurückgehen, wurden verlängert, z.B. die Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld. Über die Verlängerung der vorübergehenden Sonderregelung zum Arbeitslosengeld sei beraten worden, der Gesetzgeber habe das aber letztlich abgelehnt.
 
Der zeitliche Anwendungsbereich der Sonderregelung sei damit klar begrenzt gewesen, weshalb die Richter*innen eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse verneinten. Das bedeutet: die veränderte Sach- und Rechtslage führt nicht dazu, dass das Arbeitslosengeld hier drei Monate länger bewilligt werden müsste.
 

Vorübergehende Sonderreglung ist nicht verfassungswidrig

Das LSG setzte sich sehr ausführlich mit der Frage auseinander, ob ein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliegt.
 
Die zeitliche Beschränkung der Corona-Sonderregelung verstoße weder gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Grundgesetz noch gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es zulässig, Stichtage einzuführen, obwohl jede Stichtagsregelung zwangsläufig gewisse Härten mit sich bringe.
 
Nach Einschätzung des Deutschen Bundestags liegt nach wie vor eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vor. Zahlreiche andere Ausnahmevorschriften der COVID-19-Gesetzgebung sind verlängert worden. Daraus lässt sich nach dem LSG aber nicht ableiten, dass jede wegen der Pandemie eingeführte Begünstigung zwingend fortgeführt werden müsste. Im Fall der dreimonatigen Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs fänden sich gewichtige Sachgründe, die das Auslaufen der Sonderregelung zum Jahresende 2020 vertretbar erscheinen ließen. Das LSG nennt hier das Ziel, die Finanzierung der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu sichern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen.
 
LINKS:
Das vollständige Urteil ist auf den Seiten der Hessischen Justiz nachzulesen

Rechtliche Grundlagen

§ 421d SGB III Vorübergehende Sonderregelungen zum Arbeitslosengeld
(1) Für Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Dezember 2020 auf einen Tag gemindert hat, verlängert sich die Anspruchsdauer einmalig um drei Monate.
(2)
(3)

§ 48 SGB X Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse
(1) 1Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. 2Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
3Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.