Das rechtswidrig bewilligte Arbeitslosengeld war längst verbraucht, da kam der Erstattungsbescheid. © Adobe Stock: 9nong
Das rechtswidrig bewilligte Arbeitslosengeld war längst verbraucht, da kam der Erstattungsbescheid. © Adobe Stock: 9nong

Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit sollte der Kläger zu viel bezogenes Arbeitslosengeld erstatten.

 

Zuvor hatte die Arbeitsagentur eine Sperrzeit verhängt und das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld verfügt, weil der Mann nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Entlassungsentschädigung seines Arbeitgebers erhalten hatte. Von April bis November 2021 zahlte sie deshalb kein Geld.

 

Doch auch ab November 2021 wollte die Arbeitsagentur nicht zahlen. Der Kläger hatte im Frühsommer 2021 bereits Bewilligungsbescheide für die Zeit nach dem Ruhenszeitraum erhalten. Diese Bewilligungsbescheide hob die Beklagte im August 2021 wieder auf. Grund dafür war ausweislich des Aufhebungsbescheides das „Ende der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall“. Aus Sicht der Arbeitsagentur hatte der Kläger zu viel erhalten und das sollte er nun zurückzahlen.

 

Die Beklagte hörte den Kläger zur beabsichtigten Rückforderung an. Im Anhörungsverfahren ging sie davon aus, dass dem Kläger wegen eines stationären Krankenhausaufenthaltes kein Arbeitslosengeld zustand. Der Kläger äußerte hierzu, dass er trotz des Klinikaufenthaltes kurzfristig der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden habe. Er habe das auch mit seiner Arbeitsvermittlerin so vereinbart.

 

Es kam zu einer Rückforderung über insgesamt 4.900 €

 

Im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht Augsburg erhielt der Kläger Unterstützung durch das DGB Rechtsschutzbüro Augsburg. Das Gericht gab der Klage statt. Ein Rückforderungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit bestand nach der Rechtsauffassung des Sozialgerichts nicht.

 

Die Beklagte habe bereits eine fehlerhafte Rechtsgrundlage im angefochtenen Bescheid genannt. Sie beziehe sich auf § 48 SGB X.

 

§ 48 SGB X berechtigt zur Aufhebung eines Bescheides mit Wirkung für die Zukunft, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

 

Eine wesentliche Änderung sei im Fall des Klägers nicht eingetreten, so das Sozialgericht. Die Beklagte könne ihre Rückforderung daher nicht auf diese Bestimmung stützen.

 

§ 45 SGB X ist die richtige Vorschrift

 

Richtigerweise hätte die Beklagte ihrer Rückforderung § 45 SGB X zugrunde legen müssen. Doch auch diese Bestimmung gebe ihr keinen Rechtsanspruch.

 

Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückgenommen werden, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat. Die Rücknahme ist nicht möglich, soweit der*die Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und das Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

 

Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen wurden oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden kann.

 

Auf Vertrauen kann sich nicht berufen, wer den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Gleiches gilt, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht wurden. Schließlich steht dem Vertrauensschutz entgegen, wenn der*die Betroffene die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

 

In diesen Fällen kommt eine rückwirkende Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes in Betracht, was eine Rückzahlungspflicht für Zahlungen in der Vergangenheit bedeutet.

 

Ob ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestand, kann offenbleiben

 

Unabhängig davon, ob dem Kläger das Arbeitslosengeld zugestanden habe, dürfe die Beklagte den bewilligten und ausgezahlten Betrag nicht zurückfordern. Der Kläger genieße Vertrauensschutz. Insbesondere könne ihm nicht vorgehalten werden, er habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides gekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.

 

Im Fall der groben Fahrlässigkeit sei zu fordern, dass der Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße verletzt habe. Er müsse erkannt haben, dass der ihn begünstigende Verwaltungsakt nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehe, weil dem Verwaltungsakt ein unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegen habe oder das Recht unrichtig angewandt worden sei. Maßgeblich seien dabei die dem Kläger selbst bekannten Umstände.

 

Für eine derartige Bösgläubigkeit reiche es aus, wenn Leistungsempfänger*innen im Rahmen einer sogenannten Parallelwertung in der Laiensphäre wussten oder wissen mussten, dass die zuerkannte Leistung ihnen so nicht zustehe.

 

Der Kläger kannte die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht

 

Das Sozialgericht sprach den Kläger von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit frei. Nach der Durchführung der Beweisaufnahme hatte das Gericht keinen Zweifel daran, dass die Arbeitsvermittlerin des Klägers aus dem Wunsch heraus, diesem zu helfen, ihn im Beratungsgespräch in dem Glauben gelassen habe, ihm stehe das Arbeitslosengeld zu, obwohl er sich stationär im Krankenhaus befand.

 

Der Kläger habe dem Gericht glaubhaft versichert, eine derartige Auskunft erhalten zu haben. Ansonsten hätte er den Klinikaufenthalt verschoben. Die Zeugin selbst sei nicht mehr in der Lage gewesen, sich an den genauen Gesprächsinhalt zu erinnern, habe jedoch nicht ausschließen können, eine derartige Auskunft gegeben zu haben.

 

Das verwundere, denn es hätte der Arbeitsvermittlerin bekannt sein müssen, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld auch dann ausscheide, wenn ein*e Arbeitslose*r am ersten Tag nach Ablauf eines Ruhenszeitraums stationär in einer Einrichtung untergebracht sei. Schon die Entfernung im Fall des Klägers zwischen der Einrichtung und dem Wohnort habe dessen Verfügbarkeit ausgeschlossen.

 

Der Kläger war zur Rückzahlung nicht verpflichtet

 

Selbst wenn der Kläger aufgrund der Merkblätter hätte erkennen können, dass ihm Arbeitslosengeld nicht zustehe, so habe er sich doch auf die Sachkunde seiner Arbeitsvermittlerin verlassen dürfen.

 

Eine Rückzahlungspflicht des Klägers bestand damit nicht, obwohl er das Arbeitslosengeld zu Unrecht bezogen hatte. Der Vertrauensschutz griff in seinem Fall. Man wird außerdem annehmen dürfen, dass er das Geld, was schließlich zum Bestreiten des Lebensunterhaltes gedacht war, tatsächlich im Rahmen der Lebensführung verbrauchte.

 

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Augsburg.